
Nach Corona schütteln wir wieder fleissig die Hände: Doch eigentlich ist die Hand eine Biowaffe
Mehr als ein Jahr war alles einfach. Schwitzige Hände, teigige Tatzen, peinliche Pfoten – all das gab es nicht. Es gab überhaupt keine Hände mehr, schien mir bisweilen. Von einem Tag auf den nächsten waren Hände, die man schütteln sollte, aus der Öffentlichkeit verbannt.
Es gab für sie, unsere Hände, schlichtweg keine Verwendung mehr. Handlos und gesichtslos stand man sich in der Gesellschaft in gesichertem Abstand gegenüber und wollte durch lautes Reden – die Maske als Schallmauer – Optimismus verströmen. Wer mit seinem Wattemund am deutlichsten artikulierte, dem gebührte das Wort. Brachialkommunikation!
Was hatte man mit dem Wunderwerk Hände früher nicht alles angestellt: Man testete mit einem Händedruck andere Hände und das Gegenüber aus. Mit nur einem Griff begriff man den Nächsten. Menschen sah man durch die Hände unter die Haut.
Man fühlt die Spannung der Gelenke, die Beschaffenheit der Muskeln, den Bau der Fingerknochen. Hände lügen nicht. Sie erzählen uns ungefragt sogar Geschichten, die ihre Besitzer möglicherweise lieber verschwiegen hätten.
Handshake-Battle unter Alphamännchen
Beim Händeschütteln wird mit einem Schlag klar, wer im Gespräch die Oberhand hat. Denn der Händedruck ist auch eine Dominanzgeste. Als Paradebeispiel gilt der «Handshake-Battle» am vom 25. Mai 2017 in der US-Botschaft in Brüssel zwischen Emanuel Macron und Donald Trump am Nato-Gipfel: Amerika legte Hand an Europa, oder griff Europa als erste zu? Eine gefühlte Ewigkeit lang behielt der gallische Hahn die Ami-Pranke. Macron bestand das Treffen als Alphamännche dank des Druckmittels seines Griffs.
Doch mit Corona waren unsere kommunikativen Hände und ihre Art der Intelligenz tabu geworden. War man in Gesellschaft, fristeten sie ihr Dasein in der Tiefe von Hosentaschen, Jackentaschen oder verknotet hinter dem Rücken. Ans Licht liess man die Sünder nur ungern, denn die Wissenschaft hatte uns klar und deutlich gemacht: Unsere Hände sind eine tödliche Biowaffe. Sie übertragen nicht nur Zärtlichkeiten sondern auch Krankheiten.
In den USA besteht die Forderung seit Jahren, dass in Spitälern auf das Händeschütteln verzichtet werden soll. Forscher meinen, dass Händeschütteln doppelt so viele Keime übertragen werden wie beim Abklatschen. Und verglichen mit dem Fist bump, Obamas bevorzugte Begrüssung, soll das Schüttel der Pfoten sogar zehnmal «gefährlicher» sein.
Doch niemand war unmissverständlicher als der führende US-Virologe Anthony Fauci. Auf die alte westliche Gewohnheit des Handschlags angesprochen, meinte er: «Ich glaube nicht, dass wir uns jemals wieder die Hand geben sollten.» Durch den Verzicht, sagte der Wissenschafter, könnten nicht nur dem Coronavirus die Verbreitung erschwert werden, auch saisonale Grippewellen wären zu verhindern, wenn sich die Gesellschaft in Zukunft handscheuer verhalten würde.
Wer verzichtet, lebt gesünder – doch lebt man besser?
Aber wollen wir das? Niemals wollen wir das. Wahr ist, wir können diese Enthaltsamkeit gar nicht wollen: Das Händeschütteln ist seit uralten, stammesgeschichtlichen Zeiten eine Art von psychischem Hygieneritual – und eine Friedensmission. Die Begrüssung mit der rechten Hand, der Waffenhand, funktioniert bereits seit den Römer und Griechen, dafür sprechen die Quellen.
Aus ethologischer und verhaltensforschender Sicht lässt sich sagen: Wer dem Andren mit der blossen leeren Rechten entgegentritt, gibt ihm zu verstehen: «Schau’ hin, ich bin kein Feind.» In der offenen Hand liegt augenscheinlich kein Messer, keine Waffe – die man mit Rechts gezogen hätte. Die Absicht, die hinter der unbewaffneten Begegnung steckt, soll offenkundig eine friedliche und freundliche sein.
Dass der eigentliche Waffengang in Form von Worten stattfindet, ist bekannt – und nicht nur aus der Politik. Worte wie Klingen zu führen, gilt als Triumph einer verfeinerten Zivilisation.
Ein sinnlicher Austausch an Körperwärme
Menschen in westlichen Gesellschaften geben sich traditionellerweise die Hand, das ist tief in unserem Verhaltensrepertoire verankert. Wir suchen den Körperkontakt, genauso wie Tiere. Und dabei scheint das Berühren der Hände eine besonders attraktive Form zu sein. Der Austausch von Körperwärme, von sinnlichen Reizen, in den Händen liegt eine Macht ohne Besitzanspruch.
Und was wäre denn die Alternative, wenn wir darauf verzichteten uns per Handschlag zu begrüssen? Küsschen, zwei, drei, vier, fünf? Der öffentliche Austausch von Körpersäften, zu dem es dabei kommen kann, ist nicht jedermanns Sache. Und die gesundheitlichen Nebenwirkungen solcher Zwangs-Intimität wird das Händeschütteln wahrscheinlich sogar toppen.
Man weiss von einigen Kulturen, dass sie eine Alternative kennen. «Namaste» in Indien wird vor der Brust ausgeführt. Japan kennt die Verbeugung. In Neuguinea wiederum begrüsst man sich mit einen Riechkuss, einem Nasenkuss oder kraulen sich Männer bei der Begrüssung bisweilen den Bart. Doch was tut man dort als Frau?
Mein Entschluss steht fest, in Papua würde ich mir einen adretten Damenbart wachsen lassen. Denn Menschen zur Begrüssung körperlich nahe zu sein, ist vielleicht das Schönste an einer Begegnung überhaupt. Und es gibt ausserdem zu viele kluge, lebensweise Hände, auf die ich nicht verzichten will.