Regierungsrat Guido Graf: «Die Tests waren nicht geheim»

Medikamententest

Zwischen 1950 und 1980 ist es in der Schweiz in verschiedenen Psychiatrischen Kliniken zu Tests an Patienten gekommen. Im Burghölzli in Zürich waren rund 1000 Personen betroffen. Bis Mitte 2018 soll ein Bericht darüber vorliegen. In Münsterlingen im Kanton Thurgau sollen sogar über 1600 Personen betroffen gewesen sein, darunter auch Verdingkinder. Auch hier läuft die Aufarbeitung. In Herisau (Appenzell Ausserrhoden) schliesslich kam sogar eine Patientin bei Tests um – ein Medikament, das getestet wurde, führte zu starken Nebenwirkungen. Jenes Medikament war nicht zugelassen und wurde 1957/58 an 18 Personen getestet. Bekannt wurde vor Jahren auch, dass Medikamente des Schweizer Pharmazieherstellers Roche in der ehemaligen DDR getestet wurden. Eine Expertenkommission hat in den Archiven von Roche dazu Untersuchungen vorgenommen. (SRF/LN)

Letzte Woche hat «Schweiz aktuell» des Schweizer Fernsehens SRF dem Luzerner Regierungsrat Dokumente vorgelegt, wonach mindestens fünf noch nicht zugelassene Medikamente an 208 Patienten in der Luzerner Psychiatrie in St. Urban getestet worden sind. Die Tests sind in den 1950er- und 60er-Jahren durchgeführt worden.

Offenbar ist es auch zu Zwangsbehandlungen gekommen, wie der Medizinhistoriker Urs Germann im SRF-Beitrag erklärte. Das dürfte nun auch einer der Inhalte sein, die eine externe Fachperson oder Institution im Auftrag der Luzerner Regierung zu untersuchen hat. «Noch nicht zugelassene Medikamente werden immer an Patientinnen und Patienten getestet, bevor sie zugelassen werden. Das war früher so und ist auch heute noch so. Die Tests waren denn auch nicht geheim», erklärt Guido Graf, Luzerner Regierungsrat und Gesundheitsdirektor. «Jetzt gilt es, seriös abzuklären, wie und unter welchen Umständen Patiententests in St. Urban in der damaligen Zeit durchgeführt wurden. Wir sind daran, eine externe Person oder eine externe Institution zu beauftragen, den Sachverhalt zu beleuchten. In einem ersten Schritt werden wir von einer externen Stelle punktuell Dossiers prüfen lassen. Dann gilt es, aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse das weitere Vorgehen zu analysieren und – nötigenfalls – weitere Schritte einzuleiten.»

Ob auch in anderen Luzerner Kliniken ähnliche Fälle vorliegen, dazu äussert sich Graf nicht: «Das ist gegenwärtig nicht Inhalt der Abklärungen. Wir konzentrieren uns jetzt auf St. Urban.» Die damaligen Experimente in St. Urban seien nicht verheimlicht worden, führt Graf weiter aus. «So wurden die Versuche in verschiedenen Zeitschriften vom damaligen Psychiater in St. Urban, Walter Pöldinger, ausführlich beschrieben und öffentlich gemacht. Was zeigt uns dies? Heute ist es Pflicht und gehört zum Renommee von Medizinern, dass sie neuste Erkenntnisse in Fachzeitschriften publizieren. Das war früher nicht anders.»

Heute andere Praxis

Das Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern legt starken Wert darauf, festzuhalten, dass sich an den Patiententests a priori nichts geändert habe. Solche Tests würden auch heute noch durchgeführt. Verändert habe sich jedoch die Vorgehensweise, bevor diese durchgeführt werden. «Heute benötigt man die Einwilligung einer Ethikkommission. Ausserdem muss der Patient ausführlich über den aktuellen Stand der Forschung sowie über allfällige Wirkungen und Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Erst dann dürfen solche Tests aufgrund der Einwilligung des Patienten durchgeführt werden», so Guido Graf.