Aarau-Meistertrainer Rolf Fringer: «Euphorie ist der Grund für die Krise»

Der FC Aarau ist Abstiegskandidat Nummer 1 in der Challenge League – einverstanden?
Rolf Fringer: Die aktuelle Tabelle sagt das auch. Solange man Letzter ist, muss man sich mit dem Abstieg auseinandersetzen. Eine erfolgreiche Saison wird es nicht mehr für den FC Aarau, aber für den Abstieg ist die Qualität zu gross.

Vor 25 Jahren führten Sie den FC Aarau zum Meistertitel. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie die aktuelle Challenge-League-Tabelle nach fünf Spieltagen anschauen?
Oje! Unglaublich und sehr traurig, dass es so weit kommen konnte.

Was haben Sie dem FC Aarau vor der Saison zugetraut?
Seit Sandro Burki Sportchef ist, verfolge ich den FC Aarau wieder genauer. Für mich hatte es Hand und Fuss, wie Burki und Patrick Rahmen die Mannschaft zusammengestellt haben. Die Mischung aus charakterstarken, langjährigen Super-League-Spielern und hoffnungsvollen Talenten schien zu stimmen. Dazu hat der FC Aarau ein hochklassiges Trainerteam, um das ihn viele Klubs beneiden. In sportlich-technischer Hinsicht wurde gute Arbeit geleistet.

Anscheinend wurden Fehler bei der Kaderzusammenstellung gemacht, die sich erst in der Krise offenbaren.
Ich bleibe dabei: Das ist eine klug zusammengebaute Mannschaft. Der Hauptgrund für die Krise war die gute Saison-Vorbereitung.

Das müssen Sie erklären.
Der FC Aarau hat in der Vorbereitung gegen Basel, GC und Thun gewonnen. Dass es nur Testspiele waren und die Gegner mit ihren Reserveteams angetreten sind, wurde von der Öffentlichkeit und scheinbar auch von den Spielern dankend ignoriert. Rund um den Verein entstand eine Euphorie, die Erwartungen von Medien und Fans waren riesig. Es wäre wohl besser gewesen, der FC Aarau hätte in der Vorbereitung Probleme gehabt gegen Brüttisellen.

Im Fall einer misslungenen Vorbereitung wäre eine negative Unruhe entstanden.
Es geht um die Einstellung, mit der die Spieler in den ersten Match gehen: Die Vorbereitung und das Lob von aussen haben zu einer trügerischen Sicherheit geführt.

Haben die Spieler die Bodenhaftung verloren?
Sie lesen auch Zeitung und bekommen die Euphorie mit. Vielleicht haben einige gedacht, nach den Testspielsiegen gegen Basel und GC gehe es in der Challenge League von selber. Und das, bevor die Mannschaft den ersten Punkt gewonnen hat. Mit diesem Denken ist der Grat zwischen Erfolg und Misserfolg extrem schmal, das böse Erwachen ist dann fast vorprogrammiert.

Okay. Aber spätestens nach der zweiten Niederlage im zweiten Spiel muss doch die Einsicht kommen: So einfach wie gedacht geht es nicht.
Meine Erfahrung sagt etwas anderes: Ist die Lawine losgetreten, ist sie nicht zu stoppen. Erst wenn sie im Tal angekommen ist, kann der Wiederaufbau beginnen. Erst wenn alle Spieler und alle im Verein wieder Bodenhaftung haben und der Realität ins Gesicht schauen, ist die Einstellung wieder die richtige.

Ist die FC-Aarau-Lawine schon im Tal angekommen?
Ich sehe nicht in die Köpfe der Spieler. Aber sportlich und stimmungsmässig kann man nicht tiefer fallen. Von daher glaube ich schon, dass alle die Füsse wieder am Boden haben und kapieren, dass es nur mit harter Arbeit besser wird.

