Tobias Widmer bekam den Mentaltrainer im Geschenkpapier überreicht

Tobias Widmer ist ein aussergewöhnlicher Schwinger. Aus drei Gründen. Erstens hebt er sich beruflich vom Grossteil der Gilde ab. Der 21-Jährige ist nicht Metzger, Schreiner, Bauarbeiter oder Landwirt – er arbeitet in der Personalabteilung von Holcim. Ein «Bürogummi» also. Zweitens sucht man beim 1,90 m grossen Modellathleten den Bauchansatz vergeblich. Er ist ein imponierend athletischer Sportler. Den Vergleich mit dem Schwingerkönig Kilian Wenger lässt er allerdings nur bedingt zu. «Kilian ist noch ein ganzes Stück athletischer. Da sieht man wirklich kein Gramm Fett», sagt Widmer.

Und drittens? Tobias Widmer reagiert mustergültig auf Inputs von Trainern. Das beweist gerade seine aktuelle Saison, in welcher er mit fünf Kranzgewinnen ein neues Niveau erreicht hat. Der Mann aus Oberentfelden lebt mit Inbrunst für den Schwingsport. «Der Kopf ist immer ein wenig beim Schwingen», sagt Widmer. Mit dem Virus hat er auch seine Familie und seine Freundin, die ihn an jedes Fest begleitet, angesteckt.

Die Bedeutung des Sports unterstreicht Tobias Widmer damit, dass er bereit ist, einen zusätzlichen Aufwand zu betreiben. Seit 2016 arbeitet er mit dem ehemaligen Spitzenschwinger Andreas Lanz als Athletiktrainer zusammen. Mit eindrücklichen Folgen. Innert acht Monaten steigerte Widmer sein Kampfgewicht um 20 auf heute 110 Kilogramm. Durch harte Arbeit – nicht bei McDonalds.

Im Kopf zugelegt
Auch in den letzten Wochen hat der insgesamt 13-fache Kranzgewinner wieder zugelegt. Diesmal im Kopf. Die sehr intensive Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer fruchtete erfreulich schnell. Wie diese zustande kam, ist eine spezielle Geschichte. Nach einem Bandscheibenvorfall im Winter und einer längeren Pause lief es Tobias Widmer beim Comeback am Guggibad-Schwinget überhaupt nicht nach Wunsch. «Mein Selbstvertrauen war am Boden, schliesslich hatte ich das Fest im Vorjahr gewonnen», sagt Widmer.

Während er noch mit dem Schicksal haderte, handelte seine Freundin, nahm Kontakt mit dem Aargauer Mentaltrainer Stefan Hell auf und wollte ihrem Tobias als Geschenk einige Stunden Betreuung durch Hell schenken. Dieser warf ein, dass so etwas kaum funktionieren werde, schliesslich müsse der Athlet voll und ganz hinter einem solchen Training stehen. Anstatt im Geschenkpapier kam der Mentaltrainer dann halt auf dem Überzeugungsweg zu Tobias Widmer. «Ich war rasch einverstanden, es zu versuchen.»

Den Schalter umgelegt
Der aufstrebende Schwinger spricht mit Begeisterung über die Folgen dieser Zusammenarbeit. «Die Betreuung ist intensiv. Stefan fokussiert sich sehr auf mich – als Athlet und als Mensch.» Und bei Tobias Widmer hat es gleich in zweierlei Hinsicht «Klick» gemacht. Einerseits kann er auf dem Schwingplatz mit einem Ritual beim Brunnen den Schalter umlegen und vom liebenswerten und charmanten Sportler zum richtig bösen Kämpfer werden. Und zweitens hat er seine Einstellung gegenüber den Zielen und Kontrahenten geändert. «Der Schlüssel war, dass ich aktiv etwas gegen das fehlende Selbstvertrauen gemacht habe. Es war ein grosser Schritt von meiner Seite. Ich bin vom Gejagten zum Jäger geworden.»

Heute sagt Widmer, er freue sich über eine möglichst harte Einteilung. Je mehr Eidgenossen er im Sägemehl trifft, umso besser ist er in einem Jahr beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Zug gerüstet, den ersehnten Kranz zu gewinnen. Er habe früher stets rangorientierte Ziele gehabt und aufgrund der Gegneranalyse seine Chancen abgewägt. «Heute ziehe ich mein Ding durch und versuche, in jedem Gang mein Bestes zu geben. Das hat viel Druck von meinen Schultern genommen», erklärt Tobias Widmer.

