
Abstimmungskampf im Aargau lanciert: Biobauern und Freisinnige im Dilemma
Es dauert noch elf Wochen, bis die Agrarinitiativen an die Urne kommen. Dann wird über «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz» abgestimmt. Auch wenn es erst am 13. Juni so weit ist: Der Kampf um die Stimmen hat auf beiden Seiten längst begonnen – auch im Agrarkanton Aargau.
«An dieser Abstimmung hängen sehr viele Emotionen», sagt Ralf Bucher, Geschäftsführer des Aargauer Bauernverbands (BVA). Dieser lehnt die beiden Initiativen klar ab, sie würden laut dem Verband eine komplette Umkrempelung der Landwirtschaft bedeuten, die Auflagen würden der Ernährungssicherheit massiv schaden, und die Preise würden steigen. Gleichzeitig müssten es sich die Landwirte aktuell gefallen lassen, trotz bereits hoher Auflagen, als Umweltverschmutzer an den Pranger gestellt zu werden. Ralf Bucher sagt:
«Dabei bemühen sich die Bauernfamilien 365 Tage im Jahr der Umwelt Sorge zu tragen und die Bevölkerung bestmöglich zu ernähren.»
Wie ernst es dem Bauernverband mit der Abstimmungsempfehlung ist, spürte eine schon sehr früh: Gertrud Häseli, Grünen-Grossrätin, Biobäuerin aus Wittnau und selber Mitglied des BVA. Der Verband hatte Häselis Nationalratskandidatur 2019 explizit nicht unterstützt, weil sie sich weigerte, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie sich gegen die Vorlagen stellt.
Bauernverband mobilisiert Mitglieder
Seit Anfang März ruft der Bauernverband Aargau seine Mitglieder auf, einem der nationalen Gegenkomitees beizutreten. Zudem ist er dabei, ein kantonales Komitee zu gründen. Wie der nationale Verband, versucht auch der BVA, speziell die Biobauern ins Boot zu holen. Die Auflagen würden alle Bauern betreffen, sagt Bucher, egal ob sie konventionell oder biologisch produzierten. Der Aufruf scheint zu wirken, bis gestern Sonntag haben sich neun Aargauer Biobäuerinnen und -bauern im nationalen Gegenkomitee der Biobauern eingetragen.
Gertrud Häseli ist nicht dabei. War sie zu Beginn skeptisch und hat auf einen weniger radikalen Gegenvorschlag gehofft, so sagt sie nun Ja zu beiden Initiativen. Gertrud Häseli sagt, ganz bestimmt:
«Es muss einfach etwas gehen.»
Die auf Hochleistung getrimmte Produktion bei gleichzeitig tiefen Preisen steht aus ihrer Sicht quer zu den ökologischen Zielen, die im Kampf gegen den Klimawandel erreicht werden müssten. «Die Veränderungen werden kommen und wir können nicht damit warten, uns anzupassen.» Zumal bei Annahme noch eine achtjährige Umsetzungsphase beginnen würde, sagt Häseli.
Makel hat die Trinkwasserinitiative aus ihrer Sicht aber durchaus. «Wer beispielsweise Hühner oder Schweine hält, wird mit der Auflage für ausschliesslich hofeigenes Futter Probleme bekommen.» Hier müsste man die Formulierung anpassen. Das war denn auch der Grund, warum Häseli gezögert hat und warum aus ihrer Sicht auch manche Biobauern die Initiative ablehnen.
Konsumenten und Detailhandel in der Pflicht
Es liege weiter nicht nur an den Bäuerinnen und Bauern, die ökologische Landwirtschaft zu fördern. «Die Konsumentinnen und Konsumenten profitieren stark vom Preisdruck und den Subventionen. Ein Ei würde unreguliert fünf Franken kosten.» Auch der Detailhandel, der auf Bioprodukte eine höhere Marge setze, sei in der Pflicht. Es sei deshalb falsch, auf den Bauern herumzuhacken. Gertrud Häseli sagt:
«Schade ist, dass wir keine Zwischenlösung gefunden haben. Leider ist die Bauernlobby nicht von ihrem Standpunkt abgerückt.»
FDP-Nationalrat Jauslin für Trinkwasserinitiative
Dass dies kein reines Grünen-Anliegen war, zeigt sich bei der FDP. Sie sagt, wie die SVP, zwar Nein zu den Vorlagen, die Trinkwasserinitiative war aber umstritten. FDP-Nationalrat Matthias Jauslin hatte in der Beratung zur parlamentarischen Initiative «Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren», zwei Einzelanträge eingereicht, beide wurden gekippt. Die parlamentarische Initiative gilt als inoffizieller Gegenvorschlag zur Trinkwasserinitiative. Jauslin hoffte auf diesen, noch im Februar wollte er zur Initiative Nein sagen. Heute sieht er es anders. Jauslin sagt:
«Nachdem das Bundesparlament meine Einzelanträge verwässert und die Bestimmungen für Zuströmbereiche zum Grundwasser ganz gekippt hat, werde ich Ja stimmen»,
Das Parlament habe es verpasst, die Agrarpolitik stärker auf den Markt und die Umwelt auszurichten, also sei ein Ja zur Trinkwasserinitiative der richtige Wegweiser.
Jauslin ist im Aargau nicht die einzige liberale Stimme bei den Befürwortern. In den nächsten Tagen werde sich ein bürgerlich-liberales Ja-Komitee für die Trinkwasserinitiative vorstellen, sagt GLP-Grossrat Gian von Planta. Mit dabei sind die Jungfreisinnigen Aargau, anschliessen werden sich GLP und EVP und deren Jungparteien, sowie einzelne Politikerinnen und Politiker von Mitte und FDP. Mit weiteren sei man im Gespräch, sagt Gian von Planta, Namen nennt er noch keine.
Das kantonale Nein-Komitee wird laut Ralf Bucher von den Wirtschaftsverbänden, den beiden Ständeräten Hansjörg Knecht (SVP) und Thierry Burkart (FDP) sowie SP-Grossrätin Colette Basler und Mitte-Nationalrätin Marianne Binder im Co-Präsidium geleitet werden. Bucher hat das Thema auch in den Grossen Rat getragen. Zusammen mit Colette Basler, Christoph Hagenbuch (SVP) und Beat Käser (FDP) reichte er dort zwei Interpellationen ein. Darin zeigt er die Folgen einer Annahme der Initiativen auf und bitten den Regierungsrat um eine Beurteilung. Die GLP hat das zu einer «Gegen-Interpellation» bewogen. «Der Vorstoss von Ralf Bucher ist tendenziös, das wollten wir nicht unwidersprochen lassen», erklärt von Planta. Bucher bestreitet das nicht, sagt aber, er gehe davon aus, dass die Regierung die Fragen objektiv beantworten werde. Der Regierungsrat, der die beiden Initiativen ablehnt, hat drei Monate Zeit für die Antwort. Bis dann wäre aber auch die Abstimmung vorbei.