Assistenzarzt positiv auf Corona getestet: «Wenn es einen betrifft, ändert sich alles»

«Ich konnte nicht richtig atmen, selbst im Ruhezustand.» So erinnert sich Kevin Vallotton, 28 Jahre alt und Assistenzarzt am Kantonsspital Aarau KSA, an den Höhepunkt seiner Corona­virus-Erkrankung. Es war Anfang März, als er als erster KSA-Mitarbeiter überhaupt positiv getestet wurde.

Nur eine Woche vorher hatte der aus Lausanne stammende Vallotton hier seine Stelle als Assistenzarzt angetreten. Die letzten drei Jahre verbrachte er als Assistenzarzt in Zürich. «Am Anfang verspürte ich einfach eine sehr starke Müdigkeit. Ich hatte eine laufende Nase und ein wenig trockenen Husten. Aber nichts mehr als das.»

Damals glaubte er allerdings noch nicht, dass er sich mit dem Coronavirus angesteckt haben könnte. «Es war der Anfang der Pandemie und in meinem Umfeld hatte sich noch niemand infiziert. Weil ich Patienten hätte gefährden können, beschlossen wir, einen Abstrich zu machen.» Dieser brachte dann die Gewissheit.
 
Vallotton gehört nicht zu den Risikogruppen

Kevin Vallotton sitzt an einem Tisch in der Cafeteria des KSA. Er ist gross und schlank. Jung und gesund. Keineswegs gehört er in die in den letzten Monaten immer und immer wieder genannten Risikogruppen. Nichtsdestotrotz war sein Krankheitsverlauf alles andere als eine Bagatelle.

Die Symptome wurden nach vier Tagen so stark, dass selbst die einfachsten Dinge des Alltags – etwa das Kochen oder Duschen – zur totalen Erschöpfung führten. Als er dann zusätzlich den Geschmackssinn verlor, wurde ihm der Ernst der Lage noch bewusster: «Für uns Mediziner ist klar, wenn der Geschmackssinn ganz weg ist, gehört das nicht zu einer normalen Entzündung der Nasenschleimhaut. Sondern zu einem Problem des Nervensystems.» Dies, und die Tatsache, dass er als junger Patient sich so schlecht fühlte, gab ihm zu denken.

Infiziert habe er sich vermutlich im Ausgang in Zürich. «Ich hatte dort wenige Tage vorher meinen Geburtstag gefeiert. Es hatte viele Menschen, auch solche, die gehustet haben.» Die ersten Tage nach dem positiven Test plagten den jungen Mediziner auch Gewissensbisse, ob er Patienten, Kollegen, aber auch seine Familie angesteckt haben könnte: «Ich habe sie noch besucht, kurz bevor ich krank wurde.»

Gemeinsam mit Christoph Fux, Chefarzt Infektiologie und Spitalhygiene am KSA, versuchte Vallotton nachzuvollziehen, mit welchen Patientinnen und Patienten er Kontakt gehabt hatte und mit welchen Kolleginnen und Kollegen er etwa zu Mittag gegessen hatte. Eine Übertragung ist nämlich schon zwei Tage vor Symptombeginn möglich. «Gut, dass ich keine Patienten angesteckt habe.»

In der fast zweiwöchigen Isolation zu Hause hatte Kevin Vallotton viel Zeit, um nachzudenken. Unter anderem darüber, dass er sich trotz allem sehr glücklich schätzen kann, dass es sich bei der ansteckenden Krankheit nur um eine vorübergehende handelte. Es habe sich komisch angefühlt, für die anderen Leute eine Gefahr zu sein: «Mir wurde das Essen vor die Türe gelegt und man rief mich danach an.» Dies, um jeglichen Kontakt zu vermeiden. Da musste der junge Arzt an diejenigen Menschen denken, die eine ansteckende Krankheit haben, die nicht geheilt werden kann: «Ich dachte darüber nach, wie schwer es für diese Menschen sein muss.»

Nach zwei Wochen durfte Vallotton zurück an seinen Arbeitsplatz. «Die Leute wussten natürlich, dass ich der erste Fall war. Ganz normal war meine Rückkehr also nicht», sagt er. Vallotton wurde danach auf der Abklärungsstation eingesetzt: «Man versuchte möglichst diejenigen Mitarbeiter, welche die Krankheit bereits hinter sich hatten, auf dieser Station einzuteilen.»

Heute, fast vier Monate später, erzählt Vallotton mit einer gewissen Leichtigkeit von dieser Zeit. Er ist freundlich und aufgestellt. Trotzdem zeichnete ihn die Pandemie. Auch als Arzt: «Jetzt, wo sich die Lage wieder beruhigt hat, ist es rückblickend beachtlich, wie aufwendig die ganze Organisation hier im Krankenhaus war.» Jeder einzelne Fall musste besprochen werden, bei jedem Verdachtsfall musste man abwägen, ab wann er wieder entisoliert werden konnte. «Das hat die Ärzteschaft zusätzlich belastet und den ganzen Spitalalltag verändert.»

Ein Virus mit vielen Gesichtern und Geschichten

Skeptikern, die das Coronavirus als Grippe abtun, die vor allem Ältere und Schwache trifft, mahnt er dazu, nicht nur die Zahlen anzuschauen: «Ich war am Anfang auch skeptisch. Es war ja nicht die erste Epidemie und nicht die schwerste, die wir bis anhin gekannt haben.» Auch in der Ärzteschaft seien die Meinungen Anfang Jahr noch sehr unterschiedlich gewesen. «Wir waren alle erstaunt, wie es sich entwickelt hat. Das hätte ich persönlich nicht gedacht. Auch als Arzt nicht.»

Wenn man das Virus erlebe, denke man automatisch anders: «Objektiv gesehen ist die Mortalität bei älteren Menschen höher, das ist schon richtig.» Subjektiv betrachtet, sei die Krankheit aber für jeden Patienten und für sein Umfeld bedeutend: «Wenn es jemanden in deiner Familie betrifft, ist es nicht dasselbe, wie wenn man nur die Zahlen liest.»

Obwohl er die Krankheit hinter sich hat, befolgt Kevin Vallotton nach wie vor die Richtlinien des Bundes: «Aber mein Leben kommt langsam zur Normalität zurück.» Trotzdem erinnert er daran, vorsichtig zu bleiben: «Auch wenn der Bundesrat uns erlaubt, wieder mehr Sachen zu unternehmen, heisst es nicht, dass jetzt alles in Ordnung ist», so der Assistenzarzt. Lieber vorsichtiger sein als empfohlen statt umgekehrt, sagt Vallotton. «Ich verstehe, dass man es nicht begreifen kann und man es nicht so ernst nimmt, wenn man nicht von der Erkrankung betroffen war. Aber wenn es einen betrifft, ändert sich alles. Und dann ist es vielleicht schon zu spät.»