
«Die Tasche selber tragen? Kein Problem»
Der neue EHCO-Ausländer Jay McClement hat aufregende Tage hinter sich: Noch vor etwas mehr als einer Woche kannte er die Schweiz lediglich vom Hörensagen. Doch dann ging es Schlag auf Schlag: Am Freitag bestieg er in der Heimat ein Flugzeug, landete am Samstagmorgen, 9 Uhr, in Zürich, stand um 11 Uhr mit dem EHCO-Team bereits auf dem Eis und bestritt sein erstes Training im Stadion Kleinholz. Am Sonntag folgte sein erstes Spiel im EHCO-Dress beim 3:2-Sieg in Rapperswil. Nun sitzt der 34-Jährige nach dem Montagmorgen-Training im Restaurant «Muusfalle», gut gelaunt, den Jetlag überwunden, aber weit weg von seiner Frau und seinen zwei Kindern (4 Jahre und 6 Monate alt) und spricht über das knallharte Business in der NHL, seine ersten Eindrücke in der Schweiz und bevorstehenden Aufgaben.
Jay McClement, als bekannt wurde, dass der EHC Olten sich für einen dritten Ausländer interessiert, haben wir uns umgehört, welche Spieler sich auf dem Markt befinden. Ein Sportchef eines NLA-Teams nannte Ihren Namen, mit dem Hinweis: «Das ist wohl keiner für die NLB.» Nun haben Sie in Olten unterschrieben und die Schweizer Hockeyszene staunt…
Jay McClement: Nun, in meinem Alter von 34 Jahren tickt die Uhr, meine NHL-Karriere neigt sich allmählich dem Ende zu. Mit jedem Tag wird es schwieriger, einen Platz in einem Team zu erkämpfen. Ich wollte es in der NHL, bei den Pittsburgh Penguins, noch einmal probieren, erhielt einen Probevertrag, doch leider hat es nicht gereicht.
Warum nicht?
Ich muss sagen: Pittsburgh-Manager Jim Rutherford behandelte mich sehr fair. Er hatte stets das Gefühl, dass ich noch immer das Potenzial hätte, in der NHL spielen zu können. Aber dann wurde das Team so zusammengestellt, dass es für mich keinen Platz mehr gab.
Wie gross war Ihre Hoffnung, dass es doch noch irgendwo mit einem NHL-Vertrag klappen könnte?
Es war mir immer bewusst, dass es ein harter Weg ist, sich als Probespieler in der NHL behaupten zu können. Es gibt unzählig viele Spieler, die sich in meiner Position befinden und sich um einen Platz als Viertlinien-Center eines NHL-Teams bemühen. Manchmal funktioniert es dann, manchmal nicht. Ich habe nichts zu bedauern, ich habe alles gegeben und habe gut gespielt. Es hat nicht sollen sein.
Wann wurde dann Europa für Sie zu einer Option?
Nach dem negativen Bescheid in Pittsburgh wollte ich erst einmal abwarten, weil es in den ersten Wochen der NHL-Saison viel Bewegung in den Teams gibt, welche jungen Spielern eine Chance geben, diese aber den Schritt doch nicht schaffen. Ich hatte das Gefühl, dass sich noch etwas ergeben könnte. Man muss sich dann aber sehr schnell entscheiden. Jeder Tag, an dem du keinen Anruf erhältst von einer Organisation, ist ein verlorener Tag. Die Türe zur NHL schliesst sich weiter, bis sie komplett zu ist. Dann wurde mir bewusst, dass meine NHL-Karriere beendet ist. Erst dann wurde Europa eine Option.
Sie waren nahe dran, die Saison mit Pittsburgh zu starten. Ist das nicht besonders hart, wenn man es dann doch nicht schafft?
Nein, ich wusste ja, dass es passieren kann. Ich bin realistisch genug und schon lange im Geschäft tätig, um zu wissen, wie hart es ist, einen Job zu kriegen. Fünf Prozent aller Spieler müssen sich nie Sorgen um ihren Job machen. Die anderen 95 Prozent müssen jeden Tag hart darum kämpfen. Es gibt 31 Teams in der NHL, von denen höchstens vier oder fünf an dir interessiert sind. Selbst dann ist der Weg noch weit. Ich schätze einfach die Zeit, die ich in der NHL haben durfte.
Wie fühlt sich ein solches NHL-Ende nach 917 Spielen an?
(Zuckt mit den Schultern) Man muss es akzeptieren. Schliesslich kam ich an den Punkt, an welchem ich sagen musste: Entweder ich entscheide mich nun für einen Wechsel nach Europa, oder das war es mit meiner Karriere als Eishockeyspieler. Aber ich fühle mich noch sehr fit und nicht bereit dazu, meine Schlittschuhe an den Nagel zu hängen. Ich beschloss dann mit meiner Frau, das Abenteuer Europa in Angriff zu nehmen. Wir wollten das schon immer einmal tun. Nun ist die Chance da, eine neue Kultur, ein neues Land, kennenzulernen.
Damit kam der Anruf aus Olten zum idealen Zeitpunkt.
Ja, es war das erste konkrete Angebot aus Europa. Es ging dann alles sehr schnell. Ich will grundsätzlich Eishockey spielen, Spass haben in einem konkurrenzfähigen Umfeld – das alles bietet mir der EHC Olten. Der Verein hat grosse Pläne und ich glaube, ich kann der Organisation helfen.
