
Vor der Pandemie war Josef Ender (51) noch nie an einer Demo – und plötzlich wird er zum Aktivisten
Der «ausschlaggebende Moment» für ihn war im Frühjahr 2020, als der Bundesrat den Lockdown verlängerte. «Grundlos und unverhältnismässig», sagt Josef Ender. In dieser Zeit befasste er sich im Internet intensiv mit dem Thema, studierte die Analysen von in seinen Augen «neutralen Fachleuten».
Ja, es gebe schwere Verläufe, aber das Coronavirus sei nicht wahnsinnig aussergewöhnlich. Auch an der normalen Grippe könnten Menschen sterben.
«Corona ist keine Seuche, die uns alle hinraffen wird.»
Impfen ist für ihn kein Thema. Nur einmal hat Ender eine Maske aufgesetzt, an einer Demo, «Schützt vor Busse, nicht vor Viren» war darauf zu lesen. Er hat ein Attest.
Und dann, am 9. Mai 2020, steigt er in den Zug. Er, der vorher noch nie an einer Demonstration teilgenommen hatte. Hin und wieder besuchte er eine Gemeindeversammlung, regelmässig ging er abstimmen, aber politisch habe er sich nie engagiert. Einer Partei fühlt er sich nicht zugehörig. Ender fährt alleine nach Bern und geht mit mehr als 1000 Leuten auf die Strasse. Die «Massenmedien», die Ender eigentlich am liebsten ignoriert, hätten von lediglich 200 Teilnehmern geschrieben.
In Bern kassierte er eine Anzeige der Polizei
Da hat es ihn gepackt. Nur eine Woche später nimmt Ender, Vater von zwei Töchtern im Studentenalter und wohnhaft in Ibach, zusammen mit Marion Russek, Co-Präsidentin der nationalen Organisation Freunde der Verfassung, an der nächsten Anti-Corona-Kundgebung teil. Bestärkt in seiner Meinung, dass der Staat in der Pandemie völlig überreagiere, wird er, als er von der Polizei angezeigt wird. «Noch nie hat es an einer Coronademo Ausschreitungen gegeben.»
Heute ist Ender eines der prominentesten Aushängeschilder der Anti-Corona-Bewegung in der Schweiz. «Für mich war schnell klar, dass wir hinstehen und unser Gesicht zeigen müssen.» Er tut es. Geht es um das Virus, ist Ender bestens informiert, er jongliert mit Zahlen und Statistiken, zitiert als Quellen das Bundesamt für Gesundheit oder den europäischen Staatenvergleich «Euromomo». Auf der grossen Bühne ist er redegewandt und kontert spitz – meistens in anständiger Wortwahl. Kurzum: Er macht einen seriösen Eindruck. Er sagt Sätze wie:
«Der Dialog ist mir wichtig.»
Oder:
«Ich finde es schade, wenn jemand persönlich angegriffen wird, es geht um die Sache.»
Da hört man unter den Massnahmenkritikern auch mal anderes. Weil es nur eine Wahrheit gibt, nämlich die ihrige, sind sie überzeugt.
Dass der ehemalige Schwyzer Regierungsrat René Bünter an einer Kundgebung im letzten Jahr die aktuellen Regierungsmitglieder als Verbrecher betitelte, sei sicher «nicht so sinnvoll» gewesen. Manchmal gehe es auch ihm zu weit, etwa dann, wenn Corona-Massnahmenkritiker das Thema Pädophilie in Zusammenhang mit der Pandemie brächten. «Dann sage ich klar ‹Stopp›, das ist nicht unser Thema.» Ender ist kein Polterer, er scheint in der Öffentlichkeit der Gemässigte zu sein in der bunten, teils radikalen Schar der Corona-Massnahmengegner. Ender nennt sie «Bürgerrechtler».
Lehre als Mechaniker, in der Freizeit ein Computer-Tüftler
Wir blicken zurück: Aufgewachsen ist Ender auf einem Bauernhof im Muotathal. Mit der einen Schwester ist der Kontakt in letzter Zeit nicht mehr intensiv, sie gehöre eher zur ängstlicheren Gruppe. Nach der Schulzeit absolvierte er eine Lehre als Landmaschinenmechaniker in Brunnen. In seiner Freizeit war Ender aber immer auch ein Tüftler, der sich für Computer begeisterte.
