Abschied einer «Gault-Millau»-Legende – der höchstdekorierte Aargauer Koch setzt sich zur Ruhe

Sportsgeist trifft Esskultur, Ballgefühl auf Küchengott: Es war eine einzigartige Kombination, die Leuggern in den letzten vier Jahren zu bieten hatte. Im Sportcenter des Zurzibieter Dorfs kochte Siegfried Rossal – der höchstdekorierte Koch, den der Aargau je gesehen hat – das Mittagsbuffet. Als das Engagement 2015 bekannt wurde, schrieb die «Aargauer Zeitung»: «Das ist etwa so, wie wenn Roger Federer für den Tennisclub Leuggern Interclub spielen würde.»

Nun neigt sich Rossals Zeit neben den Tenniscourts und Fitnessgeräten dem Ende entgegen. Am 19. Dezember wird der gebürtige Düsseldorfer die Gäste im Sportcenter das letzte Mal verwöhnen. Dann hängt der 70-Jährige die weisse Kochschürze an den Nagel und tritt den verdienten Ruhestand an.

Michelin-Stern und 17 Punkte in der Bistro-Küche

Für die Gourmet-Bibel «Gault-Millau» ist Rossal «die Legende der Aargauer Gastronomie». In Zofingen (1982–89) und Magden (1989–2004) kreierte er über 20 Jahre am Stück Gerichte, die mit 17 Punkten belohnt wurden. Dazu kam einer der begehrten Michelin-Sterne. Zum Vergleich: Die derzeit besten Adressen im Aargau sind im aktuellen «Gault-Millau» mit 15 Punkten bewertet. Sterne: Fehlanzeige. Was Rossal in seiner Blüte auf die Teller zauberte, ist im Aargau unerreicht.

Ende 2014 wurde Rossal pensioniert, nachdem er zuvor noch das «Cocon» in Meisterschwanden aufgebaut und auch dort auf Anhieb 15 Punkte erreicht hatte. Aus Liebe zum Beruf kam sein Engagement in Leuggern zu Stande. Anfangs fünfmal, seit diesem Jahr noch viermal pro Woche bereitet Rossal in der kleinen Bistro-Küche das Mittagessen vor: ein Buffet mit Salaten und eines mit warmen Speisen. Alles à discrétion.

56 Jahre stand Rossal in den Küchen dieser Welt, seit 1977 ununterbrochen in der Schweiz. Sieben Kochbücher hat er geschrieben und für die Fluggesellschaft Swiss ein Menu für die Business-Class kreiert. In Leuggern war die Herausforderung eine andere. «Hier musste ich ein gesundes und anständiges Essen für 19 Franken auf den Tisch zaubern», sagt Rossal. In der Gourmet-Küche konnte er edle, teure Produkte einsetzen. «Hier musste ich schauen, dass das Fleisch nicht mehr als 20 Franken pro Kilo kostet.» Trotzdem habe er auf regionale und frische Produkte gesetzt. Spitzengastronomie verlangte im Sportcenter niemand von ihm. Dennoch: «Wenn man einen gewissen Ehrgeiz hat, setzt man sich immer unter Druck.»

Nach seinem letzten Arbeitstag in Leuggern zügelt der Veltheimer an den Bodensee. Der Schweiz bleibt er treu. Und auch ein stückweit seiner Leidenschaft. Für Privatanlässe kann man ihn noch immer als Koch buchen. Gedanken über seine Zeit nach Leuggern macht sich Rossal aber sehrwohl. «Wie sieht meine Zukunft aus, wie mein Tagesablauf, nutze ich meine Zeit sinnvoll? Früher habe ich vor dem Einschlafen immer überlegt, was ich morgen kochen soll.» Falls ihn die grosse Sehnsucht packe, komme er zurück nach Leuggern, sagt der 70-Jährige mit einem Lachen.

«Rossals Erbe anzutreten, wäre unrealistisch»

Sportcenter-Mitinhaber Nico Vogt würde wohl sofort zusagen. Denn mit Rossals Wegzug wird auch das Mittagsbuffet verschwinden. «Rossals Erbe anzutreten, wäre unrealistisch», sagt er. Zumal selbst mit dem Spitzenkoch das Restaurant defizitär war. «Einen Effekt hatte Rossals Verpflichtung sehr wohl, aber sie löste keinen Hype aus. Es ist nicht so, dass wir ständig ausgebucht gewesen wären», sagt Vogt. Es gab viele Stammkunden und gute Feedbacks, dennoch seien die Besucherzahlen inkonstant bis unberechenbar gewesen. Woran das liege, kann Vogt nicht beurteilen.

Kaffee, Gipfeli und Sandwiches wird es weiterhin geben, auch Kuchen, Torten und Coupes sowie Pommes und Chicken am Abend. «Wir schauen, wie sich der Wegfall des Mittagsbuffets auswirkt», sagt Vogt. Im Dorf jedenfalls hat es sich bereits herumgesprochen. «Viele sagen, ‹das könnt ihr nicht machen›, aber sie waren noch nie bei uns essen», sagt Vogt etwas ungläubig. Und die Stammkunden seien natürlich enttäuscht. Sie werden sich genau wie Rossal umorientieren müssen.