
Aaraus Donat Rhudani: Über die grüne Grenze ins Glück
Als Donat Rrudhani die Episode erzählt, spricht aus ihm der kleine Junge, der nicht mehr aus dem Schwärmen herauskommt, nachdem er gerade sein grosses Idol getroffen hat. Doch genau so war es ja auch am 5. Januar 2020: Der FC Aarau weilt zum Jahresbeginn in einem Skiweekend in Davos, als Shkelzen Gashi angekündigt wird. «Es ist also wahr», denkt sich Rrudhani über die schon länger kursierenden Gerüchte und seine Knie beginnen zu schlottern. Im Kopf rasen die Gedanken: Soll ich ihm die Hand geben? Ihn sogar umarmen? Soll ich ihn auf Deutsch oder Albanisch ansprechen? Zehn Minuten lang heckt er einen Plan zur Begrüssung aus, um dann keinen Ton rauszubringen, als Gashi vor ihm steht.
Donat Rrudhani war 15, als Gashi 2014 zum damaligen Serienmeister und Champions-League-Dauergast FC Basel wechselte, in die Nähe des Wohnortes der Familie Rrudhani im elsässischen Mulhouse. Fortan fuhr er mit seinem Vater wann immer möglich an die FCB-Spiele im St. Jakob-Park: «Shkeli war in dieser Zeit in meiner Heimat ein Superstar, er spielte Champions League und war Teil der Mannschaft, die erstmals mit Albanien an eine Europameisterschaft reiste. Einmal mit ihm auf dem Platz zu stehen? Das war ein absurder Gedanke.» Selber kickte Rrudhani damals beim Mulhouser Quartierklub FC Brunstatt, die Profiambitionen waren seit dem Umzug der Familie Anfang 2015 ins Elsass begraben. Was im Moment selber schwer zu verkraften war, öffnete ihm letztlich die Tür nach Aarau. Rrudhani ist überzeugt: «Wären wir damals nicht gezügelt, wäre ich heute Amateurkicker und hätte einen Bürojob.»
Doch von vorne: Kosovo, ein Dorf unweit der Stadt Kamenica. Hier verbringt Rrudhani seine ersten zwölf Lebensjahre. Der Fussball ist wie für die allermeisten Knaben im Balkan das erste Spielzeug. «Einmal pro Woche traf sich mein Vater mit Kollegen in einem Park zum Fussball. Mit sechs durfte ich erstmals mitspielen, es war das Grösste für mich!» Im Gegensatz zu anderen in der Region fehlt es der Familie an nichts, trotzdem entscheiden sich die Eltern Ende 2011 für die Auswanderung nach Frankreich. Rrudhani: «Der Hauptgrund, das hat mir mein Vater später verraten, war ich: Ich hatte viel Talent, aber junge Spieler werden im Kosovo kaum gefördert. Auch meine Schwester und mein Bruder sollten beruflich eine bessere Chancen bekommen, darum sind wir gegangen.»
Die Mutter erhält dank eines Onkels in Dijon ein Einreisevisum, geht mit den jüngeren zwei Kindern voraus und beantragt Asyl. Einige Wochen später machen sich Donat und sein Vater auf die Reise. Ein Fahrer bringt sie nach Serbien und dort an die ungarische Grenze. Als es dunkel ist, wandern sie los. Fünf Stunden lang durch den Wald, in die EU. «Ich trug zwei riesige Koffer, mein Vater drei. Es war das anstrengendste, was ich je gemacht habe.» Einige Tage und eine lange Autofahrt quer durch Europa später sind die Rrudhanis wieder vereint.
Donats grösste Sorge nach der ersten Begegnung mit gleichaltrigen Kindern ist: «Wie schnell kann ich Französisch?» Die Sprache sei doch der Schlüssel zur Integration. Und anpassen müsse sich der Neuankömmling. «Es ist eine Frage des Anstands, als Einwanderer die Sprache zu lernen», sagt er in mehr als passablem Hochdeutsch.
