Neue Covid-Variante im Aargau aufgetaucht: KSA-Infektiologe Fux sagt, was man dazu wissen muss

Die neue, ansteckende Covid-Variante Lambda ist jetzt auch in der Schweiz aufgetaucht. Einer der neun Fälle stammt aus dem Aargau. Wie wurde das festgestellt?

Die Genanalysen zur Identifikation von Mutanten finden in spezialisierten Universitäts-Labors statt. Wir senden dorthin die Proben von Reiserückkehrern und von allen, welche sich trotz Impfung oder trotz durchgemachter Infektion angesteckt haben. Wird eine Variante identifiziert, kontaktieren die Labors die kantonalen Contact Tracing Centers. Dort wird dann überprüft, ob es sich beispielsweise um einen Reiserückkehrer aus Peru in Quarantäne handelt oder einen niesenden Matchbesucher, der sich im Wembley-Stadion angesteckt hat.

Braucht die betroffene Person eine besondere Behandlung?

Zum Glück gibt es bisher keine Hinweise, dass Infektionen mit der Lambda-Variante schwerer verlaufen. Seit wenigen Wochen haben wir für alle Varianten die Möglichkeit, Hochrisikopatienten ohne Immunität in den ersten fünf Tagen nach Symptombeginn eine Infusion mit Antikörpern zu verabreichen. Damit können wir Ungeimpfte oder Personen, welche aufgrund einer Immunschwäche keine Antikörper auf die Impfung gebildet haben, mit grosser Wahrscheinlichkeit vor einer schweren Infektion schützen. Für diese Therapie muss man sich nach der Diagnose umgehend auf der Infektiologie der Kantonsspitäler Aarau oder Baden melden.

Wird sich die Lambda-Variante gegen nun vorherrschende Delta durchsetzen?

Das wissen wir noch nicht. Aber in den Ländern, wo beide stark zirkulieren, wird sich schnell zeigen, welche ansteckender ist und sich durchsetzt. Wir wissen, dass die indische Variante Delta mehr als doppelt so ansteckend ist wie das Virus der ersten Welle. Möglicherweise wird Lambda nun nochmals schneller sein.

Schützt die Impfung gut gegen diese Variante?

Es sieht sehr danach auch, dass Impfen auch hier einen sehr guten Schutz zumindest vor einer schweren Erkrankung bietet. Wir haben in den letzten Wochen gelernt, dass die Impfung besser und länger schützt als eine durchgemachte Infektion. Deshalb ist das Geimpft-Zertifikat ja für zwölf und das Genesen-Zertifikat nur für sechs Monate gültig. Wer aufgrund der etwas tieferen Nebenwirkungsrate BioNTech Pfizer einer Moderna-Impfung vorgezogen hat, wird aktuell vielleicht eines Besseren belehrt: Moderna-Nebenwirkungen werden nämlich mit etwas höheren Antikörper-Spiegeln und damit einer mutmasslich etwas längeren und besseren Wirksamkeit gegen Mutanten belohnt.

Forscher sind daran, die Impfstoffe weiterzuentwickeln, die besser gegen Mutanten schützen sollen. Heisst das, dass man sich bald wieder neu impfen lassen sollte?

Wir beobachten, dass die Impfwirkung bei Gesunden deutlich länger anhält als ein Jahr. Damit scheint eine Boosterimpfung für die Allgemeinbevölkerung aktuell nicht nötig. Was uns mehr besorgt, ist der ungenügende Schutz immungeschwächter Patienten durch die Impfung. Personen mit Blutkrebs oder einer immunschwächend behandelten rheumatologischen Erkrankung machen teilweise auch nach der zweiten Impfung keine oder zu wenig Antikörper. Für diese Patienten erwarte ich in den nächsten Tagen eine offizielle Empfehlung für eine dritte Impfung. Mittelfristig folgt dann die Boosterimpfung für die alten Menschen.

Macht es für Leute, die sich doch noch impfen lassen wollen, Sinn, den weiterentwickelten Impfstoff abzuwarten?

Nein, man kann im Moment nichts Besseres tun, als sich impfen lassen. Sehen Sie es doch mal so: Was erwarten Sie von einer guten Versicherung? Die vollumfängliche Deckung des Schadens? Wie wäre es mit einer Versicherung, die gar den Schadensfall zu über 90 Prozent verhindert? Und gratis ist? Die Covid-Impfung bietet Ihnen genau das. Mit 80-prozentiger Beteiligung der Bevölkerung könnte sie gar unsere Freiheit gegen die Delta-Variante verteidigen. Das ist absolut erreichbar, wie die über 90 Prozent liegende Impfrate gegen Masern in der Schweiz belegt.

