Jetzt haben auch wir unser Sommer-Märchen

28. Juni: Ein Datum für die Ewigkeit. Der Tag, an dem die Schweizer den Weltmeister bezwingen. Der Tag, an dem sie erstmals nach 1954 den Viertelfinal einer Endrunde erreichen. Der Tag, an dem sie den Penaltyfluch besiegen. Der Tag, an dem sie Geschichte schreiben. Der Tag, der neue Helden hervorbringt. Der Tag, den wir uns nie schöner erträumt haben. Der Tag, der nie zu Ende gehen sollte.

Der 28. Juni: Eine Art zweiter Nationalfeiertag, zumindest für Fussball-Fans. Ein Spaziergang gegen «les petit Suisse» – von wegen ! Klar, hier die Franzosen mit über 1 Milliarde Euro dotiert. Dort die Schweizer, viermal weniger wert. Aber das sind die nüchternen Zahlen des Marktes. Fussball hingegen ist nicht nüchtern.

Fussball ist emotional, leidenschaftlich. Wenn der Schiedsrichter anpfeift, sind vermeintliche Softfaktoren wie Teamgeist und Solidarität entscheidender als die Zahl auf dem Lohnausweis. Und genau auf dieses Denken hat sich diese Schweizer Nationalmannschaft geeinigt. Möge der Gegner noch so ruhmreich sein, wir pressen alles aus uns heraus, halten mit unseren Mitteln, unseren Qualitäten und unseren Tugenden dagegen – jederzeit, unermüdlich, heldenhaft. Es ist ein Wahnsinn.

Abgesehen von den Torhütern sind uns die Franzosen fussballerisch auf jeder Position überlegen. In diesem Spiel ist davon kaum etwas zu sehen. Die Schweizer verschieben Grenzen, die eigentlich unverrückbar schienen. Klar, sie wollten uns immer wieder verklickern, dass sie zur Beletage gehören. Sie haben vom grossen Coup gesprochen. Allen voran Granit Xhaka, der bekanntlich Kleider bis zum Final packte.

Dabei war der Turnierstart enttäuschend. Ein pomadiger Auftritt gegen Wales (1:1). Der eingeflogene Coiffeur. Eine Null-Leistung gegen Italien (0:3). Die Bevölkerung diskutiert über Einstellung und Identifikation. Die Mannschaft bewegt sich immer mehr Richtung Klippe. Es droht der Fall ins Bodenlose.

Und dann? Die Reaktion, der Sieg gegen die Türkei, die Erlösung. Es ist nicht allein das Resultat, das uns verzückt. Sondern dieser unbedingte Wille der Spieler um Wiedergutmachung. Es ist keine fussballerische, sondern eine mentale Galavorstellung.

So gesehen ist der sensationelle Erfolg gegen Frankreich die logische Fortsetzung. Und was ist die Fortsetzung dieser Fortsetzung? Ein Sieg im Viertelfinal am Freitag in St. Petersburg gegen Spanien. Quasi der nächste Nationalfeiertag? Warum nicht. Die Schweiz ist zwar auch gegen Spanien in der Rolle des Aussenseiters. Eine Rolle, mit der sie aber gut umzugehen gelernt hat – ohne Komplexe und mit ein paar gehäuften Esslöffeln Selbstbewusstsein.

Es ist also angerichtet für den nächsten Coup. Dabei kommen Erinnerungen hoch an 2010, als die Schweiz den amtierenden Europameister zum WM-Auftakt 1:0 besiegte. Nur: Jener Coup ist kein Referenzwert. Die Teams von damals haben nichts mit der Gegenwart zu tun. Eher taugt der Blick zurück auf das letzte Jahr. Als sich die Schweiz beim 0:1 in Spanien selbst bezwang und zu Hause 1:1 spielte. Und dabei bella Figura machte.