
Aarau-Stürmer Marco Schneuwly: «Mich muss man nicht mögen»
Jetzt auch noch das. Als hätte Marco Schneuwly nicht schon genug zu beissen an der Formkrise, stattet ihm diese Woche die Verletzungshexe einen Besuch ab: Seither zwickt der Oberschenkel, das erste Heimspiel des FC Aarau in der neuen Saison gegen den SC Kriens (heute Samstag, 19 Uhr) findet ohne ihn statt. Doppelt bitter für Schneuwly: Er hätte gegen die Innerschweizer wohl erneut auf seiner Lieblingsposition im Sturmzentrum spielen und dort den nächsten Anlauf nehmen können, endlich seinem Ruf gerecht zu werden, der ihm auch mit 34 Jahren noch vorauseilt: dem des Torgaranten.
Rückblick: Das Brimborium ist gross, als Marco Schneuwly im Juni 2018 vom FC Aarau präsentiert wird. Seine Verpflichtung verleitet Medien, Experten und Fans endgültig dazu, den zuvor auf dem Spielermarkt schon sehr aktiven Klub vom Brügglifeld als Transfersieger zu bezeichnen. Schliesslich steht hierzulande kaum ein anderer Name so sehr für Tore wie jener von Marco Schneuwly, in seiner Blütephase forderten viele gar ein Nationalmannschafts-Aufgebot für den Fribourger. Entsprechend riesig sind die Erwartungen in Aarau. Einem Stürmer seines Formats sollte es in der zweitklassigen Challenge League trotz fortgeschrittenem Alter locker für einen Spitzenplatz im Torjäger-Ranking reichen – oder?
Als Schneuwly hätte zum Helden werden müssen
Nach 36 Spieltagen stehen vier Tore und drei Assists zu Buche. Statistisch ist es Schneuwlys schlechteste Saison seit sieben Jahren. Sein Ziel, das er sich vor jeder neuen Spielzeit setzt, nämlich die Quote in der vorherigen mindestens zu bestätigen, verpasst er. Schneuwly rückblickend: «So gesehen war es nicht meine beste Saison. Es gibt Phasen im Leben eines Stürmers, in denen es nicht läuft. Aber ich habe immer alles für die Mannschaft gegeben, das ist auch wichtig.»
Trotz der Ladehemmung seines Starstürmers qualifiziert sich der FC Aarau im Frühling für die Barrage und steht in dieser nach 4:0-Hinspielsieg in Neuenburg vor dem Aufstieg. Der Rest ist bekannt: Xamax gewinnt im Brügglifeld 4:0, setzt sich im Penaltyschiessen durch und schafft den nicht mehr für möglich gehaltenen Ligaverbleib. Aus Aarauer Sicht hätte es nie so weit kommen dürfen. Verhindern hätte den Super-GAU auch Marco Schneuwly können, ja müssen: Im Rückspiel läuft die 89. Minute, als Petar Misic den Ball von links in den Strafraum legt, genau vor die Füsse Schneuwlys.
Und was tut der Mann mit 165 Profitoren auf der Visitenkarte? Haut den Ball aus sechs Metern mindestens so weit über den Kasten. Totenstille im Stadion, die FCA-Spieler sinken zu Boden. Wie kann Schneuwly diesen Ball nicht reinmachen? Es wäre aus Sicht des FC Aarau zwar nur das 1:4 gewesen – doch was heisst hier «nur»: Das Tor hätte den Aufstieg in die Super League gesichert, Schneuwly einen Eintrag in die Geschichtsbücher des FC Aarau und ewigen Heldenstatus bei den Fans. Seine bis dato ernüchternden Darbietungen? Vergessen und vergeben.
Er kann es noch immer nicht fassen
Acht Wochen sind vergangen seit jenem verhängnisvollen Sonntag, Marco Schneuwly kann es immer noch nicht fassen. Er lächelt gequält und versucht zu erklären, was nicht erklärbar ist: «Ich habe mir die Szene einige Male angeschaut und kann nichts erkennen, das ich falsch mache. Mein Laufweg ist perfekt, die Körperhaltung stimmt und ich treffe den Ball gut, aber vielleicht einen Zentimeter zu tief, und darum geht er drüber. Aber eigentlich ist es müssig, darüber zu diskutieren, es gibt Dinge, die kann man nicht erklären. Fakt ist: Wäre der Ball reingegangen, würden wir jetzt nicht hier sitzen.»
Diesen letzten Satz können wir so stehen lassen. Schneuwly und der FC Aarau hätten vor einer Woche die neue Saison in Thun, Basel, Bern oder einer anderen der zehn Super-League-Städte begonnen – und nicht in Winterthur. 1:1 steht es dort am Ende nach einem Spiel, das komplett an Mittelstürmer Schneuwly vorbeiläuft. Seine einzige Torchance, notabene eine hochkarätige, vergibt er. Kommt dazu: Für viele Beobachter hat seine Körpersprache in Winterthur etwas Lustloses, ja gar Resignierendes. Ein Aspekt, der das Problem mit der ungenügenden Torquote verschärft.
Dagegen wehrt sich Schneuwly vehement: «Mich muss man nicht mögen, jeder, der mich nicht gut findet, darf mir das sagen. Doch der Vorwurf, ich lasse mich hängen, ist hanebüchen. Wer mich kennt, weiss, dass das schon immer meine Gangart ist. Ich bin kein extrovertierter Typ, der sich jeden Schulterklopfer abholt. Um das klarzustellen: Ich fahre jeden Morgen gerne ins Training, meine Lust auf Fussball ist riesig.»
Noch ein Jahr Zeit, um als Gefeierter zu gehen
Marco Schneuwly hat in Winterthur jene Stimmen genährt, die ihn schon während der letzten Saison abgeschrieben haben. Ob zu früh oder nicht – das wird sich zeigen, wenn er seine Oberschenkelprobleme auskuriert hat. Fakt ist: Aufwand und Ertrag stimmen bei Grossverdiener Schneuwly bislang nicht überein. Sein Vertrag beim FC Aarau läuft noch bis 2020. Genug lang also, um seine Kritiker zu widerlegen und das Brügglifeld dereinst als Gefeierter zu verlassen.