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Biodiversität profitiert

Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck wirbt für mehr Toleranz gegenüber konservativen Positionen. Und er erklärt, weshalb die SVP ein Vorbild für Deutschland sein kann.

Sie haben einmal gesagt: «Die Freiheit der Erwachsenen heisst Verantwortung.» Was meinen Sie damit?

Joach!m Gauck: Ich habe intensiv über den Freiheitsbegriff nachgedacht. Aber nicht nur nachgedacht1 sondern ich habe das Fehlen von Freiheit erlebt. Deswegen gehöre ich zu den Menschen, die wegen des Fehlens von Freiheit eine besondere Sehnsucht nach Freiheit hatten. Für mich ist deshalb der Herbst und Winter 1989 so wichtig, dass es eigentlich die schönste Zeit meines Lebens war. Als die Befreiung tatsächlich bei mir persönlich Realität wurde. Dieses Gefühl, dass sich endlich etwas ereignet1 wonach man sich immer gesehnt hat, war schon sehr überwältigend Dann kommt aber eine neue Phase.

Dann kommt die Verantwortung?

Wenn du in der Freiheit bist und merkst, keiner unterdrückt dich mehr, kommt die Anforderung, etwas zu machen mit der Freiheit. Ich zum Beispiel wurde Abgeordneter, andere wurden Bürgermeister, Frau Merkel wurde Ministerin und dann Bundeskanzlerin. Andere haben es als Last empfunden, dass sie Verantwortung selber übernehmen müssen. Dann spürt man, wie wichtig es ist, dass man Menschen hilft, das in ihnen angelegte Vermögen, eigenständig zu sein, zu trainieren. In Demokratien und offenen Gesellschaften wird das schon in der Kindheit und Jugend vermittelt, aber in Diktaturen wird es unterdrückt.

Sie haben vorhin gesagt, dass die Zeit des Mauerfalls 1989 etwas vom Schönsten in Ihrem Leben war. Haben Sie diese Freiheit auch körperlich gespürt?

Ja, das war tatsächlich so. Ich war körperlich in einer super Form. Ich hatte weder Schwierigkeiten, einzuschlafen noch aufzustehen. Ich verspürte keine Last, sondern nur Glück und war unglaublich mobil, der Kreislauf war mobilisiert. Das war ein allumfassendes Erlebnis von Glück. Ich bin zwar später Bundespräsident geworden, aber dieses Hochgefühl von 1989 war noch stärker.

Den Deutschen wird nachgesagt, sie würden die Verantwortung für ihr Leben gerne dem Staat übertragen. Stimmt dieses Klischee?

Wie so oft bei Klischees gibt es Übertreibungen, aber auch einen wahren Kern. Die Deutschen neigen dazu, von der Obrigkeit mehr zu erwarten als andere Völker. Schon Heinrich Heine sagte, die Franzosen seien geboren für die Republik, die Deutschen aber nicht, die bräuchten einen Fürsten über sich. Ob wohl Heine davon träumte, diese Fürstenherrschaft zu beenden, sagte er, dass dies eigentlich nicht zu den Deutschen passe.

Wie sieht die Situation heute aus?

Es gib t eine starke Erwartung , dass für einen gesorgt wird . Der Unmut gegenüber der Regierung ist jeweils relativ gross , wenn nicht ausreichend gesorgt wird . Wenn Menschen relativ lange nicht eigenständig entscheiden konnten , was richtig für sie ist , präg t das die Mentalität noch lange . Das ist ein Unterschied zur Schweiz , die sei t einer langen Generationenkette unabhängig von Fürsten ist . In Ostdeutschland herrschte insgesamt 56 Jahre Diktatur und Fremdbestimmung . Im wirtschaftlichen Bereich gab es keine Eigenständigkeit , etwa für Bauern oder Hand-werker . Da gehen Fähigkeiten verloren.