
Aus Titanen wurden Trainer
Ehe sie im Sommer 2002 in die Herzen der Schweizer Fussballfans stürmen, erleben die «Titanen» 2000 Kilometer entfernt ihre Geburtsstunde. 5. Oktober 2001, Saturn-Stadion im Moskauer Vorort Ramonskoje, Qualifikationsspiel für die U21-Europameisterschaft, Russland gegen die Schweiz: 1:3 liegen die Gäste zur Pause zurück, überrannt vom Gegner. Das Ausscheiden vor Augen, geschieht in der Schweizer Kabine Wundersames. Die Leithammel Ricardo Cabanas, Stephan Keller und Alex Frei ergreifen das Wort, wobei: Sie schreien. Derbe, nicht druckreife Kraftausdrücke hallen durch die weitläufigen Katakomben. Sinngemäss: «Von allen wurden wir gelobt, hatten immer eine grosse Klappe. Jetzt müssen wir der Schweiz zeigen, dass wir wirklich Kämpfer und keine Angsthasen sind.» Das Spiel endet 3:3, der Türöffner für die Schweizer zur Heim-EM im folgenden Sommer.
So erzählt das Cabanas. Seit dem Karriereende 2012 hat er sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, schreibt gerade an der Masterarbeit des Spanischstudiums und will später als Gymnasiallehrer arbeiten. Für Keller und Frei macht Cabanas aus seiner «Silenzio Stampa» eine Ausnahme: «Zwei Persönlichkeiten, die ich sehr schätze, weil sie Werte wie Ehrlichkeit und Anstand leben.» Wem Cabanas die Daumen drückt, wenn Keller und Frei als Cheftrainer des FC Aarau bzw. des FC Wil aufeinandertreffen, lässt sich erahnen: «Steph ist einer der wenigen Freunde, die aus meiner Fussballerzeit geblieben sind.»
Die bitteren Tränen nach dem Ende einer Reise
Im Sommer nach Ramonskoje stürmen die Schweizer an der U21-Europameisterschaft in den Halbfinal. Mit Captain und Stratege Cabanase, Abwehrpatron Stephan Keller und Torjäger Alex Frei. Beim Ausscheiden gegen Frankreich fliessen Tränen, nicht nur wegen der sportlichen Enttäuschung, vor allem auch, weil eine gemeinsame Reise endet, die für einen Grossteil der verschworenen Gruppe bereits in der U16-Nationalmannschaft beginnt. Keller sagte damals: «Wenn wir nicht gerade Fussball spielen, ist es wie Ferien mit Kollegen. Es gibt keine Privilegien und keine Besitzansprüche.» Frei absolvierte vor dem Turnier ein Freundschaftsspiel mit der A-Nati, dem Aufgebot folgte er nur widerwillig: «Ich wäre lieber mit der U21 ins Vorbereitungscamp nach Katar. Wir haben seit zwei Jahren in dieser Mannschaft eine Konstellation, die es eigentlich nicht geben kann. Wir haben fast Sehnsucht nacheinander, wir freuen uns wie kleine Kinder auf die Zusammenzüge.»
Der erstmalige Vorstoss der Schweizer U21 ins grosse Rampenlicht hallt bis heute nach. Keller sagt rückblickend: «Seither sind wir nicht mehr die kleinen Schweizer. Wir haben uns damals nicht mehr als kleine Schweizer verarschen lassen. Früher musste man als Schweizer 100 gute Spiele in der Nationalliga A gemacht haben, um auf dem Radar von ausländischen Klubs aufzutauchen. Nach der U21-EM hatte ich zwei Offerten auf dem Tisch von Klubs, die bereit waren, eine für damalige Verhältnisse hohe Ablösesumme zu zahlen.» Talentiert waren die Schweizer Junioren schon in den 90er-Jahren, neu bei den «Titanen» war die Winnermentalität, zu der Köbi Kuhn viel beitrug. Er trainierte die U21, ehe er im Sommer 2001 in die A-Nati befördert wurde. Keller erinnert sich: «Bis dato galt im Verband die Devise, auch die Färöer-Inseln ja nicht zu unterschätzen. Köbi hat dann vor einem Spiel plötzlich gesagt: ‹Was soll ich die anderen starkreden? Wenn wir gut spielen, sind wir besser. Punkt.› Alex und mir hat dieses Denken zugesagt.»
