
Ich bin nicht stolz, Schweizer zu sein
Seit meinem dritten Lebenstag wohne ich in Zofingen. Im Spital in Langenthal auf die Welt gekommen, in die Thutstadt «übersiedelt», hier hängen geblieben und mittlerweile sogar Ortsbürger. Zuweilen werde ich dafür belächelt, so etwas passt in der Zeit der Globalisierung nicht mehr ins gängige Bild. Aber ich lebe gern hier, kenne mich aus und kenne vor allem die Menschen und ihre Eigenheiten.
Trotzdem bin ich keineswegs stolz darauf, Zofinger oder Schweizer zu sein. Weshalb, werden sich die «wahren» Eidgenossen fragen. Die Antwort ist sehr einfach: Wie kann ich auf etwas stolz sein, für das ich überhaupt nichts kann? Denn die Definition verrät: «Stolz ist die Freude, die der Gewissheit entspringt, etwas Besonderes, Anerkennenswertes oder Zukunftsträchtiges geleistet zu haben.»
Ich bin wirklich froh darüber, an einem so schönen, sauberen und vor allem friedfertigen Ort leben zu dürfen. Ich bin mir des unglaublichen Privilegs bewusst – jeden Tag aufs Neue. Ich bin dankbar dafür, dass meine Kinder hier aufwachsen dürfen und nicht in einem Kriegsgebiet um ihr Leben fürchten oder in der Dritten Welt Hunger leiden müssen. Aber stolz darauf bin ich nicht. Ebenso wenig, wie darauf, dass ich ein Mann bin, dass ich 1,83 m gross bin, dass ich weisser Hautfarbe bin, dass ich strahlend blaue Augen habe oder dass ich 43 Jahre alt bin – und immer noch wie 30 aussehe. Denn es sind alles Zufälligkeiten, die ohne mein Zutun so sind, wie sie sind.
Das wiederum bedeutet aber nicht, dass nicht auch ich hie und da dieses spezielle Gefühl empfinde. Ich bin stolz auf die Mitglieder meiner Familie, vor allem, weil sie all meine Macken zu akzeptieren versuchen. Ich bin stolz darauf, wenn mir Fremde zu meinen gut erzogenen Kindern gratulieren. Ich bin stolz auf das Engagement meines kleinen Sportredaktionsteams. Ich bin stolz darauf, dass ich mich seit vielen Jahren jede Woche zweimal ins Fitnesscenter quäle, obwohl man es mir nicht ansieht und es ganz viele Dinge gibt, die ich deutlich lieber mache. Ich bin stolz darauf, dass ich mich immer wieder zusammenreissen kann und keine Gewalt anwende, wenn mir böse Menschen begegnen. Ich bin stolz darauf, wenn mir ab und zu ein schönes Foto gelingt – und nicht zuletzt, wenn ich wieder eine vernünftige Kolumne aus der Feder «geschüttelt» habe.