Und so war es für ihn der logische Schritt, später bei einer Softwarefirma im Kanton Zug einzusteigen. Mit ein paar Weiterbildungen, aber vor allem autodidaktisch habe er sich das nötige Rüstzeug angeeignet. Und als im Jahr 2004 die Zweigstelle geschlossen wurde, hat Ender in denselben Büros in Neuheim eine eigene Informatikfirma eröffnet. Er beschäftigt fünf Mitarbeiter, zu den Kunden gehören KMU, die IT- und Softwarelösungen benötigen.
Man ahnt es bereits, die Coronaphase, in welcher Firmen für ihre Mitarbeiter Homeoffice-Strukturen aufbauen mussten, war für Enders Firma eine gute Zeit. Kurzarbeit oder Härtefallgelder vom Staat musste der heute 51-Jährige keine beantragen. Und doch sah er, wie andere «wegen des Arbeitsverbots» ihr Geschäft dichtmachen mussten.
Nach den Demonstrationen, wo er auf Gleichgesinnte getroffen ist, beginnt sich Ender in Deutschland, aber auch in der Schweiz zu vernetzen. Eine Gruppe wird in Zug gegründet, es folgt ein Treffen auf dem Rütli, wo er die Urner Lehrerin Priska Würgler kennen lernt. Und bald gehört er zu den Drahtziehern, als in Schwyz und Uri Regio-Gruppen wachsen. Weitere Zentralschweizer schliessen sich an, es entsteht im Oktober 2020 das Aktionsbündnis Urkantone.
Ender betont mehrmals, dass er nicht alleine sei, viele würden im Hintergrund mitanpacken. Zu ihren Unterstützern zählt die Organisation heute 1200 Personen. Der Kreis der Sympathisanten ist vermutlich sehr viel grösser, am 13. Juni haben im Kanton Schwyz 42’876 Bürgerinnen und Bürger (59 Prozent) ein Nein zum nationalen Covid-19-Gesetz in die Urne gelegt.
Zweites Referendum: Eins Sammlung in Rekordzeit
«Wir alle sind Laien und wussten nicht, wie man eine politische Kampagne führt»,
erzählt Ender. Erst spät habe man herausgefunden, dass man auch bei einer Gesetzesänderung das Referendum ergreifen könne. Und so kamen nur innerhalb eines Monats (nach eigenen Angaben) 187’500 Unterschriften fürs zweite Referendum gegen das Covid-19-Gesetz zusammen – das sind fast viermal so viel wie nötig. Das Aktionsbündnis Urkantone richtete selber ein Sammelbüro ein und steuerte 25’000 Unterschriften bei.
Die Gegner wollen so die alleinige Macht des Bundesrats verhindern sowie auch die digitale Überwachung der Bürger und die Diskriminierung der Ungeimpften. Im November voraussichtlich werde abgestimmt, und das Nein werde noch viel deutlicher ausfallen als noch im Juni, da ist sich Ender sicher. Dann könne der Bundesrat nicht mehr wie beim letzten Mal das Volk «erpressen» und drohen, die Härtefallzahlungen würden eingestellt.
Daheim bei den Enders am Küchentisch gab es Diskussionen, als der Vater plötzlich zum Aktivisten wurde. Seine Partnerin sei anfangs anderer Meinung gewesen, bis sie sich mit dem Thema befasst und ein Buch eines Wissenschafters gelesen habe. Die eine Tochter mache heute «aus eigener Überzeugung» an Demos mit. Bevor es mit dem Abstimmungskampf losgeht, macht Ender erst mal Bike-Ferien in der Schweiz, er fährt von Wassen nach Aigle.
Entsteht aus der Bewegung bald eine politische Partei?
Und wie geht es nachher weiter? Man hört gerüchteweise, dass die Corona-Massnahmenkritiker eine Partei gründen wollen, die sich – ganz grundsätzlich – gegen den «Machtausbau des Staats» («Immer mehr Gesetze, weniger Freiheiten für die Bürger») wehren soll. Ender würde gerne mitmachen. Doch steht er auch vor einem Dilemma, als künftiger Politiker müsste er sich genau in jenes System hineingeben, deren Entscheide er heute kritisiert.