
Auf den Schuh gekommen
Ein Sneaker verrät angeblich viel über seinen Träger. Ahnungslos liess sich unser Redaktor im Selbsttest auf eine Stilberatung ein.
Linda Gjokajs Aufgabe ist es, mich meiner Jungfräulichkeit zu berauben – im schuhischen Sinne, versteht sich. Die 25-jährige Filialleiterin greift zu einem hellbraunen Sneaker von Vans und weiss sofort: «Wer den trägt, hört bestimmt keinen Hip-Hop.» Also potenziell etwas für mich.
Hier bei Vögele Shoes im Perry Center sind gefühlte drei Viertel der Regale nur mit Sneakers belegt, und an der Kasse warten die passenden Söckchen. Ein Schuh könne viel über seinen Träger verraten, sagt Gjokaj – wie er ist, welche Musik er hört, welche Parties er gerne besucht. «Hm», denke ich mir mit meinen ramponierten Männerstiefeletten. «Was ihr die wohl über mich verraten?» Die Luzernerin lässt die Vermutungen zum Glück sein. Erleichternd, denn die Sneakersmode ist mir fremd. Ich gehöre eher zur Sorte, die ob der knöchelfreien, bunten Sneakersmode die Augen verdreht. Doch wie die sympathische Filialleiterin mich so mustert, kriege ich auf einmal Bammel: «Was, wenn mir nach der Stilberatung der Sch …uh dann doch plötzlich noch gefällt?»
Ein Sneaker, das war für mich bisher ein pseudomoderner Name für Turnschuh. Überrascht bin ich deshalb, als Linda Gjokaj Modelle präsentiert, die schon fast wie ein Halbschuh aussehen und vielleicht sogar zum Anzug getragen werden könnten. Das erste Paar kommt ausgerechnet von Sketchers – der Marke, für die Popsternchen wie Britney Spears werben. Hit me baby, one more time? Doch am Fuss gefällt mir das Ding viel besser als erwartet. Eigentlich mein Stil, trotz Sneaker. Schuhe verraten demnach nicht nur einiges über ihren Träger, vom Träger kann die versierte Verkäuferin ganz offensichtlich auch auf den richtigen Treter schliessen.
Dann die Frage, ob ich auch den Mut habe, knöchelfrei rumzulaufen. Und obwohl ich mir schon lange vorher überlegt habe, dass ich das logischerweise wagen will, zö- gere ich. So mit knöchelfreiem Halbschuh, sehe ich da nicht selbst aus wie ein Halbschuh? Das «Ja, logisch» kommt verzögert, aber klar.
Der Vorteil bei Vögele: Hier gibt es Sneakers für jedes Portemonnaie. Eine Discountmarke empfiehlt mir die Chefin dennoch nicht. Logisch, mit ihrem «SneakerAuge» erkennt sie sofort, wie mondän, anspruchsvoll und vermögend ich bin … Der nächste Sneaker ist ein sportliches, schlichtes, königsblaues Exemplar von Nike. Wow, tatsächlich! Ein Schuh, wie ich ihn selber aus dem Regal genommen hätte, hätte ich nach einem Sportschuh gesucht.
Mit nacktem Knöchel wage ich mich anschliessend an das topaktuelle Modell von Nike, ganz in Weiss. «Die gehen weg wie nichts und sind schon fast wieder ausverkauft», sagt Linda Gjokaj. Drum läuft wohl fast jeder mit weissen Sneakers rum derzeit. So richtig meins ist das Modell aber nicht, auch wenn die Verkäuferin meint: «Der sieht gut aus.» Und der Hallux, der durch die feine Oberfläche drückt, sei «ja nur ein kleiner Schönheitsfehler».
Als Letztes zeigt mir Linda Gjokaj ein Paar von Adidas Neo. Erst muss ich lachen, als ich die knallweissen Schuhe an meinem nackten Knöchel sehe. Und doch hat es die Filialleiterin irgendwie geschafft: Dieser Sneaker gefällt. Bleibt nur noch die Frage, was ihr das denn nun über mich sagt, dass ich ausgerechnet diesen Schuh gut finde? Antwort: Dass ich modebewusst, selbstbewusst und vielfältig interessiert sei. Tatsächlich. Eines davon stimmt wirklich. Und trotzdem: Ein Sneakersgroupie werde ich bestimmt nicht.