
Ottmar Hitzfeld : «Aarau ist für mich ein Stück Heimat»
Keine Chance: Anders als sein vier Jahre älterer Kollege Jupp Heynckes in München hat sich Ottmar Hitzfeld (68) nicht weichkochen lassen und vor wenigen Tagen die angebliche Anfrage aus Dortmund abgelehnt. Begründung: «Ich denke an meine Gesundheit und traue mir das auch nicht mehr zu.» Somit bleibt die Schweizer Nationalmannschaft (2008 bis 2014) die letzte Wirkungsstätte des zweifachen Champions-League-Siegers und Welttrainers. Lanciert hat Hitzfeld seine Karriere in Aarau, wo er von 1984 bis 1988 erstmals eine Profimannschaft trainierte und 1985 den Cuptitel ins Brügglifeld holte. In jenes Stadion also, das immer noch das Aushängeschild, mittlerweile aber auch der grosse Bremsklotz des FC Aarau ist. Seit über einem Jahrzehnt wartet der Klub auf ein neues Stadion. Kurz vor Ablauf der Baubewilligung für das Projekt im Torfeld Süd macht sich mit Hitzfeld nun auch der berühmteste Mitarbeiter der FCA-Historie für die neue Arena stark und unterstützt «meinstadion.ch».
Herr Hitzfeld, haben Sie schon für das neue FCA-Stadion gespendet?
Hitzfeld: Ich werde mich vor meinem Besuch in Aarau noch im Detail schlaumachen darüber, aber ich kann Ihnen versichern: Das Projekt hat meine volle Unterstützung. Aarau wartet schon seit Ewigkeiten auf ein neues Fussballstadion. Ohne ein solches ist der Spitzenfussball im Kanton leider dem Untergang geweiht.
Sie beehren den «meinstadion.ch»-Event am Aarauer Weihnachtsmarkt mit Ihrem Besuch – wieso?
Hitzfeld: Ich verbinde mit dem FC Aarau eine meiner schönsten Zeiten als Trainer. Den 35-jährigen, unerfahrenen Hitzfeld zu holen, erforderte damals (1984; d. Red.) viel Mut von den Verantwortlichen um Präsident Dr. Treyer. Die vier Jahre in Aarau sind der Boden von allem, das danach kam. Wir waren beim FC Aarau wie eine Familie, inklusive aller Emotionen, die man als solche durchlebt. Dieses Gefühl hält bis heute an, Aarau bedeutet für mich ein Stück Heimat. Ich pflege noch einige Freundschaften in der Region. Die Gespräche drehen sich dann meistens um den FC Aarau.
Wann waren Sie letztmals im Brügglifeld?
Hitzfeld: Das muss in der letzten oder vorletzten Saison gewesen sein, als ich mit einem Freund spontan bei einem FCA-Spiel vorbeischaute.
Für viele ist das Brügglifeld das schönste Stadion der Welt. Aber gleichzeitig ist es für den FC Aarau ein grosser Bremsklotz. Wie denken Sie über dieses Dilemma?
Hitzfeld: Natürlich ist das Brügglifeld speziell sympathisch für alle Fussballfans. Aber gleichzeitig wollen die Leute ja auch einen FC Aarau in der Super League – und diesen gibt es nur mit einem neuen Stadion wieder. Es braucht Räumlichkeiten für Sponsoren und Events neben dem Fussball. Und die Zuschauer wollen ja auch nicht verregnet werden. Das Brügglifeld ist eine schöne Erinnerung, die bleibt für immer. Aber will der Aargauer Spitzenfussball in Zukunft noch wettbewerbsfähig sein, braucht es eine moderne Infrastruktur. Schauen Sie nach Freiburg: Dort hängen die Fans auch am alten Mösle-Stadion. Aber die Verantwortlichen haben mit dem neuen Stadion eine gute Alternative geschaffen, dank der der SC Freiburg eine Zukunft in der Bundesliga hat.
Wie streng verfolgen Sie den FC Aarau noch?
Hitzfeld: Die Resultate schaue ich mir nach jedem Wochenende an. Aber um über die Qualität der Mannschaft und des Trainers zu urteilen, bin ich zu weit weg.
