Aargauer Reiseunternehmer Roger Geissberger spricht Klartext: «Es ist unsinnig, für 80 Franken nach Barcelona zu reisen»

 

Ende 2020 haben Sie das Amt als CEO abgegeben, Sie wollten kürzertreten.

Ich wollte einfach mehr Zeit für meine Familie und meine eigenen Projekte. Deshalb habe ich vor zwei Jahren beschlossen, mich als Chairman auf die Verwaltungsräte zu konzentrieren. Bis jetzt ist das Kürzertreten noch nicht wirklich gelungen, da Corona uns, also das Knecht-Management inklusive mir selbst, sehr in Anspruch genommen hat. Aber jetzt mit dem neuen CEO Markus Kohli wird es mit Sicherheit schon bald möglich sein, dass ich mich auf Strategie und Sonderaufgaben beschränke und meine privaten Projekte verfolge.

Erzählen Sie mehr über Ihre Pläne.

Mein Frau und ich haben eine Holding mit mehreren Beteiligungen an touristischen Unternehmen. Unter anderem besitzen wir zwei Hotels im Wallis.

Hat Sie niemand davor gewarnt, in die Hotellerie zu gehen?

(Lacht) Doch, zahlreiche Leute. Aber es war und ist eine Herzensangelegenheit. Wir haben über viele Jahre vier Monate im Winter in Bellwald im Wallis verbracht. Unsere Kinder waren im Kader von Ski Valais und wir hatten ein Chalet dort. Die 14-Gault-Millau-Küche des Hotel Zur Alten Gasse haben wir sehr schätzen gelernt.

Wie wurden Sie zum Besitzer?

Der Vorgänger hat uns gefragt, 2012 sind wir eingestiegen und haben das Hotel komplett renoviert. Wir konnten eine Parzelle nebenan dazu kaufen, bauten dort 2017 ein neues Hotelgebäude. Aber wir haben Lehrgeld bezahlt.

Inwiefern?

Wir haben anfänglich ordentlich Geld verloren. Zwar wussten wir, wie man etwas vermarktet, aber nicht, wie man ein Hotel führt. Seit drei Jahren macht uns das Geschäft richtig Freude und speziell die beiden letzten waren weit über unseren Erwartungen.

Sie haben also auch von Corona profitiert?

Im Sommer 2020 haben wir mit Sicherheit davon profitiert, dass die Grenzen weitestgehend geschlossen waren. Die Schweizer haben die Liebe zu den Bergen wiederentdeckt. Aber vor diesem Sommer hatten wir Bammel.

Zu unrecht, oder?

Ja, 2021 war noch besser als das Coronajahr. Wir hatten viele Gäste, die zurückkehrten. Unser Angebot stimmt. Zuletzt hatten wir auch den FC Aarau für ein paar Tage zu Gast. Sie waren wandern, Riverraften und wurden durch die Air Zermatt geführt.

Wie nahe sind Sie eigentlich dem Fussball noch?

Ich habe immer noch Aktien beim FC Aarau. Aber Alfred Schmid und ich haben beschlossen, 2020 an eine jüngere Generation zu übergeben. Und sie machen einen super Job, haben tolle junge Fussballer geholt.

Der abtretende Präsident Alfred Schmid (rechts) und sein Vize, Roger Geissberger, im März 2019 bei der Präsentation von Philipp Bonorand als neuer Präsident des FC Aarau. Bild: Colin Frei / Aargauer Zeitung
Der abtretende Präsident Alfred Schmid (rechts) und sein Vize, Roger Geissberger, im März 2019 bei der Präsentation von Philipp Bonorand als neuer Präsident des FC Aarau. Bild: Colin Frei / Aargauer Zeitung

 

Trainer Stefan Keller wurde aber noch von Ihnen und Schmid installiert.

Er war ja zuvor schon drei Jahre Assistenztrainer, bevor er nach der Entlassung von Patrick Rahmen zum Chef befördert wurde. Nach Jurendic war er zudem schon einmal Interimstrainer, hatte aber die Uefa-Pro-Lizenz noch nicht.