Wussten Sie vor der Unterschrift etwas über Olten?
Nein.
Wie kann man sich das vorstellen, wenn man ein Angebot eines unbekannten Teams erhält? Sitzen Sie vor den Computer und googeln?
Ja, das trifft es ziemlich gut (lacht). Man liest sich ein und fragt sich bei den Leuten rum, die schon Erfahrungen gesammelt haben. Ich hatte Kontakt mit einigen Freunden, die zwar nicht in der Schweiz gespielt haben, aber das europäische Eishockey kennen. Sie alle haben mir angeraten, den Schritt zu machen. Als Familie kommen, nebst dem sportlichen, viele weitere Faktoren dazu. Mein Sohn ist im Kindergarten, was ein grosses Anliegen meiner Frau war. Und so versucht man dann, nicht nur über das Sportliche wichtige Informationen zu finden, sondern auch welche über das Schulsystem, das Gesundheitswesen und solche Sachen. Die Schweiz ist ja überall weltweit in der Spitze vertreten. Ich glaube, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen (lacht).
Was wussten Sie sonst von der Schweiz?
Um ehrlich zu sein: Nicht viel – das ist ja der Grund, warum wir jetzt hier sind (lacht). Wir wissen, dass es ein schönes Land ist, sehr viele schöne Orte hat. Berge, die zum Skifahren einladen. Aber ich war zuvor noch nie in der Schweiz, auch nicht mit dem Team Canada.
Erzählen Sie von Ihren ersten Eindrücken.
Ich bin positiv beeindruckt. Es sieht so aus, als hätten wir hier eine coole, talentierte Truppe beisammen, die grossen Spass am Eishockeyspielen hat. Auch das erste Spiel in Rapperswil machte Spass. Es fand in einer hübschen Umgebung statt mit einem wichtigen Sieg für uns. Es wird nicht nur für mich persönlich eine aufregende Erfahrung, sondern auch für meine Frau und unsere beiden Kinder. Sie werden während der Nationalmannschaftspause in die Schweiz reisen. Ausserdem haben bereits Freunde und Verwandte gesagt, dass sie mich besuchen möchten, sie planen eine Reise in die Schweiz.
Sportlich dürften Sie einen Kulturschock haben nach elf Jahren NHL. Sie müssen jetzt die Eishockeytasche selber tragen.
Ach, das ist kein Problem (lacht). Ja, es ist bestimmt vieles anders als in Nordamerika. Aber es geht doch unter dem Strich darum, Spass zu haben und konkurrenzfähiges Eishockey zu spielen. Ich werde viel mehr noch etwas Zeit brauchen, bis ich mich an das grössere Eisfeld gewöhnt habe. Auch die Fanszene und die Atmosphäre sind nicht zu vergleichen. Wir haben keine Trommeln im Stadion und keine Fangesänge. Ich habe gestaunt, dass es das ganze Spiel hindurch sehr laut ist.
Sie haben sich in der NHL als Defensivcenter einen Namen gemacht. In der NLB sind die Erwartungen an die Ausländer jedoch auch in Sachen Offensive extrem hoch. Ist es schwierig für Sie, wieder in eine Offensivrolle zu schlüpfen?
Mir ist bewusst, dass von mir viel verlangt wird. Aber es braucht nicht nur Spieler, die Tore schiessen. Ich hoffe, dass ich auch mit meiner Erfahrung dem Team helfen kann. Es braucht viel Erfahrung, um Meisterschaften und Playoffspiele gewinnen zu können. Für eine offensivere Rolle im Spiel werde ich mich sicher etwas umstellen müssen, aber ich denke, damit werde ich mich zurechtfinden.
Sie haben auch eine grosse Erfahrung im Nationalteam, wurden mit dem Team Canada Weltmeister. Sind die olympischen Ziele ein Thema für Sie?
Natürlich wäre es eine grosse Ehre, noch einmal für Kanada spielen zu dürfen. Aber ich weiss es ehrlich gesagt nicht, wie die ganze Situation aussieht. Ich habe keine Informationen dazu.
Es gibt Gerüchte, wonach Sie ins Olympia-Team passen würden, zumal die NHL-Spieler nicht teilnehmen werden.
Klar, es wäre grossartig. Aber alles was ich beeinflussen kann, ist mein persönliches Spiel für Olten. Die Olympischen Spiele waren nicht der Grund, weshalb ich hierhin kam. (von Silvan Hartmann und Marcel Kuchta)
Zur Person
Der Kanadier Jay McClement wurde am 2. März 1983 in Kingston (Ontario) geboren. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder (4 Jahre und sechs Monate alt). 2001 wurde der Mittelstürmer von den St. Louis Blues in der 2. Runde des NHL-Drafts ausgewählt. Am 5. Oktober 2005 bestritt er sein erstes NHL-Spiel für die Blues, sechs Tage später erzielte er sein erstes NHL-Tor. 2011 wurde er zu den Colorado Avalanche transferiert, wo er bis 2012 spielte. Im Sommer 2012 unterschrieb er für zwei Jahre bei den Toronto Maple Leafs, im Sommer 2014 wechselte er zu den Carolina Hurricanes, wo er insgesamt drei Saisons absolvierte. Jay McClement bestritt total 917 NHL Spiele, erzielte dabei 90 Tore und gab 154 Vorlagen. Mit dem U20-Team Kanadas gewann er zweimal WM-Silber und wurde 2007 in Moskau Weltmeister mit dem Team Canada.