Dem Klub geht es – auch wegen der Stadion-Problematik – nicht gut, er droht endgültig zur grauen Maus zu werden. Ihre Ferndiagnose?
Hitzfeld: Wie gesagt wär es unseriös von mir, einzelne Versäumnisse zu nennen. Ich bin sicher, dass alle beim FC Aarau involvierten Personen mit Herzblut dabei sind und nur das Beste für den Klub wollen. Aber als eher kleiner Klub ist Aarau in der Nahrungskette weit unten, die besten Spieler gehen zu grösseren Klubs, wo sie mehr verdienen. Nur mit einem neuen Stadion tun sich bessere finanzielle Perspektiven auf und der FC Aarau kann langfristig eine Mannschaft für die Super League aufbauen.
Mit Sandro Burki ist im August der langjährige Captain direkt vom Platz auf den Sportchef-Sessel gewechselt. Wie beurteilen Sie einen solchen Schachzug?
Hitzfeld: Nachdem es vorher seine Aufgabe war, gut zu spielen, ist er vom einen auf den anderen Tag für das grosse Ganze verantwortlich. Auch der Beste der Welt braucht in solch einer Situation Eingewöhnungszeit. Andererseits ist es sicher ein Vorteil, wenn der Sportchef selber Spieler war und weiss, wie das Innenleben einer Mannschaft funktioniert und wie ein Fussballer denkt.
Sie haben Burki 2008 zum Nationalspieler gemacht – kann er auch Sportchef?
Hitzfeld: Ich haben ihn nur damals im Kreis der Nationalmannschaft und später bei einigen Spielen des FC Aarau getroffen. Um seine Sportchef-Qualitäten beurteilen zu können, kenne ich ihn nicht gut genug. Dass mit Burki eine Person diese wichtige Position besetzt, deren Herz für den FC Aarau schlägt, ist jedenfalls ein nicht zu unterschätzendes Signal gegen aussen.
Bleiben wir bei der Nationalmannschaft: Qualifiziert sich die Schweiz an der WM 2018 für die Achtelfinals?
Hitzfeld: Als Trainer ist man ein Leben lang Optimist, und darum sage ich: Ja, die Schweiz schafft das zusammen mit Brasilien. Letztere sind der grosse Favorit in der Gruppe E und auch ein heisser Kandidat für den WM-Titel. Nach dem 1:7 an der Heim-WM gegen Deutschland hat sich das Team erholt und erinnert an das Brasilien früherer Zeiten.
Und wie schätzen Sie die anderen Schweizer Gruppengegner ein?
Hitzfeld: Als starke Gegner, die die Schweiz aber schlagen muss, will sie eine erfolgreiche WM spielen. Costa Rica ist technisch stark und hat mit der Viertelfinal-Qualifikation 2014 gezeigt, zu was es im Erfolgsrausch fähig ist. Bei Serbien gefällt mir, wie robust und taktisch clever die Mannschaft auftritt.
Welches sind die grössten Unterschiede, wenn Sie die Schweizer Nationalmannschaft von heute mit jener vergleichen, die Sie 2014 Ihrem Nachfolger Vladimir Petkovic übergeben haben?
Hitzfeld: Grosse Veränderungen sehe ich nicht. Die Stammelf besteht aus Spielern, die schon von mir aufgeboten wurden. Natürlich hat sich jeder einzelne Akteur entwickelt – die jungen Wilden von damals wie Shaqiri, Xhaka und Rodriguez sind mittlerweile Führungsspieler.
Wie bewerten Sie die Schweizer Leistungen in der WM-Qualifikation?
Hitzfeld: Neun Siege in zehn Spielen sind eine reife Leistung. Auch wenn ausser Portugal die Gegner keine klangvollen Namen hatten: So, wie die Mannschaft aufgetreten ist, muss man das erst mal machen. Vladimir Petkovic hat als Trainer die richtigen Worte gefunden und die Spieler so eingestellt, dass sie auch gegen Teams wie Andorra siegeshungrig und konzentriert ans Werk gingen. Das war sicher die schwierigste Aufgabe, und die hat Petkovic mit Bravour gemeistert.
