Beatrice Egli stand einen Tag nach der Matterhorn-Besteigung wieder auf der Bühne

Beatrice Egli, worauf sind Sie momentan am meisten stolz?

Beatrice Egli: In erster Linie bin stolz, dass ich die Matterhorn-Besteigung gesund geschafft habe. Ich bin gut raufgekommen und sicher abgestiegen. Sehr gefreut habe ich mich auch, dass ich dafür sehr viel Anerkennung bekommen habe. Von Menschen, zu denen ich bisher keinen Zugang hatte, gefühlt der ganzen Bergwelt. Ich habe insgesamt Zuspruch wie noch nie bekommen.

Und ich dachte, Musikstars, die Promotion machen, sind vor allem auf Ihr neuestes Album stolz …

(Lacht) «Alles was du brauchst» ist für mich pures Glück. Es ist ein sehr intimes, persönliches Album, das mich von so vielen Seiten zeigt wie noch nie – auch von Seiten zeigt, bei denen manche denken: Hat sie das jetzt wirklich gesungen? Manche wird das schockieren, gleichzeitig spreche ich Sachen wie Body Shaming an, das bei Kommentaren in den Sozialen Medien leider Alltag ist.

Weshalb gerade jetzt?

Ich möchte die Chance nutzen, die ich habe, weil ich so oft in der Öffentlichkeit stehe. Das ist ja nicht immer nur lässig, bietet mir aber die Möglichkeit, gewisse Dinge anzusprechen und die Leute für diese zu sensibilisieren. Die 16 Lieder zeigen, dass man mit mir nicht nur lachen, sondern auch Tränen vergiessen kann. Der Schmerz gehört zum Leben dazu, und manchmal hilft es schon, über ihn zu reden, oder es ist sogar der erste Schritt, damit die Welt ein wenig besser wird.

Worin haben Sie mehr Zeit investiert, ins Album oder in die Matterhorn-Besteigung?

Tatsächlich ist beides Hand in Hand gegangen. Das Training hat das Album stark beeinflusst und inspiriert. Gleichzeitig hat ein Song wie «Power», den ich speziell für Frauen geschrieben habe, mitgeholfen, meinen inneren Schweinehund zu bezwingen. Ich bin sehr dankbar, dass wir in den zwei Monaten, die wir in unserer Corona-Bubble in Granada verbrachten, intensiv und konzentriert an beiden Projekten arbeiten konnten. Am Morgen gingen wir in den schönen Bergen wandern und am Nachmittag machten wir Musik.

Was hat Sie überhaupt auf die Idee gebracht, sich die Besteigung des Matterhorns zum Ziel zu setzen?

Als ich 2020 mit dem Glacier Express von St. Moritz nach Zermatt gefahren bin und das Matterhorn zum dritten Mal sah, dachte ich: Irgendwann werde ich es besteigen! Aus dem Irgendwann ist dann u-schnell geworden, als ich meinem Manager davon erzählte und wir herumzuspinnen begannen. Als wir auf die «100 % Women Peak Challenge» von Schweiz Tourismus stiessen, bei der es darum geht, dass dieses Jahr alle 48 Viertausender von reinen Frauenseilschaften bestiegen werden sollen, fand ich, das sei der perfekte Moment. Es hat mir sehr viel Motivation und Kraft gegeben, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist.

Chapeau vor Ihrer Leistung! Ich wäre nicht mal schwindelfrei…

Ja, dann sollten Sie es wirklich besser lassen, denn es geht links und rechts einfach runter! (Lacht)

Was war schlimmer: Die Angst vor den Gefahren am Berg oder vor einer Blamage?

Ich hatte nie Angst mich zu blamieren. Ich habe mich individuell fit gemacht und mit meiner Bergführerin Suzanne Hüsser viele Touren gemacht. Ausserdem war ihre Ansage klar: «Falls du nicht bereit bist, brechen wir erst gar nicht auf.» Ich wusste, wenn sie sagt, ich sei bereit, vertraue ich ihr. Vertrauen ist am Berg etwas wahnsinnig Wichtiges. Das musste ich lernen. Dann konnte ich meine Angst überwinden.

In welchen Situationen kam sie auf?

Wenn ich beim Klettern nicht wusste, wo ich den nächsten Tritt finde oder wohin ich greifen soll. Beim Trainieren mit anderen Bergführern hat sie mich auch hin und wieder übermannt, aber mit Suzanne war das nie der Fall.

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Ambitionen reagiert?

Für meine Familie war es nicht einfach, die Tochter, Schwester, Enkelin oder Tante gehen zu lassen. Immerhin wird das Matterhorn auch «der Todesberg» genannt. Aber ich habe ihr und mir selbst von Anfang an versprochen, dass ich abbreche, wenn ich merke, dass es nicht geht. Inzwischen fühle ich mich beim Klettern jedoch besser als beim Atem raubenden Gehen. Da bin ich fokussiert, greife, steige und denke an nichts Anderes. Viel ist Kopfarbeit. Ich habe viel gelernt und fühle mich deswegen so stark wie noch nie.

