
Der FC Aarau will mit Abwehrkraft aus den Walliser Alpen punkten
Der junge Mann, der da auf dem Stadionrasen steht, ist Oberwalliser. Hören tut man es kaum. Nur ab und an blitzt die Herkunft noch auf. Jan Kronig sagt «hie», «frii» oder «zrygg», wobei letzteres gleich so gut ein «zrügg» sein könnte. Der 21-Jährige spricht mit einem Rhythmus, der dem eines Berners gleicht. Nicht zu schnell, nie gehetzt. Vielleicht aber ist das einfach nur das ganz und gar grundsätzliche Naturell von Jan Kronig. Eine Form von Ruhe, die sich lautstark bemerkbar macht.
Jene Ruhe, die sie gesucht haben beim FC Aarau. 59 Gegentore musste der Fünfte der Challenge League in der abgelaufenen Saison hinnehmen, nur Absteiger Chiasso bekam eines mehr. Kronig, der Innenverteidiger, soll helfen, diesen Umstand zu beheben. Stabilität ins Spiel zu bringen. Ruhe.
Dem Linksfuss, ausgebildet in der Jugend der Young Boys, werden seit jeher von allen möglichen Seiten ausserordentliche fussballerische Fähigkeiten beschieden. Kronig macht sich aus derlei Zuschreibungen nur wenig. «Fussball ist ein extrem schnelllebiges Geschäft», sagt er. «Ich kann heute als grösstes Talent gelten und dann im ersten Saisonspiel gegen Xamax einen groben Fehler machen, und danach bin ich das genaue Gegenteil.» Jene Reife hat sich Kronig früh angeeignet. Mit elf Jahren wechselt er vom FC Brig-Glis in den Nachwuchs von YB. Anfänglich pendelt er nach Bern, eine Stunde hin, eine zurück, später bezieht er eine Wohnung in der Altstadt. Tagsüber besucht der Teenager eine Sportschule, neben den Kollegen aus dem Fussball kommt Kronig auch mit den Eishockey-Junioren vom SC Bern in Kontakt, die alle in dieselbe Klasse gehen. Alleine ist Kronig nie – auch nicht in seiner Zweizimmerwohnung. «Mal war das Mami dort mit mir, mal der Papi.»
Überhaupt sind es die Eltern, die seinen Weg zwar nicht vorgeben, dann aber doch sanft in die richtigen Bahnen leiten. Vor zehn Jahren hätten auch die Grasshoppers Kronig gern in ihren Nachwuchsteams gewusst. Es hätte bedingt, dass er in Zürich bei einer Gastfamilie lebt. Die Eltern lehnen ab – ihr Sohn soll nicht allzu fern der Walliser Berge aufwachsen. Also entscheiden sie sich für die Young Boys, wo Jan Kronig 2018 seinen ersten Profivertrag unterschreibt und am Ende jener Saison – nach zwei Einsätzen in der Super League – Schweizer Meister wird. «Ohne meine Eltern wäre ich heute nicht dort, wo ich bin», sagt Kronig, um dann ganz grundsätzlich zu werden: «Das Umfeld ist ebenso wichtig wie der Spieler selbst. Es gibt nur wenige Fussballer, die es ohne ein gutes Umfeld weit bringen.»
Im zweiten Anlauf klappte es mit dem Transfer
Um an Spielpraxis zu gewinnen, lässt er sich ab 2019 in die Challenge League ausleihen – erst zum FC Schaffhausen, dann zum FC Wil. Auch er stand auf dem Platz, als die Ostschweizer den FC Aarau in diesem Frühling mit sieben Gegentreffern auf die Heimreise schickten. Ja, ja, der eine oder andere Spruch sei in der Garderobe schon gefallen, sagt Kronig und hebt fast entschuldigend die Hände. «Ich war selbst etwas überrascht, wie das Spiel abgelaufen ist.»
Übel nimmt ihm sein «Vergehen» keiner mehr hier in Aarau. Vielmehr sind die FCA-Verantwortlichen froh, die Planstelle in der Abwehr mit einem Spieler von Kronigs Format ausfüllen zu können. Im System von Stephan Keller soll Kronig den Part in der Innenverteidigung übernehmen. «Gute linksfüssige Innenverteidiger gibt es nicht sehr viele auf dem Markt», sagt Sportchef Sandro Burki und verrät, dass Kronig bereits im vergangenen Jahr Thema im Brügglifeld war. Nun hat es im zweiten Anlauf geklappt.
Ein Zeichen für den Glauben an den Aufstieg
Beim FCA hat Kronig, der vor wenigen Wochen sein Debüt in der Schweizer U21-Auswahl gab, einen Vertrag über drei Jahre unterschrieben. Die lange Laufzeit wertet er als «Zeichen von mir und dem Verein, dass wir an unsere Aufstiegsmission glauben.» Die Mannschaft sei ambitioniert, will den Ball und suche die spielerischen Lösungen, sagt Kronig: «Das kommt mir entgegen.»
Und wo fühlt sich einer, der aus dem Oberwallis stammt, lange in Bern gelebt hat, dann für zwei Jahre in die Ostschweiz zog, nun in Oberentfelden wohnt, aber noch immer eine Berner Wohnung unterhält, richtig zu Hause? «Ich bin Walliser. Dort, wo meine Familie ist, fühle ich mich am meisten daheim.»