Am Willen fehlt es den Spielern nicht, viel mehr am Rezept zur Umsetzung.
Fussball ist ein Abbild des Lebens: Wenn ich mir 5000 Franken von der Bank leihe, muss ich inklusive Zinsen 5500 Franken zurückzahlen, um schuldenfrei zu sein. In der Situation, in der Aarau steckt, müssen die Spieler mehr machen als ihre Gegner, um gleich viel zu bekommen. Sie brauchen fünf Chancen für ein Tor, während dem Gegner eine reicht.

Was haben Sie als Trainer Ihren Teams in ähnlichen Situationen gesagt?
Als ich einst Luzern nach elf Spieltagen übernommen habe, hatten sie zwei Punkte. In so einem Moment ist Fussball nur Psychologie. Erst wenn jeder Spieler bereit ist für den Kollegen durchs Feuer zu gehen und auch neben dem Platz alles für den Erfolg zu tun, verdient man sich das nötige Wettkampfglück.

Wenn der FC Aarau am Samstag in Rapperswil-Jona verliert, wird Trainer Patrick Rahmen wohl zum Bauernopfer und wird entlassen.
Aktionismus bringt jetzt überhaupt nichts, weil die Qualität in der Mannschaft und im Trainerteam offensichtlich ist. Alle im Verein müssen zusammenrücken und mit Demut hart arbeiten.

Seit Sie 2002 den FC Aarau verlassen haben, ist strukturell nichts passiert. Man kann doch nicht hohe Ziele haben und gleichzeitig die Geschäftsstelle stiefmütterlich besetzen.
Dass mit schlanken Strukturen viel möglich ist, beweist seit vielen Jahren der FC Thun. Seit Sandro Burki Sportchef ist, hält sich der Verwaltungsrat aus den sportlichen Entscheidungen raus. So muss es sein.

Mit Verlaub: In Krisenzeiten braucht es eine Führung, die den Karren aus dem Dreck zieht. Umso mehr, wenn der FC Aarau vor einer zukunftsweisenden Stadion-Abstimmung steht.
Der Fokus muss nun auf die sportliche Trendwende gelegt werden. Ein Rücktritt der Führung bringt keine Punkte.

Das vielleicht nicht. Aber vielleicht würde so endlich die dringend nötige Dynamik den Verein erfassen.
Ich hoffe, die Aarauer Stimmbürger sind nicht so bünzlig und verweigern dem FC Aarau wegen der momentanen Krise das Stadion. In dieser Frage geht es um den ganzen Kanton und darum, ob der Kanton langfristig in der wichtigsten Sportart ganz oben mitspielt.

Hat es sich die Klubführung in den vergangenen Jahren nicht zu einfach gemacht, indem sie mit der Opferrolle in der Stadionfrage kokettierte, statt den Verein unabhängig davon zu modernisieren?
Das neue Stadion wurde zum Thema, als wir 1993 Meister wurden. Was seither abging, ist ein Witz. Ist es der Sinn der Demokratie, dass eine einzige Person den Willen von zigtausend Aarauern verhindern kann? Der FC Aarau ist der Leidtragende dieses Trauerspiels. Und was jetzt passiert, das hat Alfred Schmid nicht verdient: Er hat mit dem Sportchef-Wechsel alles gut aufgegleist und ausgerechnet seither läuft es so schlecht wie nie.

Sie reisen als «Teleclub»-Experte durch alle Schweizer Stadien – ist der FC Aarau in der Szene eine Lachnummer?
Nein. Überall fragt man sich: Wie ist das möglich mit diesem Kader und diesem Trainerteam?

Herr Fringer, für was steht der FC Aarau?
Für eine leidige Stadion-Geschichte, in der – pardon – ein Einsprecher-Clown die Hauptrolle hat. Und sonst für viel Tradition und ein leidenschaftliches Umfeld.

Reicht das langfristig als DNA, mit der sich die Menschen identifizieren?
Natürlich wurden in der Vergangenheit auch Fehler begangen, zum Beispiel in personellen Fragen. Aber nochmals: In der aktuellen Form ist der FC Aarau gut aufgestellt. Jetzt gilt: Ruhe bewahren und Schulter an Schulter aus der Krise gehen.

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