
Das Volk schaut mehr als zu
Die Bundesratswahlen verbrachte ich – wie viele von Ihnen – vor dem Fernseher. Diesmal schaute ich besonders genau hin, denn am Nachmittag stand die Aufzeichnung eines Gesprächs mit CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann auf dem Programm (den Talk können Sie übrigens morgen ab 12 Uhr auf zofingertagblatt.ch sehen). Ich setze mich also aufs Sofa, vor mir der Laptop, in der linken Hand das Smartphone, in der rechten ein doppelter Espresso. Politiker und Journalisten wuseln durchs Bundeshaus; ich sehe bekannte Gesichter, in denen ich kaum Spuren einer «Nacht der langen Messer» erkenne. Zum nervenaufreibenden Showdown kommt es nicht – es ist fast ein bisschen langweilig, dass beide Favoritinnen im ersten Wahlgang gewählt werden.
Trotzdem macht der Wahlmorgen vor dem TV Spass. Und mehr als das: Die Bundesratswahlen sind zu einem öffentlichen Ritual geworden, das trotz moderner Inszenierung gut zum Wesen der Eidgenossenschaft passt. Obwohl das Volk bei den Wahlen nicht mitreden kann, touren die Kandidatinnen und Kandidaten während Wochen durchs Land und präsentieren sich in unzähligen Auftritten, Fragestunden und Interviews. Dabei werden sie schon einmal ordentlich auf ihre Bundesratstauglichkeit abgeklopft; an unzähligen Stamm- und Familientischen wird darüber debattiert, wie und mit welchen Personen das Land am besten zu führen sei. Es wird über Frauenquoten gestritten und darüber, ob endlich mal eine Frau Chefin im VBS werden sollte. Am Tag der Wahl drehen sich Reden und Statements um die K-Begriffe: Konkordanz, Kompromiss, Kontinuität, Kollegialität.
All das mag Spektakel sein, gewiss. Aber es ist mehr als das. Keine Regierungsform kommt ohne Rituale der Machtinszenierung aus. Dass die Bundesratswahlen zu einer Art Inszenierung von Volkswahlen geworden sind, wie die NZZ schrieb, scheint mir kein schlechtes Zeichen.