
Ein einig Volk von glücklich Sedierten
Im «World Happiness Report» belegt die Schweiz den fantastischen fünften Rang unter 156 «untersuchten» Ländern. Vor uns liegen nur Finnland, Norwegen, Dänemark und Island. Irgendetwas kann da nicht stimmen!
Man muss weder Marktforscher noch Psychologe sein, um zu merken, wo die Problematik dieser Studie liegt: Wie misst man Glück? Oder anders gefragt: Sollte man angesichts der Tatsache, dass Glück erstens ein grosses Wort ist und zweitens im Normalfall keinen Dauerzustand repräsentiert, sondern flüchtige Momente im Leben, nicht eher von «Zufriedenheit» sprechen? Nun, die Top-Platzierungen – es handelt sich jedesmal um dieselben, wohlhabenden europäischen Nordländer – lassen vermuten, dass «Glück», wie es in diesem Report definiert wird, nicht unerheblich mit materiellem Wohlstand verlinkt ist.
Ich war noch nie in Finnland oder in Island, aber ich lebe seit 45 Jahren in der Schweiz, und wissen Sie was: ich habe absolut nicht das Gefühl, von lauter übermässig glücklichen Menschen umzingelt zu sein, sondern eher von zunehmend gestressten, überforderten, egoistischen und selbstzufriedenen. Ich werde nicht der Einzige sein in diesem Land, der längst begriffen hat, dass materieller Überfluss keineswegs das Glück, sondern höchstens die Verlustangst und damit den Stress erhöht.
Kurz gesagt: ich habe meine Zweifel daran, dass das Resultat dieses Reports tatsächlich etwas mit dem Gefühl zu tun haben soll, das ich selber als Glück bezeichnen würde.
Das änderte sich letzten Sonntag, als ich es mir mit der «Sonntagszeitung» auf dem Sofa bequem gemacht hatte. «Jeder zweite Hausarzt-Patient nimmt Psychopharmaka», stand da in grossen Lettern auf der Front. (Zu den Psychopharmaka gehören Antidepressiva, Schlaf- und Beruhigungsmittel sowie Neuroleptika). Langsam dämmerte mir, wie man die vorderen Plätze im «World Happiness Report» belegt. Schnell mal «Länder mit dem höchsten Antidepressiva-Konsum» gegoogelt und auf stressforum.net fündig geworden: Platz eins belegt Island, Platz sieben geht an Dänemark, Platz 10 an die überglücklichen Finnen. Australien, Neuseeland, Kanada und Schweden – alle in den Top-Ten der glücklichsten Länder – finden sich ebenfalls in den Antidepressiva-Top-Ten.
Da der Psychopharmaka-Konsum in der Schweiz weiter munter steigt, dürfen wir uns berechtigte Hoffnungen machen, im nächsten «World Happiness Report» in die Top 3 vorzurücken.