Igel nicht voreilig ins Haus nehmen, sondern ihnen eine Hütte bauen

Zuerst ein Originalsatz aus der Herbstausgabe des «Igel-Anzeigers»: «Igel sind einzigartige Vermittler zur Welt der Natur. Ihr charakteristisches Aussehen und ihr Erscheinen in unsren Gärten und Siedlungsgebieten macht sie zu einer sehr beliebten Spezies.» – Und trotzdem machen wir dem stacheligen Nützling das Leben in unsrer Zivilisation fast unerträglich. – Auch ein Igel liebt eine warme Behausung für «ä tüüfe gsunde Schlaaf». Das Problem ist nur, dass auf dem Igel-Immobilien-Markt geeignete Behausungen oft Mangelware sind. Doch schön der Reihe nach.

Die goldenen Oktober-Herbsttage, die uns die allerschönsten Naturbilder in Hülle und Fülle spendierten, liessen auch unsere stacheligen Freunde, die Igel, aktiv bleiben, sodass sie weiter am Aufbau des wintertauglichen «Wettkampfgewichtes» arbeiten konnten. Denn auch die Würmer und Insekten merkten, dass es das Wetter heuer gut meinte mit ihnen. Wenn draussen die Temperatur auf fröstelnde 4 Grad absackt, stellt sich die Körpertemperatur der in den Winterschlaf gekugelten Igel darauf ein. Sie beträgt dann ebenfalls 4 Grad. Das Igelherz schlägt nur bis zu zehn Mal pro Minute. Etwa alle 30 Tage wird die Winterruhe kurz unterbrochen, um etwas Nahrung oder Wasser aufzunehmen. Sobald die Temperaturen im März zu steigen beginnen und die Tageslänge zunimmt, wacht der Igel dauerhaft auf. Den Gewichtsverlust von 20 bis 40 Prozent muss er nun durch emsige Nahrungssuche zu kompensieren versuchen. Ab April beginnt bereits die Partnersuche. Jetzt kann man den Einzelgänger auch zu zweit beobachten. Die ersten Jung-Igel kommen meist erst im August und September zur Welt. – Übrigens: Igel gab es schon vor 60 Millionen Jahren.

TV-Tierpapst Bernhard Grzimek appellierte einst: «Nehmen Sie alle Igel auf, die im November weniger als 800 g wiegen!» – Heute weiss man, dass versehentlich auch Muttertiere eingesammelt wurden, die beim Säugen leicht unter 600 g abgemagert waren. Das gut Gemeinte bedeutet nicht selten den sicheren Tod, oft für ganze Würfe. Nun gilt: Nur Tiere unter 400 g Körpergewicht zufüttern, mit Igel-Aufbaunahrung, Katzenfutter, Rührei oder ungesalzenen Nüssen. Haben die Tiere danach das nötige «Wettkampfgewicht» wieder erreicht, sollen sie an geschützten Stellen – z. B. in der Nähe eines Komposthaufens – zum wohlverdienten Schläfchen wieder ausgesetzt werden.

An den vergangenen prächtig-schönen Herbsttagen wurde wieder zünftig aufgeräumt und gerodet, was das Zeug hergibt, um den Hausgarten winterfest zu machen. Die wenigsten Leute bedenken dabei, dass eine übertrieben geordnete Umgebung Kleintieren – wie dem Igel – keinerlei Nahrung und Unterschlupf mehr bietet. Zum Beispiel sind Reisighaufen ein idealer Überwinterungsplatz für Igel, wenn man beim Aufschichten am Boden mit etwas grösseren Ästen beginnt, so dass der Igel Unterschlupf findet. Leider werden Baum- und Buschschnitt teilweise noch immer verbrannt, wobei womöglich schon Igel in den Zweigen Zuflucht gesucht haben, bevor diese angezündet werden. Auch die zu den Hauptfeinden des Igels zählenden Teller- und Fadenmäher werden im Herbst oft zur Säuberung schwer zugänglicher Stellen verwendet, was immer wieder zu grausamer Verstümmelung der hilf- und wehrlosen stacheligen Nützlinge führt. Hausgärten sind für die Artenvielfalt in unserer Tierwelt sehr wichtig und könnten im Siedlungsgebiet ein kompaktes Netz von Lebensräumen bilden. Auch können naturbelassene Flächen in einem winterlichen Garten äusserst attraktiv aussehen. Es ist durchaus möglich, igelgerechte Überwinterungsmöglichkeiten bewusst als Gestaltungselement im jetzt kahl werdenden Garten einzusetzen.

