
Anna Speich: «Ich werde die Schüler vermissen»
Das Schulhaus Riken ist wie ausgestorben. Normal für einen Mittwochnachmittag. Im Schulzimmer von Anna Speich ist es 29 Grad warm. Immerhin ein Grad kühler als draussen. Die Stühle der Kinder sind ordnungsgemäss auf den Tisch gestellt und Anna Speich sitzt an ihrem Lehrerpult und korrigiert den letzten Test. An der Wandtafel sind die Spuren der letzten Unterrichtsstunde zu sehen. Seit 38 Jahren unterrichtet Anna Speich in Murgen-thal. An ihre erste Unterrichtsstunde vor 43 Jahren kann sie sich nicht mehr erinnern. «Aber an meine Schüler von damals», so die in Strengelbach Geborene.
Grössere Klassen vor 40 Jahren
Ihre Lehrer-Karriere hat Speich in Strengelbach begonnen. Ihre Ausbildung machte sie für die Oberstufe-Sekundarschule. «Vor 40 Jahren waren die Klassen viel grösser. Ich unterrichtete damals in Strengelbach die 1. und 2. Sekundarschule und hatte 32 Schüler.» Somit war fast nur Frontalunterricht möglich. «Ich versuchte, zwischendurch Gruppenarbeiten einzubauen, aber es wurde sehr eng im Schulzimmer.» Die Fächer waren damals schon etwa die gleichen wie heute. «Was sich aber extrem geändert hat, sind die Ansprüche der Gesellschaft und der Eltern an die Lehrer», so die 64-Jährige. «Viele Eltern haben das Gefühl, die Schule muss den Kindern alles beibringen. Das beste Beispiel ist Zähneputzen.» Dieses war früher die Aufgabe der Eltern. Heute wird es in der Schule gelernt. «Aber auch die Anforderungen an die Schüler sind gewachsen. Die Eltern wollen, dass die Kinder einen guten Abschluss bekommen, und überfordern sie häufig. Dabei ist es besonders wichtig, dass jedes Kind auf seine Weise unterrichtet wird. Wir müssen unsere Kinder so akzeptieren, wie sie sind. Auch mit ihren Schwächen.»
Momentan unterrichtet Anna Speich die 2. Klasse Primarschule in Riken. «Ich hatte bisher noch nie Pech mit meinen Schülern oder Eltern», sagt sie. «Ich bin sehr froh darüber. Aber in meinen vielen Jahren als Lehrerin habe ich gelernt, bei Elterngesprächen sehr direkt zu sein.» So ecke sie zwar manchmal an, aber die meisten Eltern schätzten dies.
Selbstständiges Arbeiten wichtig
Am meisten verändert seit Anna Speichs erster Unterrichtsstunde habe sich der Verwaltungsaufwand. «Wir müssen alles aufschreiben und ablegen. Jeden Fortschritt, den ein Kind macht und jeden Fehler.» Aber auch die Lehrformen haben sich verändert. «Vor 40 Jahren benutzten wir hauptsächlich Frontalunterricht. Das heisst, dass der Lehrer vorne steht und eigentlich die meiste Zeit redet.» Heutzutage sind Gruppenarbeiten und schülerzentriertes Arbeiten beliebter. «Die Schüler lernen selbstständig oder zusammen mit einem Partner, eine Lösung zu finden.» Das fordert die Schüler sehr. «Gewisse Schüler brauchen aber trotzdem noch Frontalunterricht.»
«Viele Kinder wissen gar nicht mehr, was es heisst, die Welt selbst zu entdecken.» Die Schüler hätten sich nicht gross verändert, aber die Welt um sie herum. «Wir waren als Kinder regelmässig draussen im Wald. Haben uns den Baum gesucht, auf den man am besten klettern kann. Dabei sind wir zwar oft gestürzt, aber wir haben unsere eigenen Erfahrungen gemacht.» Viele Kinder haben diese Möglichkeit heute nicht mehr. «Das bedeutet leider, dass die Kinder die Welt einfach so hinnehmen, ohne etwas zu hinterfragen.»
Am 1. August wird Anna Speich pensioniert. «Ich kriege momentan viele Zettelchen von meinen Schülern, die traurig sind und mir schreiben, ich soll sie besuchen.»
Trotzdem freut sich Anna Speich auf ihre Pension. «Erst mal muss ich aufräumen», sagt sie und lacht. «Aber dann geniesse ich die Zeit für Reisen, Musik und Malen.»
«Ich werde alles tun, für das die Zeit bisher gefehlt hat. Auch mehr Zeit mit meinem Sohn verbringen.» Trotzdem möchte sie zwischendurch noch Lehrervertretungen übernehmen. «Ich glaube, ich würde sonst die Schüler und die Lehrer viel zu sehr vermissen.»