Binjamin Hasani: Der Junge mit der sozialen Ader

11 Tage. So wenig Zeit ist vergangen seit Binjamin Hasanis Startelf-Premiere für den FC Aarau. Doch wer sich die Mannschaft für das heutige Heimspiel gegen Thun zusammenreimen will, steht vor einigen Fragezeichen, zweifelt aber ganz sicher nicht am Einsatz von Hasani. Dass der 17-jährige spielt, ist bereits selbstverständlich.

Dabei war das Staunen gelinde gesagt gross, als an jenem 8. Dezember der FC Aarau seine Startformation in Chiasso enthüllt. Binjamin wer? Die schnelle Internetrecherche liefert nicht mehr als Basisinformationen: 17 Jahre alt, seit klein auf im FCA-Nachwuchs, Position Innenverteidiger. Im Gegensatz zu den anderen Perspektivspielern Schwegler, Caserta, Lujic und Hajdari hat Hasani noch keinen Vertrag, sprich von ihm hat man im Umfeld der Profimannschaft bis dato noch nie gehört.

«Vielleicht war das mein Vorteil», sagt Hasani, «ich musste keine Erwartungen erfüllen.» Es ist später Dienstagabend dieser Woche, wir sitzen auf der Ersatzbank im Krienser Kleinfeld-Stadion, der FC Aarau hat 3:1 gewonnen. Hasani blickt hinaus aufs Spielfeld und sagt: «Verrückt, was in den vergangenen Tagen alles passiert ist. Anstrengend für den Körper und für den Kopf, aber ich kann es auch geniessen.» Sein Kalender ist in diesen Tagen prall gefüllt: Am Nachmittag vor dem Kriens-Spiel drückt er bis 15.40 Uhr die Schulbank, dann direkt ins Brügglifeld, Mannschaftsessen und Abfahrt in die Innerschweiz, wo er im dritten Einsatz als Stammkraft seinen bislang besten Auftritt hinlegt.

«Von unseren Perspektivspielern ist er am weitesten», begründet FCA-Trainer Stephan Keller den rasanten Aufstieg Hasanis, der erst seit Mitte November mit den Profis trainiert. Schon lange auf Kellers Radar, hätte der Erlinsbacher mit kosovarischen Wurzeln schon früher ins Fanionteam stossen sollen. Doch ein Nasenbeinbruch im Herbst bremst ihn aus, der zweite innert dreier Monate. Andere Talente würden so kurz vor dem Ziel nervös, Hasani bleibt cool.

Denn was ist schon eine gebrochene Nase im Vergleich zu den Worten der Ärzte vor drei Jahren? «Das wird nichts mehr mit Leistungssport», sagen sie. Schwere Knieverletzung, drei Monate geht der damals 14-Jährige an Stöcken. Andere Mediziner geben ihm noch eine Chance – und an diesen orientiert sich Hasani. «Ich habe schon als Zehnjähriger dem Fussball zuliebe auf vieles verzichtet. Aufgeben kam nicht infrage.»

Leistung macht mehr Eindruck als die Binde

Sven Christ, Technischer Leiter der Nachwuchsabteilung «Team Aargau», hat Hasani in dieser Zeit eng begleitet, er erinnert sich: «Binjamin erfasste seine schwierige Situation schnell, arbeitete fleissig in der Reha und blieb geduldig, obwohl ihn während dieser Zeit einige Spieler überholt haben.» Nach einem Jahr die Rückkehr, Hasani wird schnell wieder Stammspieler und ein Anwärter auf das Captainamt. Christ erinnert sich: «Neben Binjamin gab es vergangene Saison in der U18 einen anderen Innenverteidiger, der sich als Captain sah. Doch zwei Platzhirsche sind einer zu viel. In einem langen Gespräch habe ich Binjamin erklärt, dass gute Leistungen bei den Teamkollegen viel mehr Eindruck machen als die Captainbinde. Das hat er sofort verstanden und hervorragend umgesetzt.»

Hasani bezeichnet sich selber als Typ mit Leader-Naturell und grosser sozialer Ader. Vor dem ersten Training bei den Profis jedoch habe er sich zwingen müssen, nicht zu viel zu sprechen. «Die älteren Spieler sollten mich schliesslich nicht sofort als Grossmaul abstempeln. Vor dem Spiel in Chiasso kam dann Captain Elsad Zverotic zu mir und sagte, von nun an sei mein Alter egal, als Innenverteidiger müsse ich Anweisungen geben. Nach dem Spiel hat er mir gratuliert und klar gemacht, dass es viel schwieriger sei, den guten Einstand im nächsten Spiel zu bestätigen. Ich kenne das aus der Schule, wo ich mich jedes Jahr sportlich und mit guten Noten beweisen muss, um in der Sportkanti bleiben zu können. Von daher macht mir der Druck nichts aus.»

Noch kein Nationalmannschafts-Aufgebot und noch kein Berater

Voller Ehrgeiz, aber auf Widerstände nicht emotional, sondern besonnen und konstruktiv reagieren – das zeichnet Hasani aus. Als in den vergangenen Jahren immer wieder Mitspieler und Bekannte anderer Vereine in die Junioren-Nationalmannschaft aufgeboten werden, Hasani jedoch nie, habe ihn das im ersten Moment jeweils verärgert. «Aber ich wusste: Was die können, kann ich auch – und habe einfach weitergemacht.» Und siehe da: Hasani ist der einzige 17-Jährige, der bei einem der 20 Schweizer Profiklubs Stammspieler ist. Er sagt: «Jedes Spiel mit den Profis ist ein Tropfen Lohn für den Aufwand und die Rückschläge.» Wetten, dass bei Hasani auch bald der Schweizerische Fussballverband anklopft?

Das haben viele Spielerberater bereits getan. In der Regel wird heutzutage jeder 17-Jährige auf dem Weg zum Profi bereits seit Jahren von einem Berater begleitet, Hasani nicht, ein weiteres Indiz dafür, dass er bislang unter dem Radar flog. Doch seit dem Debüt in Chiasso klingelt auch bei ihm das Handy pausenlos, andere Agenten nehmen via Social Media Kontakt auf. Er werde sich das in den nächsten Wochen alles anschauen, ob er darauf eingehe, sei offen: «Fussball ist mir sehr wichtig, aber mit meinen Eltern ist abgemacht: Bis zu den Maturaprüfungen in zwei Jahren hat die Schule Vorrang.» Ob mit oder ohne Berater: Dass Hasani in der Winterpause beim FC Aarau seinen ersten Vertrag unterschreiben wird, ist sehr wahrscheinlich.

Beste Offensive trifft auf beste Defensive

Mit 28 Toren nach 14 Partien stellt der FC Aarau aktuell die erfolgreichste Offensive der Challenge League. Nur zwei Mannschaften blieben gegen die Aarauer ohne Gegentor und gewannen jeweils 1:0: Leader GC und der heutige Gegner FC Thun, gegen den der FCA am Samstagabend im Brügglifeld das letzte Spiel des Jahres 2020 bestreitet. Es ist das Spitzenspiel Dritter gegen Zweiter, es trifft die beste Offensive auf die beste Defensive und es ist das Aufeinandertreffen der formstärksten Teams der Liga: Sowohl Aarau und Thun holten aus den vergangenen 5 Spielen 13 Punkte. Kurios: Im Hinspiel in Thun zeigte der FC Aarau nach dem Seitenwechsel die bislang beste Halbzeit der Saison, wohlgemerkt in Unterzahl. Doch die Mannschaft sündigte im Abschluss und verlor durch ein spätes Gegentor 0:1.