
Lebenslänglich oder was?
Wie bitte? Das Wort «Lebenslänglich» steht in der Schweiz für eine Haftstrafe von 15 Jahren? Das wäre im Fall «Rupperswil» stossend und eine anschliessende Verwahrung als Zusatzstrafe zwingend. Allerdings geht es bei der Verwahrung nicht um eine Strafe, sondern um eine Massnahme. Das ist wie im Bereich des Strassenverkehrsrechts. Die Strafe für ein Vergehen ist die Busse oder eine Gefängnisstrafe – der Führerausweisentzug eine Massnahme.
Für einen Menschen wie Thomas N. müsste man «den Hebel umlegen», ihn «auf der Flucht erschiessen» – schrecklich, was man sich seit letzter Woche von Menschen anhören muss, die man bisher als vernünftige Leute geschätzt hat, die sich mannigfaltig für unsere Gemeinschaft einsetzen.
Wenn schon «Rübe ab» in unserem Rechtsstaat keine Option ist, dann wenigstens lebenslänglich mit anschliessender lebenslänglicher Verwahrung, wie das die Staatsanwältin gefordert hat? Dem gab das Bezirksgericht Lenzburg nicht statt – beschloss ordentliche Verwahrung.
Das Urteil sei ein Skandal und missachte den Volkswillen, hat mir ein Nachbar gesagt. Er wählt SVP, weil diese Partei und deren Vertreter dafür sorgen, dass sein Volkswille in die Praxis umgesetzt wird. Nur: Drei der fünf Mitglieder des nicht willfährigen Bezirksgerichts Lenzburg gehören der SVP an – unter ihnen der Gerichtspräsident. Die «volksnah knüppelharte» Staatsanwältin sass einst für die SP im Wettinger Einwohnerrat …
Ist Lebenslänglich ein Papiertiger ohne Biss? Im Gegenteil. Dazu das Bundesgericht im Jahr 2016: «Bei einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe ist eine bedingte Entlassung frühestens nach 15 Jahren zwar möglich. Sie ist aber nur zulässig, wenn die Vollzugsbehörden davon ausgehen können, dass der Verurteilte keine weiteren Verbrechen oder Vergehen mehr begeht. Ansonsten kann eine lebenslängliche Freiheitsstrafe tatsächlich bis zum Ableben des Inhaftierten dauern.»
Weshalb dann die Massnahme der Verwahrung? Weil es gefährliche Verbrecher gibt, welche nicht lebenslänglich hinter Gitter wandern – Vergewaltiger mit schlechter Prognose zum Beispiel. Während die Strafe eine Schuld ausgleichen soll, ist das Ziel der Massnahmen, weitere Delikte zu verhindern. Bei einem Urteil auf Lebenslänglich überlappen sich Strafe und Sicherungsmassnahme.
In der Praxis kommt eigentlich nur die normale Verwahrung zur Anwendung. Das Bundesgericht hat bisher alle lebenslänglichen Verwahrungen aufgehoben. Aktuell wird nur ein einziger Täter in der Schweiz im Sinne der Volksinitiative lebenslang verwahrt. Er hatte seine Verurteilung nicht an das Bundesgericht weitergezogen.
Was im Umfeld zu «Rupperswil» ins Auge springt, ist, dass das Strafrecht zum gesellschaftspolitischen Allerweltsheilmittel mutiert. In Zahlen: In den letzten zehn Jahren gab es 60 Revisionen mit neuen Bestimmungen. Löst das die Probleme? «Es kann bei der Anwendung des Strafrechts einzig darum gehen, die elementaren sozialen Normen zu sichern, und nicht darum, eine höhere Gerechtigkeit auf Erden herzustellen», sagte einst Rechtsprofessor Günter Stratenwerth.