Will Impfzögerer überzeugen: Chefarzt Fux.

Will Impfzögerer überzeugen: Chefarzt Fux.

Britta Gut

Wie wollen Sie Impfzögerer überzeugen?

Indem wir immer wieder kommunizieren, wie sicher und wirksam die mRNA-Impfstoffe sind. Bei all den Meldungen über Ansteckungen trotz Impfung gibt es Folgendes zu bedenken: Es wurde immer kommuniziert, dass der Schutz nicht 100 Prozent beträgt. Bei drei Millionen Geimpften gibt es bei 95 Prozent Wirksamkeit, also 150’000 Personen, bei denen die Impfung ungenügend wirkt. Korreliert man das mit 300 in der Presse rumgereichten Fällen von Impfversagern, realisiert man schnell, dass da Propaganda betrieben wird. Zudem bitte ich jeden nicht Geimpften, zu überlegen, ob seine persönliche Freiheit, ohne Zertifikat ein Event zu besuchen, es rechtfertigt, einen dieser unfreiwillig Ungeschützten zu infizieren. Dies gilt natürlich umso mehr für Gesundheitsberufe.

Was halten Sie von einer Belohnung als zusätzlichen Anreiz, sich impfen zu lassen?

Ich bin gegen Belohnungen. Wir möchten überzeugen. Helfen kann hier ein Umdenken, was den Freiheitsbegriff angeht. Bei der Erziehung meiner Söhne habe ich schnell gemerkt: Es kommt nicht gut, wenn normal ist, dass man alles darf. Gewisse Regeln sind zwingende Basis für ein Zusammenleben. Übertragen müsste eine solche Regel heute sein, den Nächsten nicht zu gefährden.

Warum sollen sich Jugendliche impfen lassen?

Jugendliche müssen sich zum Glück weniger Sorgen vor schweren Symptomen oder Komplikationen machen, auch wenn Post-Covid-Beschwerden regelmässig vorkommen. Viel schlimmer sind die sozialen Nachteile. Schulschliessungen und Heimunterricht haben nicht nur die Ausbildung vor allem bildungsferner Kreise kompromittiert, sondern in Sozialverhalten und Psyche der jungen Menschen Spuren hinterlassen.

50 Prozent der Aargauer sind mittlerweile mindestens einmal geimpft. Wie beurteilen Sie diese Quote?

Zu Beginn waren wir im Aargau sehr gut unterwegs, Zürich zum Beispiel war bezüglich Impfrate weit abgeschlagen. Nun stehen unsere Impfzentren zwei Drittel leer, während in Zürich und Basel bereits fünf Prozent mehr Menschen geimpft sind als bei uns. Inzwischen ist die Impfskepsis im Aargau leider überdurchschnittlich. Quer durch die Schweiz öffnet sich ein Impfgraben zwischen Stadt und Land, Reich und Arm, Alt und Jung.

Was erwarten Sie von Politik und Gesellschaft?

Mittlerweile ist allen klar, dass wir am Beginn der vierten Welle stehen. Wären 85 Prozent geimpft, würde es diese Welle nicht geben. Vor diesem Hintergrund finde ich fahrlässig, wie sich Wirtschaftsverbände und gewisse Parteien vehement für eine Öffnung, aber nicht ebenso vehement für die Impfung einsetzen. Das eine ist ohne das andere zum Scheitern verurteilt. Wer A sagt, sollte auch B sagen. Hier erhoffe ich mir mehr Leadership.

Selbst in Spitälern gibt es viele Impfskeptiker. Wie überzeugen Sie eigentlich Ihre eigenen Leute im KSA?

Die Impfquote im KSA liegt bei 80 Prozent. Wir bemühen uns um proaktive Information und offene Diskussion. Mit Online-Veranstaltungen, Zusammenfassung von Studien zu Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen. Wir haben zudem einen Mitarbeiter-Chat, wo Fragen diskutiert werden können. Ein Vorteil des Zentrumsspitals ist sicher auch, dass jede und jeder schwere Verläufe und erschöpfte Kolleginnen und Kollegen direkt vor Augen hatte – bei eigener Erfahrung fällt der Entscheid sicher leichter.