Die Bahai-Glaubensgemeinschaft feiert ihren Gottesdienst alle 19 Tage

Der Glastisch in der Mitte des Sitzkreises reflektiert das Licht der Stehlampe. Dass es so hell ist, scheint niemanden zu stören. Die meisten halten ihre Augen geschlossen, eine Person liest einen kurzen Text zu Ende. Dann ist die nächste dran. Zwölf Menschen sitzen an einem Mittwochabend in einem weissen Aufenthaltsraum des Hotels Alpha in Luzern. Neun davon sind Bahai-Gläubige, drei Besucher. Sie halten eine spirituelle Andacht und lauschen den Worten ihres Religions-Gründers Bahā’ullāh. So beginnt das 19-Tage-Fest, der Gottesdienst der Bahai-Gläubigen.

Bahaitum, das ist nach Ansicht deren Gläubigen die jüngste Weltreligion. Letzten Oktober feierten sie das 200-Jahr-Jubiläum, die Geburt ihres Stifters Bahā’ullāhs. Es sei eine festliche Zeit, in der sie sich befänden, sagt Pouya Iranmanesh, ein 34-jähriger Arzt, der für ein Jahr lang im Kantonsspital Luzern arbeitete. Nächstes Jahr feiert die Gemeinde den 200. Jahrestag der Geburt von Bab, den die Gläubigen als den Wegbereiter Bahā’ullāhs betrachten.

Ungefähr sechs Millionen Menschen weltweit sind Bahai. In der Schweiz umfasst die Gemeinschaft rund tausend Gläubige. Viele wohnen in der Westschweiz. Die Gemeinde in Luzern ist mit ihren neun Mitgliedern relativ klein und umfasst auch Mitglieder aus der restlichen Innerschweiz. In der katholisch geprägten Region haben die Bahai-Gläubigen einen schweren Stand. Man nimmt die Religion in der Öffentlichkeit aber kaum wahr, zumal man in ihr kein Problem sieht, sagt Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler an der Uni Bern.

Pouya Iranmanesh hat wie viele andere Gläubige einen iranischen Hintergrund. Bereits die Eltern und die Grosseltern waren Bahai. Er ist mit der Religion gross geworden, sagt aber: «Auch ich hatte Zweifel.» Der Glauben hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert in Persien. Weil sie noch ziemlich jung ist, wurde die Bahai-Religion von vielen als eine Sekte wahrgenommen, die aus dem Schiitentum – nach dem Sunnitentum die zweitgrösste religiöse Strömung innerhalb des Islams – entstand.

Allerdings habe sich die Religion mit ihren Anhängern 1848 in religionsrechtlicher und kultischer Praxis vom Islam distanziert, schreibt Manfred Hutter, Professor der Vergleichenden Religionswissenschaft, in seinem Buch «Handbuch Bahai», das 2009 erschien. «… Als junge Religion teilt die Bahai-Religion manche Inhalte mit anderen Religionen, keineswegs nur mit dem Islam …». Daher sei der Anspruch der Bahai-Gemeinschaft, eine eigenständige Religion und keine islamische Sekte zu sein, religionswissenschaftlich zutreffend. Man könne die aktuelle Bahai-Religion durchaus als Weltreligion beschreiben, schreibt Hutter in seinem Buch.

Im Mittelpunkt steht der Glaube an einen transzendenten Gott, an die Einheit der Menschheit in ihrer Vielfältigkeit und die mystische Einheit der Religionen. Bahaitum beinhaltet auch konkretere moderne Grundsätze wie: Harmonie zwischen Religion und Wissenschaft sowie Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Zudem habe die Religion insofern einen modernen Charakter, als sie Ritual und Gottesdienst auf ein Minimum reduziere, sagt Reinhard Schulze, Islamwissenschaftler an der Uni Bern. Allerdings ist das Bahaitum nicht nur modern: Drogen und Kinder ausserhalb einer Ehe sind nicht erlaubt.

Die Bahai-Gläubigen im Sitzkreis öffnen langsam ihre Augen und wenden sich der Person zu, die durch den Abend leitet. Eine Autorität gibt es weder an diesem Abend noch im Bahaitum selbst. «Wir haben keinen Klerus», sagt Pouya Iranmanesh. Sie hätten lediglich administrative Strukturen. Nach dem spirituellen Teil gibt es am 19-Tage-Fest einen Beratungsteil und einen sozialen Teil mit Essen und Getränken. Die Anwesenden erheben sich von ihren Stühlen. 30-Jährige mischen sich unter 60-Jährige, Turnschuhe unter Lederschuhe.

So unterschiedlich die Gläubigen sind, so unterschiedlich war auch ihre erste Begegnung mit der Religion. Viele der älteren Generation waren einst Katholiken. Das Christentum liess ihnen aber zu viele Fragen offen. Sie suchten nach einer neuen Religion – bis sie das Bahaitum fanden. «Der Bahai-Glaube gab mir Antworten, die ich logisch fand. Nur Jesus, sonst niemand – das hat mich auf Distanz zum Christentum gebracht», sagt ein Mann, der in den 70er-Jahren zu den Bahai-Gläubigen stiess.

Die Bahai-Gemeinde glaubt an das Prinzip der fortschreitenden Offenbarung. Das heisst: irgendwann werde auch das Bahaitum durch eine neue Religion abgelöst. «Es gibt Wahrheiten, die für immer wahr bleiben wie beispielsweise: du sollst nicht töten. Und dann gibts viele Gesetze, die nur mit einem bestimmten Zeitalter und Umständen verbunden sind», sagt Pouya Iranmanesh. «Es gibt einfach Sachen, die sich ändern müssen. Der Mensch entwickelt sich und deshalb kommt nach einer gewissen Zeit auch eine neue Religion.» Auf gewisse Dinge wie die Entstehung der Erde habe die Wissenschaft aber auch heute keine Antworten. «Man kann sagen: das ist Zufall. Was für mich aber logischer ist: Es gibt eine Kraft dahinter. Man kann die benennen, wie man will. Ich nenne sie Gott.»

Pouya Iranmanesh musste als Dreijähriger mit seiner Familie aus dem Iran fliehen. Seit der Islamischen Revolution 1979 werden dort Bahai-Gläubige vermehrt diskriminiert. Angehörige dieser Religion dürften beispielsweise nur die obligatorische Schule besuchen, sagt Iranmanesh. Auch im Arbeitsmarkt würden Bahai nach wie vor benachteiligt. Vor wenigen Wochen zog Pouya Iranmanesh von Luzern nach Genf zu seiner Frau. Dort wird er weiterhin seinen Glauben leben. In Genf verfügt die Gemeinde sogar über ein Glaubenszentrum und muss ihre Gottesdienste nicht in einem Hotelzimmer abhalten.