Angela Merkel gerät in die Kritik – auch aus den eigenen Reihen: «Das Grundverständnis der Kanzlerin ist falsch»

Am späten Montagabend, nach einem fast sechsstündigen «Impfgipfel», sagte Kanzlerin Angela Merkel an der Pressekonferenz in Berlin einen Satz, der fast unterzugehen schien – den ihre Gegner allerdings vor Wut schäumen lässt. Angesprochen auf mögliche Lockerungen für Menschen, die bereits geimpft sind, meinte die Regierungschefin: «Solange wir so eine Situation haben wie jetzt, dass eine ganz kleine Minderheit geimpft ist und eine grosse Mehrheit nicht, wird es keine neuen Freiheiten geben.»

Merkels erbittertste Gegner finden sich in der AfD. «Die Regierung will in absolutistischer Manier den Bürgern ihre Grundrechte weiterhin vorenthalten», schreibt Fraktionschefin Alice Weidel empört. Doch Kritik erfährt die Kanzlerin, die sich auf den letzten Metern ihrer 16-jährigen Amtszeit befindet, auch aus den eigenen Reihen.

Alexander Mitsch, Vorsitzender der konservativen Basisbewegung Werteunion in der CDU und CSU, liess auf Twitter Dampf ab: «Wie bitte? Es geht nicht darum gnädig irgendwelche neuen Freiheiten zu gewähren, es geht um die Herstellung der im Grundgesetz garantierten, aber aktuell eingeschränkten Grundrechte!». Der Tweet des 54-Jährigen wurde mehrfach geteilt und zumeist positiv mit «Likes» bewertet.

Merkel: «Im Grossen und Ganzen nichts schief gelaufen»

Die Werteunion rund um Alexander Mitsch, dessen prominentestes Aushängeschild der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maassen ist, kritisiert die Kanzlerin für ihren Politstil seit Jahren. Anstoss nehmen die Konservativen daran, dass Merkel die CDU während ihrer Zeit als Vorsitzende von 2000 bis 2018 weit in die politische Mitte gerückt hat. Doch insgesamt ist es die Art des Agierens, die bei der Werteunion schlecht ankommt.

Kritiker Merkels monieren, diese würde demokratische Prozesse abkürzen. Vor allem während der Flüchtlingskrise 2015 und 2016, als Merkel – ohne Konsultation des Parlaments – entschieden hatte, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge im Land aufzunehmen. Auch in der gegenwärtigen Coronakrise wird das Parlament nach Ansicht der Werteunion, aber auch der FDP, zu wenig in den politischen Prozess mit einbezogen.

«Grundrechte können nicht nach Gutdünken erteilt werden.»

«Freiheitsrechte dürfen nur im absoluten Notfall und temporär eingeschränkt werden. Sobald dieser Notfall vorbei ist, muss es selbstverständlich sein, dass die Grundrechte wieder hergestellt werden», sagt Mitsch gegenüber unserer Zeitung. «Das Grundverständnis der Kanzlerin ist falsch: Grundrechte können nicht nach Gutdünken erteilt werden. Die Grundrechte stehen – derjenige, der sie einschränkt, muss das begründen».

Sauer stösst Mitsch darüber hinaus auf, dass Merkel die Coronapolitik als ingesamt gelungen betrachtet, obwohl es in der EU an Impfstoff mangelt. «Ich glaube, dass im Grossen und Ganzen nichts schief gelaufen ist», sagte Merkel in einem ARD-Interview am Dienstagabend. Mitsch entgegnet: «Das Impfmanagement ist offenkundig nicht optimal gelaufen».

Nächsten Mittwoch will die Kanzlerin zusammen mit den Regierungschefs der 16 Bundesländer darüber beraten, ob es nach dem 14. Februar zu Lockerungen der Coronamassnahmen kommen wird. Die Angst vor Coronamutationen dürfte dazu führen, dass es höchstens zu einer stufenweisen und langsamen Öffnung vorerst von Schulen und Kitas kommen wird.

Trotz wochenlang harter Einschnitte: Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung steht noch immer hinter dem Kurs der Regierung in der Coronapandemie. Und die Politikerin mit den höchsten Zustimmungswerten bleibt unangefochten Angela Merkel.