«In meinem Alter war ich der beste Spieler in Westafrika»

Wie es in seiner Heimat talentierte Kinder zum Profi schaffen, will ich von Allen Njie wissen. Ohne Scheu sagt der Liberianer: «Geld oder Beziehungen.» Es ist Mittwoch dieser Woche, das Vormittagstraining im Brügglifeld soeben fertig, als wir uns treffen. Mit dabei ist Marin Andrijasevic, der sich beim FCA um die Betreuung der ausländischen Profis kümmert, Behördengänge begleitet, Wohnungen organisiert und aus der Ferne das Taxi bezahlt, wenn der Spieler nicht weiterweiss.

In Barnersville, einem Vorort von Monrovia, der Hauptstadt Liberias, wächst Allen Njie mit vier Geschwistern auf. 64 Prozent der Menschen im Land leben unter der Armutsgrenze, Njie hat Glück: Weil sein Vater für die Regierung arbeitet, beschert das der Familie einen «gehobenen» Standard. Njies Dank jedoch geht vor allem an seine Mutter. Sie sei es gewesen, die ihm Bälle und Fussballschuhe gekauft und ihn jeden Tag nach draussen geschickt habe zum Üben. «Was ich heute tue, widme ich ihr.» Im Frühjahr 2019 ist die Mutter gestorben.

Er redet ohne Punkt und Komma

Geregelte Meisterschaftsbetriebe für Kinder, wie sie hierzulande schon Sechsjährige vorfinden, gibt es in Liberia nicht. Der Weg zum Profi führt über die drei Akademien des Landes. Aber eben: Gemäss Njie werden nur Kinder aufgenommen, deren Eltern gut zahlen oder gute Beziehungen haben, das sportliche Können sei sekundär. Njies Vater hat zwar Geld, doch bezahlen für den Profitraum des Sohnes will er nicht. «Dann kam Mr. Jackson», sagt Njie und strahlt. Mr. Jackson entdeckt den zehnjährigen Allen beim Kicken mit Kumpels und schleust ihn in die Akademie ein. Schule, Elternhaus, Fussballtraining – in diesem Dreieck bewegt er sich fortan, immer mit der festen Überzeugung, den Sprung nach Europa zu schaffen: «In meinem Alter war ich der beste Spieler in Westafrika.»

Ein Interview mit Allen Njie ist Extremsport für das Gehirn: Der 22-Jährige redet ohne Punkt und Komma, springt zwischen den Themen und den Jahren und die afrikanische Färbung in seinem Englisch ist so stark, dass man froh sein muss, die Hälfte zu verstehen. Leicht verwirrt, so lässt Njie auch das Publikum im Stadion zurück. Seine Auftritte sind geprägt von Licht und Schatten. Bekäme er die Nonchalance, manchmal wirkt es auch wie Schläfrigkeit, in den Griff, wäre er viel zu gut für die Challenge League. Seine Dynamik, Zweikampfstärke und Fähigkeit zur Balleroberung sind einzigartig.

In etwa so schätzten das auch die Verantwortlichen der Grasshoppers ein, als sie Njie Ende 2018 zum Probetraining einladen. Für Njie ist der Abstieg des Rekordmeisters im Sommer 2019 ein Glücksfall: Mit Beginn des Neustarts in der Challenge League wird er Stammkraft, im Mittelfeldzentrum neben Klublegende Vero Salatic, der in seiner Rolle als Teamvater mit Njie und anderen jungen Südländern Winterschuhe einkaufen geht, als es kühler wird.

«Ich sass traurig in meiner Wohnung, allein»

Alles läuft gut, ein Angebot der Berner Young Boys lehnt GC ab, Njie akzeptiert, ohne zu murren – er spielt ja immer. Und dann kommt Corona und in der Folge der Bruch mit GC: Zu Beginn der Pandemie, als niemand weiss, wie schlimm es wird, reist Njie zu seiner Familie nach Liberia. Zwei Monate später will er zurück, darf aber nicht wegen der Einreisesperren und wird zum Zankapfel zwischen alter und neuer GC-Führung. Im Herbst 2020 nimmt Njie erst ein Angebot aus Israel, dann eines aus Kroatien an, einfach, um GC hinter sich zu lassen. «Ich sass traurig in meiner Wohnung, allein.»

Die Wunden sind nicht verheilt, das impliziert auch seine Antwort auf die Frage, warum er im Sommer zum FC Aarau gewechselt sei: «Ich kenne das Leben in der Schweiz, der Trainer und der Sportchef haben gute Gespräche mit mir geführt. Und ich will GC beweisen, dass sie einen Fehler gemacht haben.» Fehler? Im Frühling löst GC den Vertrag mit Njie auf, im Denken, dieser wechsle nach der Ausleihe nun definitiv nach Kroatien. So ist Njie einige Wochen vertragslos, FCA-Sportchef Sandro Burki, der ihn schon länger beobachtet, erfährt davon und offeriert einen Dreijahresvertrag. Njie ist seit Beginn diese Jahres Captain der Nationalmannschaft Liberias und der FC Aarau ein Klub in der zweiten Schweizer Liga – ein Wunder, dass diese zwei Parteien zusammenfinden. Mitgeholfen hat der frühere Nationalspieler Johan Vonlanthen, der sich um Njies Belange in der Schweiz kümmert und mit Burki befreundet ist.

Dass er nach starkem Beginn im FCA-Trikot nur noch Einwechselspieler ist, nimmt Njie hin, er sagt: «Der Trainer spricht viel mit mir und zeigt mir, welche Dinge ich verbessern muss. Er ist wie ein Vater. Ich bin da, wenn er mich braucht und gebe alles.»

Aaraus Cup-Gegner kommt in Fahrt
FCA-Trainer Stephan Keller kündigte nach der 0:2-Heimniederlage gegen Thun Veränderungen in der Startelf an. Auf der Hand liegt die Rückkehr von Imran Bunjaku, Jan Kronig und Allen Njie – auch Marco Aratore darf sich Chancen ausrechnen. Und kommt es im Tor zum Debüt von Ersatzgoalie Rafael Zbinden? Mit Blick auf die Super-League-Tabelle scheint scheint Lausanne-Sport kein überwindbarer Gegner zu sein, die Waadtländer belegen nach elf Spieltagen den letzten Rang. Doch aufgepasst: Zuletzt zeigte das Farmteam des französischen Klubs Nizza aufsteigende Tendenz. Gegen GC gelang der erste Saisonsieg und am vergangenen Wochenende verlor Lausanne sehr unglücklich auswärts gegen Meister YB. Der FCA ist also gewarnt, darf aber auf die Rückkehr des gegen Thun verletzten und schmerzlich vermissten Donat Rrudhani hoffen – er bestritt das Abschlusstraining ohne Probleme. (wen)