
Aaraus Sieg gegen den Leader: Ein Bekenntnis zum Trainer
Er braucht ihn. Diesen Moment ganz für sich alleine. Wie schwer muss der Druck gewesen sein, der vor dem Anpfiff auf ihm lastete. Und jetzt, Sekunden nach dem Abpfiff, muss er sich so leicht fühlen wie ein Schmetterling.
Patrick Rahmen löst sich aus der Aarauer Jubeltraube, blickt in den Nachthimmel, atmet tief durch, ballt die Fäuste. Sieg. 2:0. Gegen Wil. Gegen den Tabellenführer. Der Moment der Ruhe ist kurz. Die Pflicht ruft. Interviews, Gespräche mit den Vorgesetzten und der Gang zu den Fans. Endlich fallen diese Dinge einmal leicht, endlich darf Rahmen sich feiern lassen.
Die Schlussphase ist nichts für Fussball-Feinschmecker. Doch sie ist randvoll mit Spannung, mit Zittern, Bibbern und Bangen. Und dann ein Konter für den FC Aarau. Wie eine Kugel im Flipperkasten fällt der Ball dem eingewechselten Varol Tasar vor die Füsse, der einen Gegenspieler umkurvt. Der Schuss dann ist nicht präzis, doch das Glück ist nicht das erste Mal an diesem Abend auf Aarauer Seite: Via Hüfte eines Wilers springt er an den Innenpfosten und von dort hinter die Torlinie. 2:0. Die Entscheidung. Emotionen pur vor der Aarauer Spielerbank, auf der Haupttribüne und auf der Gegengeraden.
Ja, das Glück. Oder nennen wir es: das Schicksal. Wie schonungslos hat es den FC Aarau in dieser Saison schon gegeisselt. Doch an diesem Abend hat es sich mit Patrick Rahmen und seinen Spielern verbrüdert.
Die 34. Minute: Aarau-Verteidiger Bürgy verlängert den Ball an den hinteren Pfosten. Dort steht der Wiler Silvio und trifft. Doch noch jubelt Silvio nicht, denn der Linienrichter wedelt mit der Fahne. Zu unrecht. Das weiss auch Schiedsrichter Nicolas Jancevski, der zu seinem Assistenten rennt, diesem den Sachverhalt erklärt, ihn überstimmt und mit der Hand anzeigt: Tor für Wil. Die Gäste jubeln. Doch Jancevski diskutiert weiter an der Seitenlinie. Und dann, als die Mannschaften fast schon wieder zum Weiterspielen bereitstehen, hebt Jancevski die Hand und zeigt an: Abseits – kein Tor! Wie bitte? Kein Tor – Tor – kein Tor! Verwirrung pur! Doch dabei bleibts. Später macht die Erklärung die Runde: Jancevski und sein Assistent wurden sich nicht einig. Darum der Entscheid, das Tor zu annullieren.
Drei, die herausragen
Die Wiler fühlen sich betrogen. Verständlich. Und die Aarauer? Sie nehmen den Steilpass der Fussballgötter auf und legen eine zweite Halbzeit auf den Rasen, die vielleicht nicht für alles, aber für vieles entschädigt, was sie bislang im Brügglifeld geboten haben. Am Ende wird Patrick Rahmen sagen: «Ich bin sehr stolz auf die Mannschaft, wie sie gekämpft hat und wie solidarisch sie aufgetreten ist.»
Herauszuheben aus dem Kollektiv sind drei Spieler. Beginnen wir bei Linus Obexer und Stefan Maierhofer. Ihr Doppelpass führt zum 1:0. Doch nicht nur wegen dieser Szene verdienen sie ein Extralob.
Obexer rennt sich am linken Flügel sprichwörtlich die Lunge aus dem Leib. Die YB-Leihgabe ist punkto Einsatz schon in allen bisherigen Spielen ein Vorbild, gegen Wil setzt er sich die Krone auf. Das honoriert auch die Experten-Jury und wählt Obexer zum «Mann des Spiels».
Dann Maierhofer: Er trifft zum zweiten Mal in Folge. Der 36-Jährige hat sich in den wenigen Wochen, in denen er beim FC Aarau ist, zum Anführer auf und neben dem Platz entwickelt. Er versorgt die Mitspieler mit Kopfhörern, Regenerationsgetränken und Stromgeräten, die er bei seinen Sponsoren ordert. Und er ist gegen Wil der Mann fürs Grobe, den jede Mannschaft braucht. Auch wenn keine Absicht dahinter steckt und sich Maierhofer direkt um seinen Gegenspieler kümmert: Doch die Szene in der ersten Halbzeit, in der er im Laufduell dem Wiler von Niederhäusern aufs Gesicht steht, schüchtert die Gäste ein.
Das letzte Lob geht an Djordje Nikolic. Im Jubel nach dem Schlusspfiff geht beinahe vergessen, dass ohne die zwei sensationellen Paraden des Serben im Tor der Sieg kaum zustande gekommen wäre.
Der Abend liefert zwei Erkenntnisse: Angesichts des biederen Auftritts scheint es in dieser Saison wenig zu brauchen, um Tabellenführer in der Challenge League zu sein. Und die Spieler des FC Aarau scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Der leidenschaftliche Auftritt ist auch ein Bekenntnis zu Trainer Patrick Rahmen. Doch der Sieg ist nur etwas wert, wenn in einer Woche in Chiasso das Aarauer Punktekonto weiteren Zuwachs erhält.