Wenn Sie erzählen, klingen Sie alles sehr emotional. Manchmal zittert sogar Ihre Stimme ein wenig…

Ich bin auch immer noch in der Phase, in der ich kaum glauben kann, dass ich tatsächlich auf dem Gipfel war. Ich bin von Zermatt direkt nach Stuttgart gereist, wo ich am nächsten Abend ein zweistündiges Konzert gegeben habe. Dann hatte ich einen Auftritt auf Rügen und nun bin ich hier. Ich hatte noch gar keine Zeit, alles zu realisieren.

Bei «Alles was du brauchst» denkt man auf Anhieb an die Liebe, doch Ihr Titelsong handelt vor allem von Mut, Vertrauen und Selbstliebe. Was bedeuten Sie Ihnen?

Ich habe eine grosse Sehnsucht nach Veränderung, bin jemand, der immer dran ist und nie zur Ruhe kommt. Manchmal sucht man sehr viel im Aussen. Das Aussen gibt einem jedoch so viel wie nichts. Alles was du suchst, findest du ist in dir. Ich habe den Song für mich selbst geschrieben, für mich gesungen und höre ihn nun sehr oft. Das Schönste ist aber, wenn die Fans bei den Konzerten inbrünstig mitsingen. Diese Energie haut mich fast um!

Die Piano-Ballade «Jedes Mal», die an Silbermond erinnert, wirkt ebenfalls sehr persönlich.

Das Lied hat mir auch sehr viel abverlangt. Ich musste mehrmals neu ansetzen, als wir sie aufgenommen haben. Sie ist zu 100 % biografisch und kommt aus meinem tiefsten Inneren. So schön alles ist, so unangenehm ist es manchmal, mit mir selbst konfrontiert zu sein, weil ich so in Unruhe bin. Aber das Matterhorn hat mir geholfen.

Die Mischung aus gesprochenem und gesungenem Text von «Leise Lieder» erinnert an Jonny Hills «Ruf Teddybär 1-4», handelt aber von einem Kind, das häusliche Gewalt erlebt. Wie kamen Sie auf das Thema?

Als es durch die Pandemie zu einem noch grösseren Problem wurde, hat es mir fast das Herz zerrissen, zumal ich es leider auch aus meinem Umfeld kenne. Niemand sagt etwas, obwohl einige etwas vermuten. Das hat mich sehr beschäftigt. Ich dachte: Ich bin 33, stehe voll im Leben und möchte eine Geschichte erzählen, um auf die Situation von Yannik und vielen anderen Kindern und Erwachsenen aufmerksam zu machen.

Im November veröffentlichen Sie auch noch ein Buch. Worum geht es?

Das ist noch geheim, aber es wird einiges über mich verraten, was man bisher nicht wusste. Es wird wieder ein spezieller und aufregender Moment, doch jetzt geniesse ich erstmal, auf der Bühne zu stehen, wieder Boden unter den Füssen zu haben. Ich kann es kaum erwarten, «Mini Schwiiz, Mini Heimat» und andere Lieder, die während der Pandemie entstanden sind, endlich mal live singen zu können.

Mit «Matternhorn» gibt es auf dem Album wieder ein hitverdächtiges Mundartlied. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Dodo?

Wir beide und alle anderen sind seit «Sing meinen Song» in Kontakt. Ich war bei Jaëls Konzert am Zermatt Unplugged. Wenn ich in Bern bin, treffe ich Ta’Shan. Mit Dodo verbindet mich das positive Denken. Ausserdem bin ich extrem wortfanatisch. In meinem Team bin ich da sehr penetrant unterwegs. Aber jetzt weiss ich, wer noch penetranter ist! (Lacht) Der Song entstand in einer coolen Session in seinem Container in Zürich und hat einiges vorweggenommen, was ich nachher erlebt habe.

Was meinen Sie?

Beim Aufstieg zum Matterhorn ist es an einer Stelle, die sehr schwer zum Klettern war, zu einem Stau gekommen. Als ich wartete, ging die Sonne auf. Da habe ich das Lied mit Lieb und Seel losgesungen – hinein in die Stille am Berg, in einem Moment, in dem ich kurz durchatmen konnte. Es blieb der einzige, bis zum Gipfel!

Und dort haben Sie das Lied nochmals gesungen?

Nein, da hat die Luft nicht mehr gereicht. Ich bin nur noch in die Arme von Suzanne gefallen und hab geheult vor Freude. Viel mehr Töne kamen da nicht mehr heraus… 

Beatrice Egli tritt am 23.10. in Sursee (Stadthalle) und am 30.10. bei «Die grosse Schlagerparty» im Zürcher Hallenstadion auf, dann mit Matthias Reim und Jürgen Drews.

Zur Person

Die Zentralschweizerin Beatrice Egli wurde am 21. August 1988 geboren und wuchs in Pfäffikon SZ auf. Die Metzgerstochter lernte Coiffeurin, bevor sie das Singen zum Beruf machen konnte. Meilensteine auf ihrem Weg waren der Sieg bei «Deutschland sucht den Superstar» (DSD) mit dem Tophit «Mein Herz» und die Mundart-CD «Mini Schwiiz – mini Heimat» (2020). Mit ihrem neuen Album «Alles was du brauchst» hat sie zum siebten Mal Platz eins in der Schweizer Hitparade erreicht und zum ersten Mal in den deutschen Charts. Am 18. August erklomm sie mit einer reinen Frauenseilschaft den Gipfel des Matterhorns. (rhö)