Alle sind gleich, aber einige gleicher

Mein Name ist Michael – und ich bin Vegetarier. Ich will mich dafür nicht entschuldigen, finde aber auch, dass das keine besondere Leistung ist. Als Enkel eines Metzgers und Sohn einer fantastisch kochenden Hauswirtschaftslehrerin war es als Kind nicht immer einfach, am Esstisch meinen Willen durchzusetzen. Wie in den meisten Familien wurde auch ich dazu «genötigt», hin und wieder Fleisch zu probieren. Spätestens mit der Fähigkeit – schauspielerisch unbegabt – zu würgen, haben sich auch meine Eltern damit abgefunden. Mein Grossvater hat mich nie unter Druck gesetzt – und mir paradoxerweise sogar die Achtung vor dem Tier vermittelt. Er hat die Tiere stets den Umständen entsprechend gut behandelt und war kein «Filetmetzger».

Während ich als Kind auf Fleisch verzichtet habe, weil ich es nicht gern hatte, könnte ich ein Steak heute mit dem Gewissen nicht mehr vereinbaren. Ich bringe die Bilder nicht aus dem Kopf, die zeigen, zu was der Mensch fähig ist. Zusammengepferchte Schweine, die sich gegenseitig tottrampeln, männliche Küken, die wie Müll entsorgt werden und Pferde, die sich so schwer verletzen, dass sie sich nicht mehr bewegen können und schliesslich qualvoll verenden. Von Pelztierfarmen oder «Lustquälern» will ich gar nicht erst schreiben.

Ich möchte niemandem ein schönes Stück Fleisch madig machen oder andere gar bevormunden, denn auch ich habe keinen Heiligenschein verdient. Schliesslich trage auch ich einen Ledergürtel und profitiere von medizischen Tierversuchen. Ich versuche aber, im tagtäglichen Zusammenleben ein Vorbild zu sein. Ich töte keine Tiere – solange sie mich nicht angreifen. Denn mir ist bewusst, was die «intellektuelle Elite» der Erde zuweilen vergisst: Die Tierwelt ist nicht auf den Menschen angewiesen, umgekehrt besteht aber sehr wohl ein Abhängigkeitsverhältnis.

Meine Tierliebe geht soweit, dass ich gerne eine Arche Noah zuhause hätte. Doch ich verzichte darauf, weil mir die Zeit fehlt. So wohnt neben einer Kolonie Fledermäusen, die es sich im Dachstuhl bequem gemacht hat, nur Mischlingshund Pongo bei uns. Er hat das erste Jahr seines Lebens auf der Strasse verbracht, nachdem seine Mutter kurz nach seiner Geburt verstorben ist. Liebe Menschen haben ihn vor sechs Jahren aufgenommen und ihm ein neues Zuhause gesucht. Es ist nicht so, dass ich bei Wind und Wetter nicht auf den obligaten Spaziergang verzichten würde, aber ich mag ihn viel zu sehr, um ihm den Höhepunkt seines Tages zu verwehren. Pongo kommt jeden Tag mindestens eineinhalb Stunden raus, muss nie um sein Futter kämpfen und erfährt viel Zuneigung. Im Gegenzug dazu ist er einer der besten Tröster und wedelt jedes Mal, wenn ich durch die Tür komme – selbst, wenn ich nur zwei Minuten am Briefkasten war. Er ist einer meiner allerbesten Freunde.

Tiere bereichern unser Leben ungemein. Sie sind nicht weniger und nicht mehr wert als wir. Ich hoffe deshalb, dass es dereinst so kommt, wie ich es unlängst geträumt habe: Die letzte Station vor dem Jenseits ist das jüngste Gericht, vor dem wir unser Handeln verantworten müssen. Der Staatsanwalt ist ein Schaf, der Richter eine Kuh.

 Bsetzistei ist die wöchentlich erscheinende Kolumne aus der Feder der Redaktorinnen und Redaktoren des Zofinger Tagblatts und der Luzerner Nachrichten.