13’030 Franken für den Chefarzt, 3’846 Franken für den Langzeitpfleger – sind Pflegelöhne zu tief oder angemessen? Der grosse Lohnvergleich

Im Kampf gegen die Pandemie sind sie die Speerspitze. Die Männer und – vor allem – die Frauen, die in den Spitälern und Heimen in der Pflege arbeiten. Sie waren in den letzten 18 Monaten stark gefordert. Als Bonus gab es freundlichen Applaus der Bevölkerung, keinen Zustupf fürs Portemonnaie.

Doch verdienen Pflegende wirklich so wenig, wie es seit Monaten in Medien und Politik behauptet wird? Das Lohnbuch 2021 gibt Antwort. Das Standardwerk für die ganze Schweiz, das vom Kanton Zürich alljährlich herausgegeben wird, ist 800 Seiten dick und zeigt in kleiner Schriftgrösse, die Bruttolöhne von knapp 10’000 Berufen.

Die Pflege ist ein breites Feld

Der Vergleich der Löhne im Bereich Pflege legt offen: Zwischen den verschiedenen Disziplinen sind die Unterschiede in den Verdienstmöglichkeiten beträchtlich. Im Kanton Zürich bekommt eine Pflegefachfrau mindestens 5600 Franken im Monat, wenn sie an einer höheren Fachschule studiert hat, und mindestens 6300 Franken mit dem Diplom einer Fachhochschule in der Tasche. Die Leiterin eines Pflegedienstes verdient knapp 7000 Franken. Am anderen Ende der Skala finden sich die Pflegehelferinnen, die mit knapp 4000 Franken im Monat beginnen.

 

Nicht nur innerhalb der Pflege, die Lohnschere im Gesundheitswesen geht weit auseinander. So verdienen Chefärzte im Kanton Zürich mindestens 13000 Franken, der Direktor des Universitätsspitals knapp 15000 Franken. Und: Mit Zusatzoperationen und Mandaten kommen sie auf ein Vielfaches von diesen Beträgen. So bezog Gregor Zünd, Direktor des Universitätsspitals Zürich, 2020 gemäss Saldo einen Lohn von 650’000 Franken. Er verdient damit an einem Tag fast so viel wie eine Fachangestellte Gesundheit in zwei Wochen.

Die Pflege ist ein breites Berufsfeld

«Es gibt nicht den Pflegelohn», betont deshalb Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Zu unterschiedlich seien die verschiedenen Berufe, zu verschieden die Ausbildungen. «Deshalb kann ich nicht sagen, bei diesem oder jenem Beruf muss der Lohn vor allem angehoben werden», sagt Ribi, die im Initiativkomitee der Pflegeinitiative sitzt.

Sie betont, dass das Volksbegehren eigentlich keine Lohninitiative sei: «Wir fordern nicht direkt höhere Löhne, wir fordern mehr Geld, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.» Unbestritten sei aber, dass die Löhne im Pflegebereich nicht zu den Hochlöhnen zählten und Handlungsbedarf bestehe.

Der Medianlohn macht dies deutlich. Er besagt: Für die eine Hälfte der Lohnbezüger liegt der Lohn über, für die andere Hälfte unter diesem Wert. Über alle Branchen beträgt er in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik 6538 Franken.

Im Gesundheitswesen sehen die Medianlöhne so aus:

  • 20 bis 29 Jahre: 5’133 Franken
  • 30 bis 39 Jahre: 6’361 Franken
  • 40 bis 49 Jahre: 6’835 Franken
  • 50 bis 65 Jahre: 6’935 Franken

Ab 40 Jahren verdienen Angestellte im Gesundheitswesen also etwas mehr als den Schweizer Medianlohn. Dies gilt allerdings nur für Angestellte in Spitälern, Praxen oder bei der Spitex. Tiefer sind die Medianlöhne in Heimen: Dort betragen sie zwischen 4’625 bis 6’250 Franken. Zum Vergleich: In der bestbezahlten Branche, bei den Bankangestellten, werden Medianlöhne von 7’699 bis 10’402 Franken bezahlt. Die tiefsten Medianlöhne gibt es bei Dienstleistern wie Coiffeuren, Wäschereien oder Kosmetikstudio. Dort erhalten die Angestellten Medianlöhne von 3’364 bis 4’545 Franken.

Pflegende müssen Vergleich mit anderen «sytemrelevanten» Berufen nicht scheuen

Apropos tief: Während der Lockdowns waren etwa auch Lastwagenchauffeure, Detailhandelsangestellte, Postbotinnen, Servicefachangestellte oder Kleinkinderzieher stark gefordert. Den Portemonnaievergleich mit diesen, ebenfalls als «systemrelevant» bezeichneten Berufen, müssen Pflegende keineswegs scheuen (siehe Tabelle rechts).

 

Lohnexperte Urs Klingler findet deshalb nicht, dass das Entgelt für Pflegende zu tief sei. «Die Höhe der Löhne in der Pflege ist nicht das Problem», sagt er. Aus seiner Beratertätigkeit für Spitäler kennt er die Lohnstrukturen gut. Das Problem sei anders gelagert: «Die Lohnbänder in den Pflegeberufen sind extrem breit und oft nicht auf die Funktion gemünzt.» Die Lohnbandbreiten würden meist 70 Prozent betragen. Will heissen: Man könnte in der gleichen Aufgabe 70 Prozent mehr verdienen. Also 119000 Franken im Jahr statt 70000 Franken. «Die Pflegelöhne müssen deshalb viel stärker auf die Funktionen ausgerichtet werden – mit genauen Zuständigkeiten und Bezeichnungen», fordert Klingler.

Wer auf einer Intensivstation arbeitet, soll mehr verdienen

Dabei müsse auch die Verantwortung und der Einsatz gewichtet werden: «Die Arbeit auf einer Intensivstation etwa ist belastender als auf einer ruhigeren Station», erklärt er. Dies müsse in die Lohnberechnung einfliessen.

«Aktuell erhalten Pflegende nicht die finanzielle Wertschätzung, die sie verdienen», sagt Yvonne Ribi. Gemäss dem aktuellen Versorgungsbericht der Gesundheitsdirektorenkonferenz steigen von den 20-24 jährigen, frisch ausgebildeten diplomierten Pflegefachpersonen im Schnitt 36 Prozent gleich wieder aus dem Job aus. «Wir verlieren hier topausgebildete Leute», sagt Ribi. Die meistgenannten Gründe für den Ausstieg seien neben der den Arbeitsbedingungen die hohe Belastung und die fehlende Perspektive.

Der Vergleich der Löhne im Gesundheitswesen mit den Vorjahren zeigt: Bisher hat die Pandemie nicht zu einem spürbaren Lohnanstieg in den Pflegeberufen geführt. Und das, obwohl die Pflegenden eigentlich am längeren Hebel sitzen: Ihre Arbeit ist gefragt, Personal in den Pflegeberufen wird händeringend gesucht. Ob sich das im Lohnbuch 2022 zeigt?