Bekommt, wer das Geld hat, Unterschriften?

Am 26 November haben viele Stimmbürgerinnen und -bürger ihren freien Tag. National und im Kanton Aargau stehen keine Volksabstimmung an – da und dort allerdings Wahlgänge in der Gemeinde. Demokratiestress – mit mutmasslich üppig befrachteten Abstimmungssonntagen – steht nächstes Jahr wieder an. Neben der «No Billag»-Initiative sind weitere dreizehn nationale Volksbegehren in der Pipeline – respektive liegen auf den Pulten von Bundesrat oder Parlament. Themen? Eine Auswahlsendung, die bei einem «Verhüllungsverbot» beginnt, Velo-, Fuss- und Wanderwege fördern will, «Schweizer Recht statt fremde Richter» fordert wie auch «die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere» (Hornkuh-Initiative) garantiert haben will.

Auf Bundesebene hat man die Volksinitiative 1891 eingeführt. Seither wurden 455 Initiativen lanciert. 326 sind zustande – und zur Abstimmung gekommen, 97 wurden zurückgezogen, 6 abgeschrieben oder ungültig erklärt. Von Volk und Ständen angenommen wurde 22 Initiativen.

Die meisten Abstimmungsvorlagen sind längst vergessen. Ecopop-Initiative? Verworfen im November 2014. Mindestlohn-Initiative? Chancenlos. Initiative zur Aufhebung der Wehrpflicht? «Versenkt» im Herbst 2013. Von insgesamt 198 ins Leben gerufenen Initiativen sind 176 auf der Strecke geblieben. Werden wir von chancenlosen Volksinitiativen überschwemmt? Sollte die Unterschriftenzahl von 100‘000 auf 200‘000 verdoppelt oder die Sammelfrist von 18 auf 9 Monate verkürzt werden?

Im Aargau gibt es Bestrebungen, die Zahl der für eine Volksinitiative nötigen Unterschriften von aktuell 3000 auf 6000 zu erhöhen. Das Argument: Es sei unverhältnismässig, dass 3000 Stimmbürger (0,7 Prozent) 422‘000 Stimmberechtigte an die Urne rufen können? Der Aargau zählte 1980 rund 270‘000 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Das ist unbestritten eine Verwässerung des Initiativrechts und eine Anpassung wäre rein rechnerisch angezeigt. Nur, was bringt sie?

In Zürich waren bis 2006 10‘000 Unterschriften nötig. Zu einer Herabsetzung des Unterschriftenquorums kam es vor sechs Jahren mit einer neuen Kantonsverfassung. Die tiefere Zahl entsprang der politisch breit abgestützten Absicht, Zürich demokratischer zu machen. 6000 sind 1,14 Prozent der Stimmberechtigten. Die Neuerung ist nicht ohne Folgen geblieben. Seit 2006 kommen in Zürich pro Jahr durchschnittlich 6,5 kantonale Initiativen zustande; zuvor waren es 4,3. Gestiegen ist auch die Zahl der Referenden, von jährlich 1 auf 2,6. Im Aargau beträgt das Quorum 0,7 Prozent. Dennoch wurden im Kanton Zürich in den Jahren 1990 bis 2010 mehr als dreimal so viele Initiativen (57) lanciert wie im Aargau (18). Auch unterschiedliche Fristen für die Unterschriftensammlung stellen in diesem Fall keine Erklärung dar: Im Aargau ist die Frist ebenso lang wie im Kanton Zürich (12 Monate).

Andere Faktoren dürfen deshalb einen stärkeren Einfluss auf die Zahl der Initiativen haben. So zeigt eine Studie der Uni Zürich, dass am meisten Initiativen in den Kantonen mit den drei grössten Städten eingereicht wurden. Etwas, was mit der medialen Aufmerksamkeit zu tun haben dürfte.

Auch andere Auffälligkeiten zeigen sich: So steigt die Zahl der in einem Wahljahr lancierten Initiativen nicht nur auf Bundesebene jeweils markant an, sondern auch in einigen Kantonen: Eine Zusammenstellung der Genfer Staatskanzlei zeigt beispielsweise, dass in diesem Kanton in den Wahljahren 2005, 2009 und 2013 jeweils zwischen 8 und 12 Initiativen gestartet wurden. In den Jahren nach den Wahlen war es nicht einmal die Hälfte. Die Initiativenflut auf Bundesebene dürfte somit klar andere Ursachen als die mit dem Bevölkerungswachstum gesunkene Hürde des Quorums haben.

Dennoch an der Unterschriftenzahl schrauben? Einfacher geworden ist das Sammeln von Unterschriften in den letzten Jahren nicht. Das Lokal mit der Abstimmungsurne ist weitgehend weggefallen, den Stammtisch gibt es kaum noch und Vereine – als weitere Unterschriftenquelle – kämpfen mehr und mehr um ihr Überleben. Wer das nötige Geld hat, der setzt professionelle Unterschriftensammler ein. Tarif: zwei Franken pro Stimmberechtigten. Dafür ist das Instrument der Volksinitiative nicht gedacht.