Schreckung der Bevölkerung: Massnahmenkritiker blitzen mit Strafanzeige gegen Ex-Taskforce-Chef Martin Ackermann ab

Er verbreite Horrorszenarien, die nie eintreffen würden: Auf fast 100 Seiten haben Massnahmenkritiker wie die «Freunde der Verfassung» oder die Jugendbewegung «Mass-Voll» im vergangenen Mai Argumente aufgelistet, weshalb sich Martin Ackermann, bis im vergangenen Sommer Präsident der Covid-19-Taskforce, der Schreckung der Bevölkerung schuldig gemacht habe. So habe er etwa falsche respektive irreführende Aussagen zur Verfügbarkeit der freien Betten auf Intensivstationen gemacht oder einschneidende Massnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie mit teilweise untauglichen Indikatoren begründet.

Die Massnahmenkritiker verwiesen auch auf eine Umfrage von «20 Minuten» vom vergangenen Februar, gemäss der 27 Prozent von knapp 44’000 Teilnehmern angaben, sich fürchterlich vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu fürchten.

Staatsanwaltschaft: Straftatbestand eindeutig nicht erfüllt

Mit der Strafanzeige gegen Ackermann und «allfälliger weiterer Täterschaft» sind die Massnahmenkritiker in erster Instanz abgeblitzt, wie Recherchen unserer Zeitung zeigen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern hat eine Nichtanhandnahme verfügt. Das heisst: Sie leitet gar keine Ermittlungen ein, weil sie zum Schluss gekommen ist, der fragliche Straftatbestand sei eindeutig nicht erfüllt.

Schreckung der Bevölkerung ist im Strafgesetzbuch wie folgt definiert:

«Wer die Bevölkerung durch Androhung oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.»

Ein klassisches Beispiel dafür ist eine Bombendrohung. So verurteilte das Kriminalgericht Luzern im April den Mann, der mit Bombenexplosionen in einem Luzerner Einkaufszentrum gedroht hatte, neben anderen Straftatbeständen wegen Schreckung der Bevölkerung zu einer Freiheitsstrafe von 33 Monaten.

Die Staatsanwaltschaft Bern führt in ihrer Verfügung aus, Androhen im Sinne von Schreckung der Bevölkerung bedeute, dass der Täter eine zum Zeitpunkt der Äusserung nicht bestehende Gefahr beschreibe und zudem zu erkennen gebe, dass er diese Gefahr eigenmächtig herbeiführen könne und auch bereit sei, dies zu tun. Weder Ackermann noch andere Mitglieder der Taksforce hätten die Tatbestandsvariante der Androhung einer Gefahr erfüllt, hält die Staatsanwaltschaft fest. Zumal ihnen nicht unterstellt werden könne, sie hätten insinuiert, die nicht bestehende Gefahr selber heraufbeschwören zu können.

Argumentation deckt sich mit Einschätzung von Strafrechtsprofessor

Es gebe keine Anhaltspunkte, dass Ackermann und andere Mitglieder der Taskforce wider besseres Wissen vor Gefahren gewarnt hätten, die sie selber für inexistent hielten. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft deckt sich mit der Einschätzung, die der Luzerner Strafrechtsprofessor Andreas Eicker im Mai zur Causa Ackermann abgegeben hatte.

«Mass-Voll»-Co-Präsident Nicolas Rimoldi (Mitte) an einer Demonstration gegen die Covid-Massnahmen.

«Mass-Voll»-Co-Präsident Nicolas Rimoldi (Mitte) an einer Demonstration gegen die Covid-Massnahmen.

Bild: Roland Schmid

Die Massnahmenkritiker prüfen, die Nichtanhandnahme-Verfügung beim Berner Obergericht anzufechten. Dafür bleibt Zeit bis am 1. November. Nicolas Rimoldi, Co-Präsident des Vereins «Mass-Voll», kritisiert die Verfügung scharf. Ackermann habe zumindest in Kauf genommen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung in permanenter Angst vor dem Virus lebe. Dies trage zu einem Klima bei, das Anfeindungen gegen die Massnahmenkritiker befeure. Als aktuelles Beispiel erwähnt Rimoldi einen Vorfall vom vergangenen Samstag. In Winterthur schmierten Unbekannte «Mass-Voll»-Co-Präsidentin Viola Rossi eine Torte ins Gesicht. Allerdings sind auch Verantwortungsträger exponiert. So schüttete ein Impfgegner an einem Anlass im zürcherischen Gossaus Apfelschorle auf die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli.

Wenige Verurteilungen

In den vergangenen zehn Jahren wurden in der Schweiz jeweils zwischen 8 bis 25 Personen wegen Schreckung der Bevölkerung verurteilt. Wegen der Pandemie zählte bis im letzten Mai allein die Staatsanwaltschaft Bern 150 Anzeigen deswegen. Sie richteten sich etwa gegen Gesundheitsminister Alain Berset, die letztjährige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und andere Verantwortungsträger im Zusammenhang mit den Coronamassnahmen. Nimmt man die noch nicht rechtskräftige Verfügung im Fall Ackermann zum Massstab, ist nicht mit einer Verurteilungswelle zu rechnen. Vielmehr dürften die Anzeigen versanden.

Übrigens: Martin Ackermann räumte im August in einem Interview mit der NZZ ein, die Taskforce sei überrascht gewesen, dass es nach den Lockerungen im April nicht zu einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen gekommen sei: «Wir lagen bei den saisonalen Einflüssen und der tatsächlichen Ansteckungsrate des Virus daneben – was grosse Auswirkungen in den Modellen haben kann. Zudem haben wir den Faktor Mensch schlicht unterschätzt.»