Virenschleuder aus Indien mit 49 Infizierten an Bord: Wie hoch ist das Ansteckungsrisiko im Flugzeug wirklich?

Endlich wieder mal in die Ferien fliegen. Mit einem Immunitätsnachweis könnte das bald Realität werden. Allerdings erlebten vor kurzem die Passagiere des Flugs UK6395 der Airline Vistara in Hongkong eine böse Überraschung. Obwohl alle Passagiere 72 Stunden vor Abflug in Indien negativ getestet worden waren, war bei 49 Passagieren der Test nach der Landung positiv. In einem Flugzeug, das maximal 188 Passagiere fasst. Wobei die Belegung der Sitze allerdings nicht bekannt ist.

Die Infektionen zeigen entweder den beschränkten Wert des Testens oder, dass es auch in Flugzeugen zu Ansteckungen kommen kann. Wahrscheinlich beides. Besondere Hektik kam dabei auf, weil das Flugzeug ausgerechnet in der Corona-Hölle Indien gestartet war.

Eigentlich sei der Schutz in Flugzeugen gut, sagt der Aerosol-Spezialist Michael Riediker. «Es gibt einige Studien und Simulationen, die zeigen, dass Flugzeuge Aerosol-technisch recht sicher sind. Aber gleichzeitig ist belegt, dass es trotzdem Aerosol-Übertragungen gibt», sagt der Direktor des Swiss Centre for Occupational and Environmental Health in Winterthur.

Generell funktioniert die Lüftung im Flugzeug gut

«Der Schutz ist nur so gut, wie sich die Passagiere an die Corona-Massnahmen halten.» Riediker erzählt von Fällen, in denen Passagiere ihre Masken zum Schlafen abgezogen haben. Dabei wurden Mitfliegende angesteckt. Wenn ein Flug aus Mallorca direkt vom Ballermann übers Meer fliege, sei es vielleicht mit der Disziplin angesäuselter Passagiere nicht mehr so weit her. Ohne Maske könne eine Ansteckung über Aerosole recht effizient erfolgen.

Für Flugzeug-Kabinen gilt, was für Innenräume gilt. Schlecht belüftet, sammeln sich die virenhaltigen Aerosole an. Doch eigentlich reiche die Luft-Umsetzungrate in einem Flugzeug. Und wenn die Lüftung korrekt laufe und alle Passagiere Masken tragen, sollte es nach dem Aerosol-Spezialisten nicht zu Ansteckungen kommen.

Bei der Swiss gilt Maskenpflicht

«An Bord unserer Flugzeuge gilt für unsere Fluggäste und Kabinenbesatzungen eine Maskentragepflicht», sagt dazu Marco Lipp von der Swiss. Die Schweizer Airline hat Serviceanpassungen vorgenommen und die Boarding- sowie Reinigungsprozesse angepasst.

Eine Studie der US-Behörde Centers for Disease Control Prevention (CDC) bestätigt, wie wichtig das Tragen von Gesichtsmasken und das Lüftungssystem sind. Die Forscher untersuchten zwei Langstreckenflüge aus Dubai und Auckland. Während des Fluges steckten sich vier Passagiere von einer oder zwei Personen an, die bereits vor dem Flug infiziert waren. Zwei der infizierten Passagiere hatten während des Flugs keinen Mund-Nasen-Schutz getragen. Zudem war das Lüftungssystem während eines 30-minütigen Zwischenstopps ausgeschaltet gewesen, was als einer der Gründe für die Ansteckungen vermutet wird.

Hochwertige Luftfilter

Der Swiss sind keine Fälle von Ansteckungen von Passagieren an Bord bekannt. «Wir erachten das Ansteckungsrisiko an Bord nach wie vor als äusserst gering», sagt Lipp. Die Luft in den Swiss-Flugzeugen zirkuliere vertikal und werde daher nicht in der Kabine verteilt. «Hinzu kommt, dass die Flugzeuge mit hochwertigsten Luftfiltern ausgestattet sind, welche die Luft wie in einem Operationssaal filtern», ergänzt Lipp.

Gelüftet wird in einem Flugzeug, indem durch die Klimaanlage frische Luft in die Kabine geblasen und die von den Passagieren veratmete Luft mit HEPA-Filtern gereinigt wird. Diese Filter halten die Partikel bis zu 99,95 Prozent zurück. Die frische Luft von aussen und die gefilterte Luft werden dann gemischt und wieder in die Kabine gelassen (siehe Grafik).

 

Fehlende Disziplin oder eine defekte Lüftung könnten also Gründe für den Virenflug aus Indien gewesen sein. «Vielleicht war es auch ein besonderer Fall von Pech. Weil ein grosser Superspreader in diesem Flugzeug gesessen ist, der die Maske nicht richtig getragen hat», sagt Riediker. Man sehe ja oft, dass Masken nicht über die Nase oder mit grossen Öffnungen getragen werden. «Dann ist es nur noch ein Spuckschutz, der die Tröpfchen zurückhält, aber kein Aerosol-Schutz.»

Ansteckungen in Flugzeugen sind zwar selten, das Risiko könnte gemäss einer aktuellen Studie des CDC aber nochmals verringert werden. Und zwar, wenn man die mittleren Sitze in einem Flugzeug frei lässt. Gemäss den Simulationen der CDC-Forscher von Kurz- und Langstreckenflüge reduziert sich das Ansteckungsrisiko dann um von 23 bis 57 Prozent Allerdings testeten die US-Forscher ohne Masken, obwohl bei den Fluggesellschaften eine Maskentragpflicht gilt.

Simulationen bestätigen Studie zur Sitzbelegung

Michael Riediker teilt die Resultate der Studie. «Wer direkt neben einer angesteckten Person sitzt, hat ein deutlich erhöhtes Risiko, weil die Konzentration im Nahfeld einer Quelle stark erhöht ist». Auch sein Simulations-Tools bestätigt das. Laut der Simulation kann es auf dem Nachbarsitz gerade noch knapp OK sein, wenn beide gut sitzende Hygienemasken tragen. Da dies leider oft nicht der Fall sei, sei auch der Vergleich mit der Situation ohne Maske, wie sie die US-Studie mache, richtig.

Wirtschaftlich nicht tragbar

Für die Airlines ist das Freilassen von Sitzen aber vor allem auch eine wirtschaftliche Frage. «Das Beispiel der entfernten Sitzreihe wäre wirtschaftlich nicht tragbar und abgesehen davon sind diese Art von ‹Umbauten› nicht einfach so umsetzbar», sagt Marco Lipp von der Swiss. Es gebe zudem diverse Studien, die zeigten, dass Fliegen auch in einer voll besetzten Kabine mit Schutzkonzept sicher sei.