Ansturm auf Arztpraxen: «Die Leute haben das Gefühl, dass ein negativer Test sie von der Quarantäne-Pflicht befreit»

Gesundheitseinrichtungen verzeichnen einen Ansturm von Menschen, die sich auf das Coronavirus testen lassen wollen. Vor dem Kantonsspital Olten bildeten sich am Mittwoch eine lange Schlange von Menschen, die zusammen mit einem Infizierten den Club Terminus besucht hatten. Die Hotline zur Testanmeldung des Kantonsspital Aarau war «trotz Verstärkung zeitweise massiv überlastet», wie eine Sprecherin auf Anfrage sagt.

Und in der Permanence am Zürcher Hauptbahnhof wollten viele Personen einen Test, die im Club Flamingo waren, wo ebenfalls eine Infizierter unterwegs war. Weitere angefragte Spitäler registrierten einen deutlich gesteigerte Nachfrage nach Tests. In der letzten Woche wurden gemäss Bund über 65’000 Corona-Tests durchgeführt.

«Gratistest gut gemeint, aber…»

Grund für den Ansturm sind neben den Ansteckungen im Nachtleben zwei weitere Faktoren.

Die Corona-App, die seit letzter Woche offiziell im Einsatz ist, informiert nun erste Personen über Kontakte mit Infizierten. Statt sich wie vorgesehen zuerst an die Hotline des Bundes zu wenden, wollen manche sofort einen Test machen.

Barbara Oberholzer ist Ärztin in der Permanence am Hauptbahnhof Zürich und hat täglich mit Testwilligen zu tun. Sie sagt: «Wer von der App gewarnt wird, sollte zu Hause in Selbstisolierung bleiben und nicht in eine Arztpraxis rennen.»

Denn eine Ansteckung sei erst rund fünf Tage nach einem Kontakt nachweisbar. Zudem bedeute ein negativer Test nicht, dass man sich nicht infiziert habe. «Die Leute haben das Gefühl, dass sie durch einen negativen Test von einer Quarantäne befreit werden. Aber das stimmt nicht», sagt Oberholzer.

Das Kleingedruckte wird nicht gelesen

Ein weiterer Auslöser für den Ansturm auf die Gesundheitseinrichtungen ist Alain Berset. Der Gesundheitsminister sagt bei jeder Gelegenheit, dass die Coronatests nun gratis seien.

Bundesrat Alain Berset: «Lassen Sie sich testen!». (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Bundesrat Alain Berset: «Lassen Sie sich testen!». (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

© Peter Klaunzer / KEYSTONE

Tatsächlich übernimmt der Bund seit dem 25. Juni die Kosten für den Test. Allerdings nur, wenn gewisse Kriterien erfüllt sind. Dazu gehören zumindest leichte Symptome (u.a. Husten, Halsweh, Fieber, Verlust von Geruchs- und Geschmacksinn) oder ein Alarmierung durch die Corona-App. Allerdings wird in einem solchen Fall nur ein einziger Test bezahlt, der erst ab dem fünften Tag nach dem Kontakt durchgeführt werden sollte.

Dieses Kleingedruckte kam bei vielen Menschen nicht an. Sie gingen irrtümlicherweise direkt zum Arzt oder auf Notfallstationen. Aristomenis Exadaktylos sagt: «Die Gratis-Tests sind gut gemeint und haben ihren Sinn.»

Exadaktylos ist Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin und Direktor und Chefarzt des Notfallzentrums am Inselspital Bern. «Der Bundesrat hat damit aber die Notfallstationen der Schweiz überrumpelt», sagt er. Fast alle hätten wegen des Aufrufs zum Gratistest «Feuerwehrübungen» durchführen müssen. Am Notfallzentrum des Inselspitals werden täglich rund 100 Coronatest durchgeführt — neben den 120 bis 150 Notfällen.

Das Dilemma der Ärztin

Permanence-Ärztin Barbara Oberholzer sieht noch ein weiteres Problem. Wenn Patienten ausschliesslich einen Gratis-Test wollten, stehe sie als Ärztin vor einem Dilemma: Einerseits möchte sie im Gespräch herausfinden, wo das Problem liegt. Dies sei aber nicht möglich, wenn die Patienten darauf beharrten, nur den Test zu machen. Oberholzer sagt: «Sobald ich mit einem Patienten über mögliche andere Ursachen für sein Unwohlsein spreche, ist dies von der Pauschale nicht mehr gedeckt.»

Eine Umfrage bei einer Reihe von Spitälern bringt zudem Unterschiede beim Testen zum Vorschein. So wird in den Spitälern in Aarau, Baden, St. Gallen, und Luzern generell nur getestet, wer Symptome hat oder alarmiert wurde. Aristomenis Exadaktylos vom Berner Inselspital sagt hingegen: «Wir sind nicht die Symptom-Polizei und testen deshalb alle Personen.»

Für Massentests ideal wären Drive-in-Zentren, die während dem Höhepunkt der Krise in Luzern und Bern eingerichtet worden waren. Allerdings wurden diese wegen fehlender Nachfrage wieder geschlossen. Dank mittlerweile grösserer Kapazitäten hielten Praxen und Spitälern dem Ansturm stand, heisst es.