
«Jeder Bau muss einen Mehrwert für den Ort und seine Bewohner und Bewohnerinnen schaffen»

Was ist der Unterschied zwischen höheren Bauten und Hochhäusern?
Peter Schwehr: Grundsätzlich gibt es die Begriffe «Bauten mit geringer oder mittlerer Höhe» sowie «Hochhäuser». Hochhäuser sind Bauten ab 30 Metern, meistens also neungeschossig oder höher. Unter höhere Bauten fallen Häuser mit sieben bis neun Geschossen. Und während höhere Bauten meistens in einem Ensemble daherkommen, meinen wir mit einem Hochhaus oft einen Landmark. Höhere Bauten sind zwar städtebaulich prägend, beeinflussen die Silhouette aber nicht. Ein alleinstehendes Hochhaus hingegen tut das.
In vielen Gemeinden stehen derzeit die revidierten Bau- und Nutzungsordnungen zur Diskussion, auch in Oftringen. Hochhauskonzepte oder Pläne für höhere Bauten haben es da oft schwer.
Es kommen hier zwei Themen zusammen, die in der Regel sehr polarisieren: Hochhäuser und Verdichtung. Die einen sorgen sich um die Stadtsilhouette, die anderen befürchten enge anonyme Baukörper. Solche Baumassnahmen sind deutliche Eingriffe in das bestehende Stadtgefüge und symbolisieren Veränderung. Das weckt oft Ängste bei der Bevölkerung, weil man so gerne am Bestehenden festhalten möchte.
Trägt denn ein Hochhaus zur Verdichtung bei?
Das kommt drauf an, wo sie stehen. Eng an eng wie in Singapur: ja. In der Schweiz hingegen kenne ich kein neu erstelltes Hochhaus, das zur Verdichtung beiträgt. Denn Verdichtung bedeutet: Mehr Personen nutzen die gleichen Fläche. Da der Bau von Hochhäusern aber teurer ist als andere Bauweisen, treibt das die Mietkosten oder die Kosten für die Eigentumswohnungen in die Höhe. Entsprechend können sich nur gutverdienende Menschen diese Wohnungen leisten. Diese wiederum wollen zu diesem hohen Preis eine Wohnung mit viel Platz. Entsprechend wohnen dann weniger Menschen im Hochhaus auf grosser Fläche, was wiederum bedeutet, dass es nicht zur Verdichtung beiträgt.
Wie kann ein Hochhaus zur Verdichtung beitragen?
Indem es kostengünstig gebaut würde. Das ist aber aufgrund der Höhe fast unmöglich. Dazu kommen noch Baugesetze: Das Gebäude darf die Umgebung nicht länger als zwei Stunden verschatten. Das bedeutet, dass um das Hochhaus herum entsprechender Freiraum geschaffen werden muss. Dann wird es schwer mit der Verdichtung. Gute Beispiele gibt es aber in Hamburg oder Wien. Oder auch die Wohnsiedlung Lochergut in Zürich, eine Ansammlung von abgestuften Hochhäusern, die sehr attraktiv sind, weil eine Vielfalt unterschiedlicher Wohnungen zu fairen Mieten angeboten werden und das noch in zentraler Lage. Die Häuser sind aber in den 60er-Jahren entstanden und sind mit den heutigen Anforderungen und Vorschriften an das Bauen nicht mehr zu vergleichen.
Was sind die Schwierigkeiten mit Hochhäusern?
Zuerst: Ich bin absolut kein Gegner von Hochhäusern. Aber das Hochhaus ist eine sensible Typologie. Das häufig genannte Argument, ein Hochhaus mache eine Stadt oder gar eine Gemeinde urban, erschliesst sich mir nicht. Bis vor kurzem gab es in Berlin noch keine Hochhäuser und trotzdem ist Berlin das Paradebeispiel für Urbanität. Dazu kommt, dass Hochhäuser in Zeiten des Klimawandels wenig Spielraum haben.
Erklären Sie.