Frei und Keller stehen sich in dieser Zeit nahe. «Wir kennen uns seit den C-Junioren (12- bis 14-Jährige; d. Red.). Wir waren Schweizer aus dem Bilderbuch und haben uns auch mal über Wanderferien ausgetauscht. Sportlich hatten wir bis dahin ähnliche Karrieren: Ausgebildet bei Grossklubs, er beim FC Basel, ich bei GC und danach ausgeliehen, um die Sporen abzuverdienen. Das verbindet.»
«Ich wusste, dass Alex und Steph Trainer werden»
In den Zeitungsartikeln über die U21-Titanen kommen meist nur die beiden zu Wort. Keller erklärt sich das so: «Wir konnten unsere Meinung in zwei geraden Sätzen artikulieren und schreckten nicht vor kritischen Voten zurück.» Das habe auch für den Austausch mit Köbi Kuhn gegolten, der Gegenmeinungen zuliess. «Sein Führungsstil war ideal. Wir brauchten keinen Trainer, der uns verbietet, am Tag vor dem Spiel in den McDonalds zu gehen. Das war selbstverständlich. Dafür hat ihn auch nicht weiter gekümmert, dass wir uns nach dem Spiel an der Hotelbar getroffen haben.»
Nach der U21-EM trennen sich die Wege. Frei spült es weit nach oben: Borussia Dortmund, Champions League mit dem FC Basel, Captain und Rekordtorschütze der A-Nati. In Kellers Vita stehen derweil «nur» drei A-Länderspiele, auf Klubebene kehrt er der Schweiz 2004 den Rücken, wird in Australien mit Sydney Meister und in Holland, bis heute Lebensmittelpunkt der Familie, als Mensch glücklich.
Cabanas sagt, an fehlendem Talent sei eine grössere Karriere Kellers nicht gescheitert, vielmehr an dessen unpopulärer Art: «Leider gilt im Fussballbusiness bereits als Querdenker, wer sich nicht mit dem ‹Blick› verbrüdert oder sich pointiert und kritisch äussert. Stephs schlechter Ruf war an den Haaren herbeigezogen. Mit ihm kann man tiefe Gespräche abseits des Fussballs führen, ich schätze das sehr.» Frei hingegen sei mit seiner unerschrockenen, lausbübischen Art, mit seinem Fokus und dadurch, dass Tore einen Spieler automatisch beliebt machen, bei den Leuten besser angekommen.
Im Oktober 2019 absolvieren Frei und Keller gemeinsam einen Kurs im Rahmen ihrer Trainerausbildung. Für Cabanas eine logische Art des Wiedersehens: «Ich wusste schon vor 18 Jahren, dass Alex und Steph einmal Trainer werden. Sie sind fleissig, talentiert und nicht auf den Kopf gefallen, ich traue ihnen viel zu in der neuen Rolle.» Als Keller im vergangenen Juli zum Cheftrainer in Aarau ernannt wird, gratuliert Frei per SMS. Keller hat auf Freis Anstellung in Wil bislang nicht reagiert, er will seinem früheren Weggefährten die Glückwünsche von Angesicht zu Angesicht überbringen.
Gelingt Schötz gegen Sion der grosse Coup?
Schweizer Cup Heute (16 Uhr) nehmen die Schötzer gegen den FC Sion schon zum 9. Mal Anlauf, einen der «Grossen» im Schweizer Fussball zu bezwingen. Das Duell mit Sion werde für viele seiner Mannschaft ein vielleicht einmaliges Erlebnis, sagt Trainer Roger Felber, «deshalb sollen es die Spieler primär geniessen. Das soll aber nicht heissen, dass wir die Walliser nicht hart fordern wollen.»
Gleich im ersten Pflichtspiel der Saison 2020/21 geht es für den FC Aarau um Alles oder Nichts: Ein Sieg gegen Wil würde die erstmalige Qualifikation für den Cup-Achtelfinal seit der Saison 2016/17 bedeuten. Das eh schon dünne FCA-Kader ist aktuell um zwei weitere Spieler reduziert: Die Eigengewächse Stevan Lujic und Yvan Alounga befinden sich noch bis Samstagmitternacht in Quarantäne.
Am Sonntag empfängt der SC Schöftland (2. Liga inter) den FC Solothurn (1.). Ein Weiterkommen des Unterklassigen ist kein Ding der Unmöglichkeit: Der SCS bewies in der Runde zuvor beim 6:1 gegen Ligakonkurrent Sierre, dass er im Cup zu Hochform auflaufen kann. Auf der Rütimatten werden alle Augen auf Trainer Gügs Widmer gerichtet sein, der an seine alte Wirkungsstätte zurückkert. (pd/wen/ndö)