
Arbeitslosenkasse kürzte zu Unrecht Beiträge eines Aargauers – das kostet was
Auf den Schlaganfall folgte der Jobverlust. Wegen der gesundheitlichen Beschwerden konnte ein Aargauer um die 50 nicht mehr als Werkstattleiter arbeiten. Im Januar 2016 meldete er sich bei der IV-Stelle an. Bis geklärt ist, ob ein Anspruch auf Gelder der Invalidenversicherung besteht, vergehen oftmals Jahre.
Wer in der Zwischenzeit die Arbeitsstelle verliert, hat zur Überbrückung unter Umständen Anrecht auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Lücken im Erwerbsersatz sollen dadurch vermieden werden. Vorleistungspflicht, nennt sich das im Verwaltungsjargon. Die öffentliche Arbeitslosenkasse des Kantons Aargau kam im Fall des Werkstattleiters ihren Verpflichtungen nach, vorerst zumindest.
Kaum hatte die IV-Stelle gegenüber der Ausgleichskasse der kantonalen Sozialversicherungsanstalt ihre Absicht mitgeteilt, dem Mann ab Januar 2017 eine Viertelsrente, ab April 2017 eine halbe Rente zuzusprechen, reagierte die Arbeitslosenkasse und kürzte im Juni 2018 die bis dahin ausgezahlten Taggeldleistungen auf 50 Prozent des versicherten Verdienstes.
Mit Erfolg setzte sich der Betroffene dagegen zur Wehr: Das Aargauer Versicherungsgericht hiess seine Beschwerde im April 2019 gut und hob den Entscheid der Arbeitslosenkasse auf. Weil Letztere dies nicht auf sich sitzen lassen wollte, beschäftigte der Fall auch noch das Bundesgericht.
Urteil klärt grundlegende Fragen
Bei dem am Dienstag veröffentlichten Urteil handelt es sich um einen Leitentscheid, der in die amtliche Sammlung aufgenommen wird; das oberste Gericht klärt darin Grundlegendes. Im Zentrum steht die Frage, wie lange die Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung dauert, also ab welchem Zeitpunkt sie die Gelder kürzen kann, wenn parallel dazu der Anspruch auf eine IV-Rente geprüft wird.
Oder anders formuliert: Wann endet der Schwebezustand, in dem offen ist, ob und in welchem Umfang eine Person Leistungen der Invalidenversicherung erhalten wird? Das kantonale Versicherungsgericht war zum Schluss gekommen, der Schwebezustand sei durch die verwaltungsinterne Mitteilung noch nicht beendet gewesen. Auch danach hätte sich am Rentenentscheid noch etwas ändern können. Deshalb habe die Aargauer Arbeitslosenkasse rund vier Monate zu früh entschieden, die Taggelder zu kürzen.
Eine Einschätzung, die von den fünf Bundesrichterinnen und Bundesrichtern geteilt wird. Nach ihrer Ansicht muss in der Regel die Verfügung der IV-Stelle abgewartet werden, mit welcher der Direktbetroffene erfährt, ob er eine Rente erhält und wenn ja, wie hoch sie ausfallen wird. Erst dann darf die Arbeitslosenkasse den versicherten Verdienst an den Grad der Erwerbsunfähigkeit anpassen und somit ihre Leistungen kürzen.
Die Aargauer Arbeitslosenkasse blitzt mit ihrer Beschwerde ab, weshalb sie die Gerichtskosten von 500 Franken zahlen und den IV-Bezüger für das bundesgerichtliche Verfahren mit 2800 Franken entschädigen muss.
Bundesgerichtsurteil 8C_357/2019 vom 24. Oktober 2019