Der FC Basel wollte Ihnen Rahmen einst abluchsen.

Marco Streller wollte ihn unbedingt. Wir haben eine Ablöse verlangt, weil wir ihm keine Steine in den Weg legen, aber zugleich auch eine Entschädigung wollten. Bernhard Burgener wollte aber nichts zahlen. Der Deal ist geplatzt.

Nach Ihrem Rücktritt im Sommer 2020 hat der FC Aarau Rahmen entlassen, worauf er wenige Woche später erst Assistenztrainer beim FCB wurde und im Frühling 2021 Ciriaco Sforza beerbte. Was trauen Sie ihm als FCB-Trainer zu?

Ich habe Patrick als Mensch und als Trainer sehr geschätzt und würde es ihm sehr gönnen, wenn er mit dem FCB an frühere Erfolge anknüpfen könnte. Aber primär schlägt mein Herz für den FC Aarau. Ich habe das Gefühl, dass das Klubziel Aufstieg diese Saison realisiert werden kann. Die Qualität dazu ist vorhanden.

Selbst wenn das gelingen sollte, müsste der FCA noch weiter auf ein neues Stadion warten. Ist man darauf nicht angewiesen, um langfristig in der Super League bestehen zu können?

Man darf nie das Gefühl haben, ein neues Stadion sei ein finanzieller Segen. Mehreinnahmen und Mehrkosten halten sich in etwa die Waage. Aber es braucht das neue Stadion dringend. Im Bereich Events und Marketing ist der FCA auf neue Infrastruktur angewiesen.

Von einem neuen Stadion sprach man in Aarau schon, als Sie 2007 übernommen haben.

Die Stadt hat uns damals versprochen, dass wir 2012 in einem neuen Stadion spielen werden. Die Geschichte ist bekannt. Das Stadion ist nicht mehr zu verhindern, aber es wird kaum vor 2025/26 eröffnet.

Etwas Erbauliches zum Schluss: Was werden im Herbst die Top-Reisedestinationen sein?

Spanien, Zypern, Griechenland und Türkei – in dieser Reihenfolge. Ähnlich wie schon im Sommer. Bei gewissen Destinationen kommt es schon wieder zu Engpässen. Mallorca zum Beispiel ist schon wieder auf 85 Prozent der Umsätze von 2019.

Zur Person

Roger Geissberger ist ein Hüne, fast zwei Meter gross. Und gross hat Roger Geissberger auch Knecht Reisen gemacht. Seit 1988 führte er das Unternehmen. Bei der Gründung der AG 1996 wurde er CEO und Verwaltungsratsdelegierter der frisch gegründeten Knecht-Reisegruppe. In den folgenden Jahren mauserte sich das Unternehmen zum viertgrössten Reiseveranstalter der Schweiz. Heute hat Knecht noch immer 22 Niederlassungen in der Schweiz. Unabhängig davon hat Geissberger privat 1993 in Australien die KN Travel gegründet. Heute ist sie – nach dem Zusammenschluss mit Pan Pacific – die zweitgrösste Destinationsmanagement-Firma des Landes. Zudem stieg er 2012 mit seiner Frau ins Hotel-Business ein, als sie in Bellwald VS das Hotel Zur Alten Gasse übernahmen und schon 2017 das neue The Onya Resort & Spa direkt nebenan bauten. Von 2007 bis 2020 war Geissberger zudem Vizepräsident des FC Aarau. Seine Frau und er haben einen Sohn und eine Tochter.

Ein älterer Mann sitzt alleine im Wartebereich des Terminals am Hauptsitz von Knecht Reisen in Windisch. Zwei Busse sind früh am Morgen abgefahren, unter anderem eine Wanderreisegruppe. Jetzt ist es hier ruhig. Oben im 2. Stock erwartet uns Roger Geissberger, langjähriger CEO von Knecht Reisen und seit diesem Jahr Chairman in verschiedenen Verwaltungsräten der Knecht-Reisen-Gruppe.

