
Bei schweren Corona-Erkrankungen führen Blutgerinnsel zu Schäden – was die Medizin von Bären lernen kann
Die Tage werden kürzer, die Temperaturen sinken, die Coronafallzahlen steigen. Die eine oder der andere möchte sich am liebsten unter der Bettdecke verkriechen und die kommenden Wochen oder Monate verschlafen. Eine Winterruhe machen wie die Bären.
Doch das ist keine gute Idee. Schon wenn wir ein paar Tage im Bett liegen, erschlaffen die Muskeln. Das Blut fliesst langsamer und damit steigt das Risiko, dass sich Gerinnsel bilden. Meist entstehen sie in den Venen der Beine und des Beckens, sie können aber von da weitergeschwemmt werden und in der Lunge eine lebensgefährliche Embolie, einen Gefässverschluss, auslösen.
Blutgerinnsel bilden sich auch auffallend häufig bei Menschen, die schwer an Covid-19 erkrankt sind. Sie können zu Organschäden in den Nieren und Lungen oder sogar zum Verlust von Finger oder Zehen führen. Bei Menschen, die auf der Intensivstation beatmet werden und sich nicht selbst bewegen können, sind sie ohnehin ein Risiko.
Ihnen werden deshalb Blutverdünnungsmittel verabreicht. In Spitälern ist das Problem zudem von langen Operationen bekannt, bei denen eine narkotisierte Person stundenlang reglos liegt.
Medikamente gegen Blutgerinnung wirken anders
Schwarzbären dagegen schlafen jeden Winter monatelang, ohne dass das Blut zu stocken beginnt. Wie machen die das bloss? Diese Frage treibt Ann-Kristin Friedrich um, eine Ärztin aus Deutschland, die sich am Spital der renommierten Universität Yale in den USA auf die chirurgische Behandlung von Brustkrebs spezialisiert hat. «Wenn wir während einer Operation mit Medikamenten die Blutgerinnung hemmen, kann das Nebenwirkungen haben», sagt sie. «Es kann zu Blutungen kommen, gewisse Medikamente können auch die Nieren oder die Blutplättchen schädigen.»
Bären hingegen schaffen es irgendwie, ihr Blut für die Winterruhe so zu regulieren, dass es weder gerinnt noch zu anderen Problemen kommt. Um dem Geheimnis dieser Tiere auf die Spur zu kommen, gründete Ann-Kristin Friedrich während einer Weiterbildung an der Universität Massachusetts gemeinsam mit dem Chirurgen Mitchell Cahan eine Forschungsgruppe.
Einfacher wäre es gewesen, ihre Frage an Eichhörnchen oder Murmeltieren zu untersuchen. Diese kleineren Tiere können sogar in Labors das ganze Jahr über in Winterschlaf versetzt werden. Aber Schwarzbären sind dem Menschen ähnlicher. Sie sind ähnlich schwer und senken ihre Körpertemperatur im Winter nur um wenige Grad ab, auf 30 bis 34 Grad Celsius.
Doch wie kriegt man eine Blutprobe von einem Bären?
Schwarzbären sind weniger gefährlich als Grizzlys, sie tendieren eher zur Flucht als zum Angriff. In Nordamerika sind sie weit verbreitet. Trotzdem ist es nicht ganz einfach, von ihnen Blutproben zu kriegen.
«Wir haben Biologen in Michigan gefunden, die für ein Forschungsprojekt zur Gesundheit der Schwarzbären ohnehin Blutproben von diesen nahmen», erzählt die Chirurgin. «Wir fragten sie, ob sie jeweils zwanzig Millimeter zusätzliches Blut für uns nehmen könnten, und sie antworteten: selbstverständlich.»
Die Bären tragen GPS-Sender am Halsband, dank deren sie immer wieder zu finden sind. Einmal ging Friedrich selber mit: «Wir stiessen auf eine Bärenmutter mit zwei Jungen, es war sehr herzig. Aber sie rannte davon, bevor wir sie betäuben konnten.» Im Sommer kämen die Biologen öfters mit leeren Händen zurück.
Im Winter hingegen würden die Bären die Menschen zwar ebenfalls hören, doch sie sind dann zu müde, um zu flüchten. «Wir haben auch mit Zoos telefoniert, um vielleicht dort an Blutproben zu kommen», sagt Friedrich, «aber dort machen die Bären meist gar keinen Winterschlaf.»
Weniger weisse Blutplättchen im Winterblut
32 Blutproben von wilden Schwarzbären konnten sie schliesslich erhalten, 9 aus der Winterruhe und 23 aus den aktiven Sommermonaten. In diesen suchten sie nach Erklärungen, weshalb die ruhenden Tiere keine Thrombosen erleiden. Und tatsächlich zeigte sich eine ganze Reihe von Unterschieden zwischen dem Sommer- und dem Winterblut.
Zum Beispiel fanden sich in der Winterruhe mehr rote, aber weniger weisse Blutkörperchen und weniger Blutplättchen. Auch verschiedene andere Werte waren verändert, darunter der Spiegel gewisser Proteine. Die einzelnen Unterschiede waren aber geringer als erwartet. Offenbar verändert sich im Blut des Bären nicht ein einzelner Wert sehr stark – wie dies bei einem Menschen durch gerinnungshemmende Medikamente passiert – sondern viele Faktoren werden leicht verändert.
Nun steht Ann-Kristin Friedrich vor der nächsten Frage: Wie kann ein ähnlicher Effekt beim Menschen hervorgerufen werden? Sie hofft, durch Versuche an Mäusen Antworten zu kriegen. «Wir versuchen, gentechnisch veränderte Mäuse zu kriegen, die zu Gerinnungen neigen», sagt sie.
«Bei diesen schauen wir dann, ob wir mit Blutplasma von Bären etwas gegen die Gerinnungen machen können.» Falls es funktioniert, werden die Versuche mit gewissen Bestandteilen des Blutplasmas fortgesetzt. «Wenn es uns gelingt, ein Superprotein zu finden, das durch subtile Veränderungen im Blut die Gerinnung reguliert, können wir vielen Menschen helfen.»
Bärenblut hat einen speziellen Mechanismus
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Medizin aus der Winterruhe lernt. So werden Patientinnen und Patienten bei Wiederbelebungen nach einem Herzstillstand künstlich um einige Grad heruntergekühlt. Das kann Schäden am Hirn verhindern.
Sollte es der Forschungsgruppe mit Ann-Kristin Friedrich nun tatsächlich gelingen, mit einem Medikament die Mechanismen des Bärenbluts in Menschen nachzuahmen, können wir die Pandemie trotzdem nicht verschlafen. Aber zumindest könnten bei jenen, die das neue Coronavirus besonders heftig erwischt, gewisse Komplikationen vermieden werden.