In Frankreich entdecken Scouts schnell sein Talent, er landet in der Nachwuchsabteilung des Erstligisten Troyes. Dort überreden sie ihn zum Bleiben, als Rrudhanis Vater im über 300 Kilometer entfernten Mulhouse Arbeit erhält – erfolglos: «Von der Familie getrennt sein? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen.» Es ist – vorerst – das Ende der leisen Hoffnungen auf ein Leben als Profifussballer. Zwar spielt er beim Mulhouser Vorortklub Brunstatt weiter, aber nur zum Spass: «Wenn ich entscheiden musste zwischen Ausgang mit Kollegen und einem Match, ging ich feiern.»
Bis ihn sein Vater im Sommer 2017 nach Basel an ein Plauschturnier mit Kollegen mitnimmt. Unter den Mitspielern sind viele, mit denen Rrudhani als Bub im Kosovo auf der Wiese gespielt hat. Während des Turniers wird er von einem Gegenspieler angesprochen und kurz darauf hat er von der AS Timau, einem von italienischen Arbeitern gegründeten Quartierklub in Basel, einen Vertrag vorliegen. Als Rrudhani beim Durchlesen über den Betrag «200 Franken» stolpert, denkt er, es handle sich um den Mitgliederbeitrag. «Als sie sagten, das sei Benzingeld für die Fahrten zwischen Mulhouse und Basel, war ich unglaublich stolz.»
Aus den 200 Franken werden ein halbes Jahr später 400, weil nach einer überragenden Vorrunde Rrudhanis in der 2. Liga interregional (fünfthöchste Spielklasse) Klubs aus höheren Ligen Schlange stehen. Auch der Platzhirsch FC Basel will ihn, ehe Nachwuchschef Massimo Ceccaroni sein Veto einlegt. «Er meinte, sie hätten sie schon einen Spielertypen wie mich im Kader. Ich war sehr enttäuscht, denn die Lust, den Sprung zum Profi zu versuchen, war zurück.»
Die nächste Chance kommt im Frühling 2019: Rrudhani, mittlerweile beim FC Black Stars in der 1. Liga, wird nach dem gewonnenen Aufstiegsspiel in Baden während dem Feiern zur Seite geholt. «Der Mann sagte, der FC Aarau lade mich zu einer Probewoche ein. Zuhause habe ich «FC Aarau» gegoogelt und glauben Sie mir, da ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Ich hatte ja keine Ahnung, was für ein grosser Klub das ist!» Während viele junge Fussballer zur Selbstüberschätzung neigen, ist es bei Rrudhani umgekehrt: «Vor dem ersten Training hatte ich Panik: Plötzlich war ich doch noch ganz nah am Profifussball, gleichzeitig aber war mir klar, dass ich auf diesem Niveau nicht mithalten kann.»
Nun ja – Irren ist menschlich: Schon in der ersten Saison liefert er etliche Kostproben seines Potenzials ab, der Durchbruch gelingt ihm im vergangenen Jahr, in dem er auch erstmals für die kosovarische Nationalmannschaft aufgeboten wird. In Stephan Keller hat er beim FC Aarau einen Trainer, über den Rrudhani sagt: «Wir alle wollen den Aufstieg – aber am meisten will ihn der Trainer. Sein Ehrgeiz fasziniert mich.»
Als im letzten Winter die Grasshoppers auf Einkaufstour gehen, um die Aufstiegskonkurrenz zu schwächen, haben sie es in Aarau auf Rrudhani abgesehen. Das Lockmittel ist Geld, mehr nicht, und nach einem langen Gespräch mit Stephan Keller und Sportchef Sandro Burki sagt Rrudhani zu letzterem: «Beim nächsten Angebot sagst du ab, ohne mich zu informieren.» So läuft es auch in diesem Sommer, Rrudhani hat sich zwar einer Berateragentur angeschlossen, wissen von einem Transfer zu einem der vielen Interessenten will er indes (noch) nichts. Aber er macht am Ende unseres Treffens klar: «Ich werde nächstes Jahr 23 und habe noch viel vor!» Die laufende Saison dürfte seine letzte Saison in der Challenge League sein.
Vaduz nächster Gradmesser für den FCA
Mit dem nächsten Heimsieg am Freitagabend gegen Vaduz hätte der FCA nach fünf Spielen 12 Punkte – vier mehr als zum gleichen Zeitpunkt in der letzten Aufstiegssaison 2012/13. Gleichzeitig wäre ein Aufstiegskonkurrent um acht Punkte distanziert. Nach dem Spiel folgt die zweiwöchige Länderspielpause.