
Bezirk Zofingen: Die grossen Parteien stehen unter Zugzwang
«Die Zahl der Parteilosen in Exekutivämtern auf kommunaler Ebene hat sich seit 1988 schweizweit verdoppelt.» Diese Aussage traf der Politologe Lineo Devecchi aus der Ostschweiz im Jahr 2018 gegenüber dem St. Galler Tagblatt. Die Resultate der jüngsten Gemeinderatswahlen in Bottenwil untermauern seine Angaben. Dort ersetzt Miriam Dietschi den demissionierten Heinz Gerber (parteilos) und sorgt als Parteilose für die Weiterführung der Tradition. Auch im restlichen Bezirk sind die Zahlen hoch: Fast jeder zweite Gemeinderat ist parteilos (siehe Grafik). Nebst Bottenwil ist auch Moosleerau und Wiliberg unter der Führung Parteiloser. Das passt zur Studie der Universität Lausanne aus dem Jahr 2017, in der sie schreibt: «Je kleiner eine Gemeinde, desto mehr Parteilose.» Nebst fehlenden Ortsparteien weist Bottenwils Gemeindeammann Silvan Bärtschi auf einen weiteren wichtigen Grund dafür hin: «In einer kleinen Gemeinde ist es sowieso schon schwierig, fünf Personen zu finden, die ein politisches Amt ausüben möchten. Da ist die Parteizugehörigkeit nebensächlich.»
Wer ist Sachpolitiker und wer Parteisoldat?
Der Politikwissenschaftler Urs Vögeli aus Zofingen geht gar einen Schritt weiter: «Die Zeit grosser Parteien ist womöglich langsam zu Ende.» Auch er beobachte den Trend schon länger. «Früher war die Mitgliedschaft in einer Partei Teil der Sozialisierung.» Heute sei Unabhängigkeit vermehrt der Trumpf: «Man möchte als Politiker frei sein von Parteiprogrammen.» Viele Parteilose rühmten sich als «Sachpolitiker», denen kein Gremium im Nacken sitze und Rechenschaft verlange. Dem steht Urs Vögeli aber auch skeptisch gegenüber: «Jeder möchte ein Sachpolitiker sein. Niemand würde von sich behaupten, als Parteisoldat zu handeln.» Doch jeder besitze eigene Werte, die in politische Entscheidungen einfliessen. Dabei spielt die Parteizugehörigkeit für Vögeli eine entscheidende Rolle: «Die Parteien sind eine Möglichkeit, Transparenz und Verbindlichkeit in Bezug auf die Werte zu schaffen, zu denen man steht.» Ausserdem gebe es nirgends eine so grosse Parteiauswahl wie in der Schweiz: «Bei so vielen Möglichkeiten sollte es sehr einfach sein, sich zu gruppieren. Nicht wie etwa in den USA, wo nebst den Republikanern und den Demokraten nichts anderes existiert.»
Für die politische Karriere ist eine Partei sinnvoll
Stephan Wullschleger (SVP) ist seit sechs Jahren Strengelbachs Gemeindeammann und sieht in der Partei auch Vorteile: «Mit der Diskussion innerhalb der Partei erhält man viele verschiedene Ansichten, die ein Parteiloser so nicht hat.» Er selber sehe sich als unabhängig, obwohl er der SVP angehöre. «Ich habe manchmal auch eine andere Meinung als meine Partei, aber das darf Platz haben.» Für ihn sei es der falsche Weg, bei Uneinigkeit aus der Partei auszutreten.
Ähnlich sieht es Oftringens Gemeindeammann Hanspeter Schläfli (FDP): «Obwohl die Diskussion innerhalb der Partei mit Gleichgesinnten stattfindet, ist sie doch sehr wertvoll.» Im Falle von Oftringen, das einwohnertechnisch die grösste Gemeinde im Bezirk darstellt, erfüllten Parteien eine wesentliche Scharnierfunktion. «Die Parteien sind für den Gemeinderat wichtige Ansprechpartner. Sie warten mit ihren Ideen nicht bis zur Gemeindeversammlung, sondern melden sich auch unter dem Jahr. Ich möchte diesen Austausch nicht missen.»Für das Wahlsystem in der Schweiz sind Parteien laut Urs Vögeli nicht wegzudenken. «Unsere Strukturen sind im Kern ausgelegt auf die Existenz von solchen Gruppierungen», so der Politikwissenschaftler. Auch Bottenwils Gemeindeammann Silvan Bärtschi sieht es ähnlich: «Es ist schwieriger, als Parteiloser in kantonalen und nationalen Prozessen mitzuwirken.» Ist es demnach unumgänglich, einer Partei beizutreten, wenn man eine politische Karriere anstrebt? «Rein pragmatisch gesehen, wäre es sicherlich besser, wobei Gegenbeispiele zeigen, dass es auch anders geht», so Vögeli. Damit spricht er den Schaffhauser Thomas Minder an, der im letzten Herbst als Parteiloser im ersten Wahlgang in den Ständerat wiedergewählt wurde. «Trotzdem kann man sagen, dass Parteilosen häufig das Netzwerk und der damit verbundene Rückhalt fehlt», sagt Vögeli.
Klar ist: Ortsparteien bringen Bewegung in Spiel. Obwohl sich Silvan Bärtschi nicht um jeden Preis eine Ortspartei in Bottenwil wünscht, sieht er doch die Vorteile: «Mit einer Partei wäre die Mobilisierung von Interessenten im Dorf für politische Ämter einfacher.» Der politisch unabhängige Verein «Aktives Bottenwil», der Miriam Dietschi für die Gemeinderatswahlen vorschlug, versucht, diese Lücke zu schliessen. Eine ähnliche Situation existiert in Moosleerau. Obwohl die viertkleinste Gemeinde im Bezirk eine SVP-Ortspartei hat, passiert laut Gemeindeammann Daniel Dätwyler politisch nicht viel. «Es wäre wünschenswert, mehr Ortsparteien zu haben, die aktiver sind», so Dätwyler.