Viele Herbstarbeiten könnte man sich ohnehin sparen. Herbstlaub auf dem Rasen schadet entgegen der verbreiteten Meinung überhaupt nichts. Würmer ziehen einen Teil der dürren Blätter in den Boden. Sie lockern und düngen damit die oberste Humusschicht. Bitte helfen Sie den sympathischen Stachelzwergen über die kalte Jahreszeit: Lassen Sie das Laub liegen und einen Teil Ihres Gartens verwildern. Igel sind keine «Hausgartentiere», um die man sich kümmern muss, es sind richtig urtümliche Wildtiere und sie brauchen möglichst viele naturnahe Grünflächen. Ohne Lebensraum wird der Igel bei uns aussterben, da helfen auch die ganzen gutgemeinten Hilfsaktionen mit Schlafhäuschen und Futterstellen nichts.

Durch Stacheln geschützt haben die Igel die letzten 30-40 Millionen Jahre überstanden. Sie waren schon zur Zeit der Auffaltung der Alpen unterwegs und haben sich nach der letzten Eiszeit wieder hier angesiedelt. Man kann davon ausgehen, dass sie auch uns Menschen überleben werden, möglicherweise aber nicht bei uns. Noch vor sechzig Jahren besiedelten Igel  das ganze kleinräumig strukturierte Mittelland mit seine vielen Hecken und Sträuchern, dann wurden sie durch die industrialisierte Landwirtschaft verdrängt. Heute kommen sie nur noch in unseren Siedlungen vor.

Wer Igel wirklich mag, überlässt ihnen einen Teil seines Gartens. Es genügen einige Quadratmeter Wildwuchs mit langstieligem Gras, Laub- und Totholzhaufen und Sträuchern mit Dickicht untenrum. Igelfreunde benutzen Gartengeräte mit viel Vorsicht, pflanzen nur einheimisches Gewächs und, jetzt aktuell, lassen das Laub liegen. Unter dem Laub findet der Igel vor und nach dem Winterschlaf die dringend benötigte Nahrung.

Neben den Gartenbesitzern sind es die Automobilisten, die einen wichtigen Beitrag zum Überleben der Igel  leisten können. Nächtliche Strassen wirken unbelebt und verleiten zu überhöhter Geschwindigkeit. Dabei geht vergessen, dass genau in diesen ruhigen Nachtstunden die heimlichen Bewohner unserer Siedlungen aktiv sind. Igel, Kröten und Co. sind auf Futtersuche oder Freiersfüssen – und müssen Nacht für Nacht unzählige Strassen überqueren. Sportliche Igelmännchen bringen es im Schnitt auf elf Strassenquerungen pro Nacht. Eine angepasste, vorsichtige Fahrweise verhindert viel Elend  und bringt mehr Nachtruhe für die Anwohner.

Kurz zusammengefasst: Igel sind robuste Wildtiere, die keine Hilfe, sondern Rücksicht brauchen. Giftfreie Gärten mit ein bisschen Wildwuchs und aufmerksame Automobilisten – nur das sichert dem einheimischen Braunbrustigel das Überleben.

Also, liebe und geschätzte Gartenbesitzer: Lassen Sie doch das «Puff» im Garten über den Winter einigermassen liegen, vielleicht werden Sie dafür schon bald einen stacheligen Untermieter haben, der Ihnen dann im Frühling als Dank seine Kinderschar an einem schönen, milden Abend vor Augen führt. – Ich wünsche Ihnen eine unversehrte, harmonische und sorgenfreie Woche. Und schön wäre zum Schutze unserer nützlichen Igel, wenn Sie den einen oder anderen Tipp befolgen würden.