
Eltern vor dem Bezirksgericht: Familie wohnte in Müll und Dreck
Müll, Dreck, ungewaschene Kleidung, Essensreste und Katzenkot: Was die Polizei bei einer Hausdurchsuchung im Sommer 2019 bei einer Familie aus dem Bezirk Zofingen antraf, waren prekäre Verhältnisse. Betroffen waren alle Räume: Stube, Badzimmer, Küche und auch die Zimmer von zwei damals minderjährigen Kindern. Wobei im einen Zimmer zusätzlich ein Dachfenster verschimmelt war. Aufgrund dieses Zustands verurteilte die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm beide Elternteile per Strafbefehl wegen vorsätzlicher Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht. Am Montagmorgen kam es zur Verhandlung am Bezirksgericht Zofingen. Der beschuldigte Mann und die beschuldigte Frau wurden von je einer amtlichen Verteidigung begleitet.
Die Familie hat eine lange Vorgeschichte, was behördliche Massnahmen betrifft. Das Paar hat drei Kinder, alle weisen Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Behinderungen auf. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde ist seit Jahren involviert. Seit der Hausdurchsuchung leben alle Kinder in einer Institution.
Ehemann: «Es hat sich immer mehr angesammelt»
Der vorliegende Fall kam ins Rollen, weil das jüngste Kind im Sommer 2019 in einem Sportlager war und dort ein auffälliges Verhalten an den Tag legte. «Die Leiterinnen haben gewisse Anzeichen dann wohl völlig überinterpretiert», meinte der Verteidiger des Ehemanns. Sexueller Missbrauch – allenfalls durch den Vater – stand im Vordergrund der Ermittlungen. Das betroffene Kind wurde psychiatrisch und medizinisch untersucht. Die Eltern mussten eine Hausdurchsuchung sowie acht Tage Untersuchungshaft über sich ergehen lassen. Letztlich wurde das Verfahren eingestellt.
Und so stand am Montag noch der Vorwurf der vorsätzlichen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht im Raum. Zuerst befragte Gerichtspräsident Thomas Meier den beschuldigten Ehemann. Dieser sagte, dass er im Sommer 2019 nicht mehr zufrieden war mit dem Zustand des Haushalts. «Es hat sich immer mehr angesammelt, das habe ich als Belastung empfunden.» Den Haushalt habe er gemeinsam mit seiner Frau erledigt, wobei er hauptsächlich fürs Kochen zuständig war. Die Bilder von der Hausdurchsuchung zeigen: Selbst die Herdplatten waren mit Sachen überstellt, im Wohnzimmer gab es lediglich einen kleinen begehbaren Gang. Hin und wieder habe er mit der Frau aufgeräumt, sagte der Mann, der einer geregelten Arbeit nachgeht. «Aber nach zwei bis drei Tagen sah es wieder gleich aus.» Der Beschuldigte gab eher einsilbig Antwort oder sagte lieber gar nichts. Der Verteidiger des Beschuldigten hielt später im Plädoyer fest, dass der Mann – er hat rund 10 000 Franken Schulden bei Versandhäusern, wo er ständig Waren bestellt hat – introvertiert sei, unbeholfen, passiv und kraftlos. Und das Ehepaar sei heillos überfordert mit den drei behinderten Kindern. Aber: Die neusten Bilder vom vergangenen Sonntag beweisen, dass das Paar die Liegenschaft inzwischen entrümpelt hat. Diesen Zustand konnte es jetzt seit zwei Jahren so beibehalten.
Ehefrau: «Einen perfekten Haushalt mit Kindern gibt es nicht»
Die beschuldigte Frau sagte zum Gerichtspräsidenten, dass sie und ihr Mann schon im Sommer im Internet nachgeschaut hätten, um eine Mulde zu bestellen. Sie habe sich bemüht, die Verhältnisse zu verbessern. «Wir haben es probiert, aber einen perfekten Haushalt mit Kindern gibt es nicht», meinte sie und begann zu weinen. Schluchzend sagte sie, dass die Kinder ja ärztliche Versorgung, Spielzeug und Mahlzeiten erhalten hätten. Die Frau, die drei Nebenjobs hat, ist in psychologischer Behandlung aufgrund der Vorkommnisse.
Beide Verteidiger forderten einen Freispruch. Sie bemängelten unter anderem auch die fehlende Unterstützung durch die KESB. Diese hätte einen Hausbesuch machen müssen. Der Gerichtspräsident sprach das Paar schuldig. «Sie als Eltern sind verantwortlich. Sie können sich Hilfe suchen, wenn Sie merken, dass es Ihnen über den Kopf wächst», sagte er. «Indem Sie unterlassen haben, die Situation zu verbessern, haben Sie eine Gefährdung der Kinder in Kauf genommen», begründete er sein Urteil. Allerdings sprach er tiefere Strafen aus als die Staatsanwaltschaft: Beide wurden zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Der Mann zu 60 Tagessätzen à 80 Franken, die Frau zu 60 Tagessätzen à 30 Franken. Die Staatsanwaltschaft forderte 100 Tagessätze zu 110 Franken. Im Gegensatz zu dieser verzichtete Meier auch auf eine Busse. «Die Situation ist sehr fordernd für Sie», sagte er zum Ehepaar. Angerechnet wurden beim Strafmass die U-Haft und die Hausdurchsuchung. Zudem waren beide nicht vorbestraft.