
Auch eine Selbstlüge ändert nichts daran
«Man ist so alt, wie man sich fühlt» oder «Das Alter ist nur eine Zahl.» Pustekuchen! Ich kann mich den ganzen Tag, den ganzen Monat und das ganze Jahr selbst anlügen, es ändert aber nichts am Fakt, dass ich schnell älter werde. Vor exakt sechs Jahren habe ich meinen 40. Geburtstag feiern können. Nun ja, feiern ist eigentlich das falsche Wort. Ich habe ihn mit meiner Familie zu Hause über mich ergehen lassen. Dazumal ist mir erstmals richtig bewusst geworden, dass ich wahrscheinlich bereits die Hälfte meines Lebens erreicht habe. «Midlife-Crises» nennt man das wohl so schön neudeutsch. In einer solchen Situation ist das Glas eben nicht halbvoll sondern halbleer. Und wenn ich bedenke, dass bei allem was ich mache, die zweite Hälfte deutlich schneller vorüber geht als die erste, muss ich schon bald die Lebensbilanz ziehen.
Mir ist glücklicherweise noch nie in den Sinn gekommen, das Motorrad-Billett nachzuholen oder meine Haare komplett schwarz zu färben, aber über den Sinn des Lebens habe ich mir nach meinem Vierzigsten vermehrt Gedanken gemacht. Die unbeschwerten Jugendjahre sind vorbei und kommen auch nicht wieder, zu einer Teilnahme an den Olympischen Spielen wird es nicht mehr reichen und ein Besuch der angesagtesten Klubs wirkt in meinem Alter auch nur noch peinlich. Überspitzt gesagt, beginnt nun das lange Warten auf das Ende.
Doch keine Angst, es geht mir gut. Solche Gedanken gibt es zwischendurch tatsächlich, aber ich bin mir sehr wohl bewusst, dass ich so viel Glück habe wie nur ein ganz kleiner Prozentsatz der Weltbevölkerung. Wahrscheinlich sind es genau der Wohlstand und die Möglichkeit, in einem friedlichen Land zu leben, die überhaupt solche Hirngespinste zulassen. Menschen in anderen Ländern haben gar nicht die Energie und Zeit, sich mit solchen unveränderbaren Gegebenheiten zu befassen.
Ich weiss durchaus um die Vorteile, die jeder Lebensabschnitt mit sich bringt und versuche das auch zu geniessen. Das Leben ist nun mal endlich, dessen waren sich schon die ersten Menschen bewusst. Es bringt nichts, sich mit schlechten Vorahnungen auseinanderszusetzen. Dafür ist die Lebenszeit viel zu kostbar – und schliesslich auch zu kurz.
P.S.: Auch wenn ich mich nicht darüber freue, dass für mich heute schon wieder ein Lebensjahr zu Ende geht, würden es ernstgemeinte gute Wünsche ein bisschen erträglicher machen.