Aufgrund ihrer Höhe stehen sie häufig dem Wind im Weg. Für die Versorgung einer Stadt mit Frischluft und Kühlung ist eine intakte Zirkulation entscheidend. Zudem ist es in Hochhäusern eine grosse Herausforderung, Nachbarschaften entstehen zu lassen. Soziale Interaktion ist vertikal sehr viel schwieriger zu gestalten. Schnell kann hier das Gefühl von Anonymität entstehen. Und: Die Menschen, die in Hochhäusern wohnen, identifizieren sich häufig weniger mit der Gemeinde, in der sie wohnen. Sie fahren mit dem Auto in die Tiefgarage und von dort direkt in den 25. Stock und geniessen die Fernsicht. Ein weiterer Punkt sind die unterschiedlichen Qualitäten im Hochhaus. Es ist ein grosser Unterschied, ob ich im 3. Stock oder im 35. Stock eines Hochhauses wohne. In der Regel schlägt sich das dann auch im Preis nieder.
Warum erfahren höhere Bauten und Hochhäuser derart viel Ablehnung?
So viel Ablehnung erfahren die gar nicht. Das Wohnhochhaus erlebt geradezu einen Boom. Für Investoren und Menschen mit dem entsprechenden finanziellen Rucksack ist ein Hochhaus attraktiv. In den 60er-Jahren war es modern, in Hochhäuser zu ziehen, am besten noch mit Autobahnanschluss. Später verwandelten sie sich in soziale Ghettos, boten Wohnraum für einkommensschwache Schichten. Wenig Grün, enge Gänge, keine Begegnungszonen usw. tragen nicht zu einem Sicherheitsgefühl bei.
Worauf gilt es bei der städtebaulichen Entwicklung zu achten?
Gut verdichtete Quartiere erzeugen kein Gefühl der Enge. Corona hat uns klar gezeigt, wie wichtig der Aussenraum und Begegnungsflächen sind. Hier können Nachbarschaft und Gemeinschaft entstehen. Es geht also nicht nur um das Gebaute, sondern auch um die Qualität des Nichtgebauten – des Dazwischens. Eine nachhaltige Stadt ist eine Stadt, die sich verändern kann. Wenn die Welt sich verändert, dann müssen wir auch mit unseren Gebäuden und der Stadtplanung darauf reagieren dürfen. Schliesslich wohnen wir nicht im Museum. Jetzt sind Hochhäuser nicht gerade das Sinnbild für Flexibilität. Darum müssen bei der Planung dieser Häuser mögliche Zukunftsszenarien berücksichtigt werden. Das heisst aber nicht im Umkehrschluss, dass die Lösung dann das Einfamilienhaus ist. Denn das ist ökologischer Unsinn. Worauf wir wieder bei unseren sechs- bis acht-geschossigen Bauten sind.
Wie müssten höhere Bauten gestaltet sein?
Die Wohnflächen müssten reduziert werden, damit die Mieten bezahlbar sind. Dafür sollten die Investoren und Architekten aber Gemeinschaftsräume, beispielsweise Gästezimmer zum Mieten, Co-Working-Spaces und Treffpunkte einplanen. Weiter muss auf die Zwischenräume, also die Freiräume geachtet werden. So kann Nachbarschaft entstehen. Allerdings müssen solche Vorgaben im Konzept festgehalten werden. Hier braucht es viel Augenmass und Feingefühl. Partizipative Prozesse sind dabei ein wichtiger Bestandteil. Das schafft Verständnis und baut Vorurteile ab. Ein Hochhaus, das verordnet wird, kommt selten gut bei der Bevölkerung an.
Wie sollten höhere Bauten nicht sein?
«Bauen bedeutet Zerstören. Zerstöre mit Verstand.» Dieses Zitat des Schweizer Architekten Luigi Snozzi bedeutet nichts anderes, als dass jeder Bau einen Mehrwert für den Ort und seine Bewohner und Bewohnerinnen schaffen muss. Nicht nur für die Menschen, die darin wohnen, sondern auch für das umliegende Quartier und das Dorf. Ein alleinstehendes Hochhaus wird sich darüber legitimieren müssen. Dann darf der menschliche Massstab nicht vernachlässigt werden. Gut verdichtete Quartiere werden über ihre Freiräume wahrgenommen und lassen kein Gefühl von Enge entstehen. Kurz und gut: Das Hochhaus darf nicht den Boden unter den Füssen verlieren (lacht).