Gute Erinnerungen an Basel
Der Aargauer spürt, wie der Respekt bei der Gegnerschaft steigt. Selbst wenn er nun vermehrt bei den Spitzenpaarungen eingeteilt wird. All das gibt Selbstvertrauen. Und die Resultate kommen automatisch. Etwa der erste Kranzgewinn an einem Bergfest am Schwarzsee oder das erste Eichenlaub bei einem anderen Teilverbandsfest am «Südwestschweizerischen» in Couvet.

Auch an den Austragungsort des Nordwestschweizer Schwingfests in Basel von morgen Sonntag hat Tobias Widmer sehr gute Erinnerungen. Am «Baselstädtischen» stand er diesen Frühsommer erstmals im Schlussgang eines Kantonalschwingfestes. Zwar verlor er diesen gegen den Berner Gast Thomas Sempach, aber auf dem Weg dorthin erlebte er mit dem Willenssieg in einem intensiven Duell gegen Roger Erb ein persönliches Highlight.

Ein anderes war der erste Sieg gegen Eidgenosse Mario Thürig beim Niklaus-Thut-Schwingen in Zofingen. Dieser hatte für Tobias Widmer eine emotionale Bedeutung. «Mein erster Kampf als Aktivschwinger war gegen Mario Thürig. Ich hatte keine Chance und war unglaublich beeindruckt. Aber ich hatte mir damals zum Ziel gesetzt, ihn eines Tages zu bezwingen», sagt er.

Tobias Widmer hat gezeigt, dass er sich nicht nur Ziele setzt, sondern etwas dafür tut, um sie zu erreichen. So weiss der in Rupperswil aufgewachsene Hüne ganz genau, wo er sich bis zum «Eidgenössischen» noch verbessern muss. «Ich will technisch vielseitiger werden und mein Repertoire an Schwüngen vergrössern», sagt Widmer. Damit könne er Gänge mit Gegnern gewinnen, die zunehmend passiv gegen ihn schwingen.

Leise Hoffnungen auf Exploit


Der Schwingklub Zofingen steht in dieser Saison mit fünffachem Eichenlaub seines Aushängeschildes Patrick Räbmatter (Uerkheim) sowie dem ersten Kranzgewinn von Aaron Rüegger (Rothrist) zu Buche. Am «Nordwestschweizerischen» vom Sonntag in Basel sind neun Zofinger eingeschrieben. Der Technische Leiter Simon Schär fehlt auf dieser Liste. «Ich bin angeschlagen und will dem Verein vor allem im Amag-Cup noch helfen», sagt der Schöftler. Er ist jedoch zuversichtlich, dass «Räbi» sowie Kornel Arnold (Reidermoos) und Aaron Rüegger am Rheinknie um Eichenlaub mitreden werden. «Patrick trainiert zwar wenig im Schwingkeller, aber er macht die Kränze trotzdem», sagt Schär. Am Teilverbandsfest bietet sich den einfachen Kranzern Arnold und Rüegger die Chance, mit einem Exploit ihrem Status ein zweites Sternchen anzuhängen. Vor allem Neukranzer Rüegger zeigte nach seinem Erfolg am Solothurner «Kantonalen», dass er heiss ist auf eine zweite Krönung. Arnold verletzte sich am Weissenstein-Schwinget an den Schultern, ist davon aber genesen. Der Defensivspezialist kommt immer für eine Überraschung in Frage, aber der Kampf gegen die weiteren 126 gemeldeten Schwinger wird für alle 9 Zofinger eine harte Prüfung. Das Anschwingen in der Basler Sandgrube beim Badischen Bahnhof beginnt um 8.30 Uhr. (wr)

Basel. Nordwestschweizer Schwingfest. Spitzenpaarungen 1. Gang: Nick Alpiger – Curdin Orlik. Samuel Giger – Patrick Räbmatter (Uerkheim). David Schwmid – Andreas Ulrich. Simon Anderegg – Christoph Bieri. Roger Erb – Benjamin Gapany. Mike Müllestein – Remo Stalder. Augustin Brodard – Stephan Studinger. Roger Rychen – Janic Voggensperger.