Bei den Schwingern wächst die Sehnsucht

Wer führt die heilige Kuh auf die Schlachtbank? Es ist eine Frage, mit der sich im Schwingen niemand in den Finger schneiden will. Aber es ist auch eine Frage, die wichtiger werden könnte, je länger die Coronakrise anhält. Momentan ist das Schwingen – wie bereits im Frühling während der ersten Welle – verboten. Wie lange die zweite Wellte dauert, das wissen nur die Götter. Doch für Opfer ist das Schwingen nicht bereit.

Der Sport hält am Amateurstatus fest. Dabei wäre ein Duell im Sägemehl während der Krise nur möglich, wenn die Schwinger eine Elite definieren und Swiss Olympic die Profis anerkennen würde. Wie das zum Beispiel im Ringen oder Boxen der Fall ist, beides Sportarten, in denen die Besten weiter trainieren, obwohl Kontaktsport verboten ist. Das Profitum machts möglich. Doch im Schwingen sind alle gleich – selbst der König. Und das ist im Grunde ein hohes Gut. Warum sollte man die heilige Kuh also schlachten?

Eine Saison ohne Feste würde nachhaltig schaden

Stefan Strebel ist Technischer Leiter des Eidgenössischen Verbandes und damit der höchste Schwinger des Landes. Daneben ist er aber auch Geschäftsführer einer Firma, die – welch Ironie – einen grossen Teil des Umsatzes mit Fleischprodukten erzielt. Wer wäre also besser geeignet als Metzger? Doch der Aargauer verneint vehement. «Wir wollen eine Lösung für alle. Eine Elite mit vielleicht 30 Schwingern bringt nichts. Was ist ein Fest ohne Breite? Und sowieso: Dann ginge diese bald verloren», sagt Strebel.

Diese Meinung teilen viele, die aktiv oder passiv mit dem Schwingen verbunden sind. Das Wort Profi ist tabu – zumindest, wenn andere mitlesen können. Stattdessen wird von kreativen Ansätzen gesprochen, wie trotz Krise geschwungen werden kann. Denn klar ist: Eine zweite Saison ohne Wettkämpfe würde dem Schwingen nachhaltig schaden. Darum wird das Kalb der Kuh zumindest mal in den Transporter geladen.

Noch im Sommer weigerten sich die Verbandsoberen, dem Wunsch des Aktivenrats zu folgen und Geisterschwingfeste zu erlauben. Jetzt sagt Strebel: «Wir raten allen Organisatoren, ihre Wettkämpfe ohne Zuschauer zu planen. Sollten doch Fans erlaubt sein, umso besser.»

Die Sehnsucht nach dem Griff ins Sägemehl wächst. Eigentlich begänne jetzt bereits die Saisonvorbereitung im Schwingkeller. Jetzt bleibt nur der Kraftraum als Trost. «Wir dürfen nicht tun, was wir am liebsten machen», sagt Nick Alpiger. «Aber wer deswegen Motivationsprobleme hat, muss sich überlegen, ob er sich nicht einen anderen Sport suchen will. Ich auf jeden Fall freue mich auf Wettkämpfe, wie ein Kind die Sommerferien herbeisehnt.»

«Ich brauche nicht viel für einen Wettkampf»

Ob dann andere zuschauen, ist dem bald 24-Jährigen egal. «Ich brauche nicht viel für einen Wettkampf: Sägemehl, Schwinghosen, einen Gegner und einen Kampfrichter. Dann geht es los.» Es ist ein Argument, das auch Strebel einbringt bei der Antwort auf die Frage, ob sich Feste ohne Fans lohnen. «Die Kosten können tief gehalten werden. Und nach ertragsreichen Jahren sollten kleine Aufwände für die Klubs zu tragen sein. Zum Wohl des Sports.»

Doch auch Geisterschwingfeste sind nur möglich, wenn Kontaktsport auch im Amateurbereich wieder erlaubt wird. Bis im Februar könne man noch warten, glaubt Strebel. «Danach braucht es Schwingtrainings für einen vernünftigen Saisonstart.» Weil was bringt dem Siegermuni die heilige Kuh, wenn es auch ihn nicht braucht.