
Achtbeinige Mitbewohnerin
Ich putzte mir gerade die Zähne, als sie über den Badezimmerboden huschte: Eine rundliche, braune Spinne mit langen Beinen. Ihr Körper war kaum grösser als ein Stecknadelkopf – trotzdem liess ich vor Schreck fast die Zahnbürste fallen. Beim Anblick dieser merkwürdigen Wesen, die fast nur aus Beinen bestehen und sich rasend schnell bewegen, brach mir schon als Kind der kalte Schweiss aus. Ich sah zu, wie sich die Spinne in die Badezimmerecke verkroch, dann griff ich zum «Spider Catcher». Das ist ein Greifarm, mit dem man Insekten einfangen und draussen wieder freilassen kann, ohne sie zu verletzen. Denn obwohl sie mir Angst einjagen: Spinnen erfüllen doch eine wichtige Funktion in der Natur. Den «Spider Catcher», der in der Werbung als «Rettung für den pazifistischen Arachnophobiker» angepriesen wurde, hatte ich letzten Sommer gekauft. Nachdem ich zwei Stunden lang erfolglos versucht hatte, eine Spinne von der Küche auf die Terrasse zu lotsen – zuerst mit gutem Zureden, dann mit verbalen Drohungen und schliesslich mit Wasser aus einer Sprühflasche, das dem Tier einen Regenschauer simulieren sollte. Die Aktion hatte damit geendet, dass die Spinne unerreichbar hoch an die Decke geflüchtet war und ich die ganze folgende Nacht kein Auge zubekam, weil ich fürchtete, sie könnte zurückkehren und mir im Schlaf über das Gesicht laufen. So was sollte mir nicht noch mal passieren. Also versuchte ich die Spinne im Bad nun mit dem «Spider Catcher» einzufangen. Leider eignet sich das Gerät aber nur für dicke Exemplare. Die dünne Bad-Spinne rutschte zwischen den Borsten hindurch und konnte sich in einem millimeterbreiten Spalt zwischen Wand und Türrahmen verstecken. Seit bald zwei Wochen hockt sie jetzt schon dort. Das gefiel mir zuerst gar nicht. Jetzt freunden wir uns aber langsam an. Jeden Abend, wenn ich mir die Zähne putze, wagt sie sich hervor und webt an ihrem Netz. Wenn ich morgens im Bad das Licht anmache, krabbelt sie wieder hinter den Türrahmen zurück. Wir kommen gut aneinander vorbei, meine achtbeinige Mitbewohnerin und ich.