Wer ist Fan von geschlossenen Gästesektoren? – mit AUDIO

Melanie Gamma: Es schaudert mich, wenn ich mir vorstelle, dass ich mit meinen Töchtern beim Zürcher Fussballderby im Stadion gewesen wäre. Wenn wir vor gut einer Woche miterlebt hätten, wie die Chaoten nach dem Match randalierten. Auch wir hätten Ziel der Pyros, die herumflogen, werden können. Keine Frage, es ist höchste Zeit, dass die Diskussion darüber, wie man Hooligans von den Stadien fernhalten kann, ernsthafter und zielgerichteter geführt wird, als je zuvor. Zumeist sind es die Fans des auswärtigen Teams, die sich danebenbenehmen. So macht die Idee des Komitees der Swiss Football League, die Gästesektoren zu schliessen, auf den ersten Blick vielleicht Sinn. Denke ich aber länger darüber nach, geht für mich diese mögliche reglementarische Anpassung, die diesen Monat geprüft werden soll, in die falsche Richtung. Man verbannt mit dem Ausschluss aller, auch der anständigen Gästefans, die Stimmung aus den Stadien.

Michael Wyss: Ich werde nicht müde, immer wieder zu betonen, wie sehr mich dieses Phänomen ärgert. Wenn ich zu schnell fahre, erhalte innerhalb von wenigen Tagen einen Brief der zuständigen Behörden, in dem ich aufgefordert werde, eine «Spende» zu tätigen. Wenn ich dann den Beamten beleidige, der auch nur seinen Job macht, kriege ich richtig Ärger. Im Fussballstadion spielt das Benehmen hingegen keine grosse Rolle. Die Sicherheitskräfte scheinen oder sind machtlos. Und auch die Vereine selbst haben, so macht es jedenfalls den Anschein, kein ausserordentliches Interesse daran, sich der Problematik einmal richtig anzunehmen. Deshalb begrüsse ich jeden einzelnen Schritt, der unternommen wird, die Gewalt und Verantwortungslosigkeit aus den Stadien zu verbannen. Ich fände es auch schade, wenn man gezwungen würde, die Gästesektoren zu schliessen, aber wenn es in irgendeiner Form hilt, die Exzesse deutlich zu minimieren, dann wartet nicht und macht es sofort.

gam: Klar, wer sich daneben benimmt, soll bestraft werden – und zwar hart. Also besser mit einem langen Stadionverbot als mit einer Geldbusse. Statt für eine generelle Schliessung der Gästesektoren plädiere ich für personalisierte Tickets und strikte Zutrittskontrollen. Durch Corona sind wir es ja gewohnt, unseren Ausweis zu zücken – warum also nicht auch vor jedem Fussballmatch? Eine Schliessung der Gästesektoren würde zudem doch auch bedeuten, dass die Fans der auswärtigen Teams versuchen würden, Plätze auf den Heimtribünen zu ergattern. Zumindest solange ihr Ticket nicht personalisiert ist… So mischen sich die Fangemeinden – und wie man da noch für Sicherheit sorgen soll, ist mir schleierhaft. 

mwy: Wenn ich überzeugt wäre, dass das mit den personalisierten Tickets zu 100 Prozent funktioniert, wieso nicht. Ich glaube aber eher, es müsste eine Kombination aus mehreren Massnahmen sein. Mit der Zeit kommen dann die Erfahrungen und man kann Schlüsse daraus ziehen. Schon vor dem Versuch eine Idee kategorisch abzuschmettern, ist meines Erachtens nicht zielführend. Es ist offensichtlich, dass die bisherigen Anstrengungen nicht fruchtbar waren oder schlicht zu nonchalant überprüft wurden. Deshalb muss man es vielleicht einfach ausprobieren mit der Schliessung der Gästesektoren. Die Fangewalt ist in der Gesellschaft momentan nicht das Thema mit der obersten Priorität, aber ich betone trotzdem die Dringlichkeit, weil man nicht warten darf, bis der erste schwere Unfall passiert.

gam: Definitiv. Und es tönt verlockend: wenn es keine Gästesektoren gibt, dann gibt es keine Fan-Reisen. So würde die Hooligans weniger Schäden anrichten in den Zügen und Bahnhöfen. Zumindest in der Theorie. Vielleicht treffen sie sich dann aber auch einfach vor den Sportstätten, um Frust abzuladen. Ich bin gespannt, welche Lösungsansätze die SFL in der Diskussion mit Vereinen und Fanvertretern findet. 

mwy: Das mag sein, aber im öffentlichen Raum ist es vielleicht einfacher, der Situation mit der angebrachten Härte zu begegnen. Von der Diskussion erwarte ich nicht viel. Die Zeit für Diskussionen ist auch vorbei, es muss dringend gehandelt werden.