Fahren Sie in die Herbstferien?

Ja, meine Frau und ich gehen mit drei befreundeten Paaren nach Mallorca. Wir werden wandern und biken.

Hat dieser Paar-Urlaub traditionellen Charakter?

Ganz und gar nicht. Wir sind ein Fernreise-Spezialist. Üblicherweise bin ich im Herbst eher in eine unserer Destinationen gereist, nach Südafrika, Australien, Mexiko, Costa Rica oder in die Dominikanische Republik. Aber davon sind jetzt viele coronabedingt geschlossen.

Wird das Reisebusiness jemals wieder so werden, wie es war?

Das Bedürfnis nach Mobilität lässt sich nicht aufhalten. Die Menschheit wird lernen müssen, mit dieser Krankheit umzugehen. Aber das wird uns noch ein paar Jahre beschäftigen.

Wann rechnen Sie mit einer Normalisierung?

Bis wir wieder beim Umsatz von 2019 sind, dürften noch circa zwei Jahre vergehen. Gerade im Fernreisebereich rechnen wir damit, dass es bis 2023 dauert, ehe wir wieder bei ähnlich hoher Nachfrage sind wie vor Covid.

Wo steht Knecht Reisen denn jetzt, anderthalb Jahre nach Beginn des ersten Lockdowns?

Wir sind bei 25 Prozent des Umsatzes von 2019 und stehen damit ähnlich schlecht da wie 2020. Unsere Europa-Tochterfirmen wie zum Beispiel Glur, Baumeler oder Kira sind da besser unterwegs.

Warum ist dieses Jahr noch schlechter als 2020?

Weil wir damals bis Mitte März auf Rekordkurs waren. Und zwar jede unserer Fernreisedestinationen. Aber dieses Jahr waren die meisten dieser Destinationen von Beginn weg geschlossen und sind es immer noch. Eigentlich sind alle bis auf Mexiko, Costa Rica und die Dominikanische Republik zu.

Verlangen die Kunden unterdessen auch ihr Geld zurück?

Anfänglich haben viele Leute umgebucht. Eigentlich bis im Frühling 2021. Jetzt beginnt es zu kippen. Wer jetzt schon zweimal verschoben hat, erst in den Herbst 2020, dann in den Frühling 2021, der will jetzt meist sein Geld zurück.

Bringt Sie das nicht in Liquiditätsschwierigkeiten?

Nein, Knecht Reisen war über Jahrzehnte sehr erfolgreich und wir haben immer eine massvolle Dividendenpolitik verfolgt. Wir hatten viel Geld in der Firma und sind ohne Kredite durchgekommen. Das wird auch so bleiben.

Wie hat die Krise die Reisegruppe verändert?

Anderthalb Jahre mit so massiven Einschränkungen haben natürlich am Eigenkapital genagt. Und die Firma ist kleiner als früher.

Wie viel kleiner?

Wir nennen keine Zahlen. Aber wir konnten fast allen Mitarbeitenden einen anderen Job anbieten bei einer der Schwester-Firmen innerhalb der Knecht Holding (siehe Firmenporträt unten). Und wir sind jetzt wieder am Aufbauen.

Sie glauben an die Zukunft der Fernreisen.

Ja, wie gesagt, ich bin fest davon überzeugt, dass der Mensch mobil sein will. Reisen bildet. In Fernost kommen ganze Völker dank dem Tourismus auf ein neues Wohlstandsniveau. Es profitieren Gast und Gastgeber.

Und was ist mit dem Thema Nachhaltigkeit?

Es ist enorm wichtig. Ein Flug muss seinen Preis haben. Es ist unsinnig, wenn jemand für 80 Franken zwei, drei Tage nach Barcelona reist, um Party zu machen. Aber eine Bildungsreise in ein fernes Land ist etwas Anderes.

Der Klimawandel wird uns zwingen, die Preise zu erhöhen.

Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sich die Neugierde davon nicht bremsen lässt. Flugzeuge werden nachhaltiger, die Technik entwickelt sich.

Was ist mit Geschäftsreisen?

Das Firmengeschäft wird langfristig schrumpfen. Davon geht übrigens auch die Swiss aus, wo ich im touristischen Beirat sitze. Viele Firmen haben gemerkt, dass Zoomkonferenzen etwas taugen, dass man vieles virtuell erledigen kann.

Thomas Knecht (Mitte) flankiert von Roger Geissberger (rechts) und Andreas Meier, dem damaligen Eurobus-Chef, posieren bei der Eröffnung des neuen Knecht-Hauptsitzes im Busterminal. Bild: Alex Spichale / AGR
Thomas Knecht (Mitte) flankiert von Roger Geissberger (rechts) und Andreas Meier, dem damaligen Eurobus-Chef, posieren bei der Eröffnung des neuen Knecht-Hauptsitzes im Busterminal. Bild: Alex Spichale / AGR

 

Wie läuft das Geschäft von Eurobus?

Das gehört nicht zu Knecht Reisen, sondern zur Division Räder (Eurobus und ÖV). Aber es ist seit diesem Sommer wieder am Anziehen, ähnlich wie bei den Reisen innerhalb Europas.

Fürchten sich die Leute nicht im Bus zu reisen und sich anzustecken?

Es ist bei den Busreisen wie auf dem Schiff oder anderen Gruppenreisen: Man ist entweder geimpft, genesen oder getestet. Das gibt allen Sicherheit.

Wie stehen Sie als Arbeitgeber eigentlich zum Impfen?

Wir haben für unsere Mitarbeitenden eine Empfehlung rausgegeben. Persönlich habe ich wenig Verständnis dafür, dass sich jemand nicht impfen lässt. Sie bremsen damit all jene, die geimpft sind.

Sie selbst sind also geimpft?

Ja, sobald es möglich war, ich wurde im Mai zum zweiten Mal geimpft. Das habe ich vor allem gemacht, weil ich gehofft habe, dass ich einfacher reisen kann, was nur zum Teil eingetreten ist. In Australien, wo ich noch eine Firma habe, war ich seit anderthalb Jahren nicht mehr und werde dieses Jahr wohl auch nicht mehr dorthin reisen können.

Konnte man mit Impfung wirklich einfacher reisen?

Definitiv. Und es wird noch einfacher, wenn noch mehr Menschen geimpft sind. Deswegen befürworte ich, dass der Bundesrat mit der Ausweitung der Zertifikatspflicht den Druck erhöht.

Wer nach England will, muss einen Test machen, ob geimpft oder nicht.

Natürlich ist das Reisen immer noch eingeschränkt, aber wenigstens kann man nach England reisen. Auch Russland verlangt einen PCR-Test.

Das verteuert das Reisen extrem.

Für eine Familie können solche Tests vor und während dem Aufenthalt schnell mal 1000 Franken kosten. Ich bin deshalb dafür, dass man die Gangart sogar noch verschärft und auf 2G reduziert, geimpft und genesen. Dann werden wir uns wieder freier bewegen können.

Wie viele der Knecht-Mitarbeitenden sind eigentlich geimpft?

Es dürften um die 90 Prozent unserer Mitarbeitenden geimpft oder genesen sein. Wir sind in der Reisebranche tätig, für uns ist Bewegungsfreiheit essenziell wichtig.

Aber Sie wissen nicht, wie viele es sind.

Nein, aber wir machen seit Frühling bei den Spucktests des Kantons mit. Wir hatten nie auch nur einen positiven Fall seither. Im letzten Jahr hatten wir doch einige Fälle.

Seit 2014 der Hauptsitz von Knecht Reisen in Windisch. Bild: Zvg / Aargauer Zeitung
Seit 2014 der Hauptsitz von Knecht Reisen in Windisch. Bild: Zvg / Aargauer Zeitung