Und das 0:2 am zehnten Spieltag in Portugal – ein Ausrutscher oder doch die Realität, dass der Schweiz bis zur Spitze noch viel fehlt?
Hitzfeld: Wenn man die zwei Spiele gegen Portugal nimmt, war es ja ein Duell auf Augenhöhe: Im Hinspiel war die Schweiz klar besser und hat 2:0 gewonnen, im Rückspiel war es umgekehrt. Mit Cristiano Ronaldo haben die Portugiesen einen Spieler, der schon allein mit der Anwesenheit seine Mitspieler stärker macht. Und mit Verlaub: In Portugal gegen den Europameister zu verlieren, ist keine Schande. Wie die Schweizer danach die vermeintliche Strafaufgabe gegen Nordirland gemeistert haben, hat die Charakterstärke der Mannschaft untermauert.
Wer wird 2018 Weltmeister?
Hitzfeld: Der Titelverteidiger ist auf dem Papier immer der Hauptfavorit. Aber auch sonst tippe ich auf Deutschland, weil Trainer Jogi Löw die Mannschaft nach den Rücktritten vieler Führungsspieler neu erfunden hat und sich in einem riesigen Reservoir an hervorragenden Spielern bedienen kann. Diese Breite an Weltklasse-Spielern sehe ich sonst bei keinem Team. Bester Beweis: Den Confederations Cup im vergangenen Sommer hat Deutschland gefühlt mit einer B-Elf gewonnen.
Und wie lautet Ihr Meistertipp für die Schweizer Super League?
Hitzfeld: Basel ist als grosser Favorit gestartet und wird am Ende auch vorne liegen. Nach Startschwierigkeiten ist durch die Erfolge in der Champions League die Selbstverständlichkeit wieder eingekehrt, der FCB rollt wieder wie zu besten Zeiten durch die Liga. YB hingegen hat in der Europa League enttäuscht und zuletzt auch in der Meisterschaft Probleme bekundet. Sie müssen aufpassen, dass sie nicht als Zweiter in die Winterpause gehen – der Frust beim Blick auf die Tabelle wäre psychologisch ein grosser Nachteil für die Rückrunde.
Stadion-Sause am Weihnachtsmarkt
Je vier Millionen vom Kanton und durch Crowdfunding sowie acht Millionen mittels Bankkredit: So will die Gruppe um Ex-FCA-Präsident Michael Hunziker 14 weitere Millionen für den Bau des Stadions im Aarauer Torfeld Süd beschaffen. Vor genau einem Monat wurde «meinstadion.ch» der Öffentlichkeit präsentiert, seither steigt das Spendenbarometer Tag für Tag. Die bis Ende Jahr angepeilte 1-Millionen-Grenze dürfte schon früher erreicht sein. Schon morgen am Aarauer Weihnachtsmarkt? An diesem nämlich (nähe Holzmarkt) wirbt «meinstadion.ch» am Samstag, 16. Dezember, am Puls der Bevölkerung für das neue Stadion. Zwischen 10 und 16 Uhr kommt es in einem attraktiven Rahmenprogramm zum Stelldichein zahlreicher Prominenz: Nebst vielen anderen angekündigt sind etliche Ex-Präsidenten, je eine Delegation der Cupsieger von 1985 und des Meisterteams von 1983 sowie Vertreter der heutigen FCA-Familie, bestehend aus dem Profiteam, der Frauenmannschaft und des Vereins FC Aarau 1902. Auch der vom neuen Stadtrat gebildete Stadion-Ausschuss um Hanspeter Hilfiker (FDP), Daniel Siegenthaler (SP) und Hanspeter Thür (Grüne) hat sein Kommen angekündigt. Als Stargast weilt ab ca. 11 Uhr der frühere FCA-Coach Ottmar Hitzfeld für Autogramme und Gespräche am Aarauer Weihnachtsmarkt. Neben Speis und Trank gibt es natürlich auch verschiedene Möglichkeiten zum Spenden.