Bottenwil wartet nach dem Unwetter noch immer auf Hilfe

Thomas Hunziker steht oben am Hang. Dort, wo vor dem Unwetter seine Kuhweide war und jetzt Plastikblachen den übrig gebliebenen Sandstein abdecken. Die Erdmassen kamen damals am 8. Juli im steilen Gelände oberhalb seines Hofes in Bottenwil ins Rutschen, nachdem innert weniger Stunden soviel Regen gefallen war, wie sonst in einem ganzen Sommermonat kaum.

Auch drei Monate nach dem Unwetter lebt der Bauer aus Bottenwil im Ungewissen. «Wenn der Schnee kommt und mit ihm das Wasser, wird die Situation wieder unberechenbar», sagt Hunziker. Der Hang könnte dann erneut in Bewegung geraten. Ein Holzschopf liegt unmittelbar darunter, im schlimmsten Fall ist sogar das Wohnhaus gefährdet.

Die grösseren Hangrutsche im Dorf sind noch nicht beseitigt und gesichert. Und Hilfe ist nicht in Sicht. «Die Armee hat ihre Pläne geändert und kommt dieses Jahr nicht mehr nach Bottenwil», sagte ein enttäuschter Gemeindeammann Heinz Gerber am Mittwoch im «Zofinger Tagblatt». Und er ärgerte sich: «Schade, dass wir im Uerkental so im Stich gelassen werden.» Gegenüber der Nordwestschweiz zeigt sich Gerber ernüchtert über die «unglaubliche Bürokratie» und die Zeit, die vergehe, bis «endlich mal was passiert».

Tatsächlich ist das Prozedere langwierig und Geduld gefragt, wenn man Unterstützung aus Bundesbern anfordert. Das Regionale Führungsorgan RFO Suhrental-Uerkental reichte offiziell das Gesuch um Armeehilfe ein, dieses ging an den Kanton weiter, von dort an die Zentrale der Territoralregion 2 in Kriens, zu dem der Aargau militärisch gehört. Schliesslich wurde das Begehren weitergereicht nach Bern zum Führungsstab der Schweizer Armee, der über solche subsidiäre Einsätze entscheidet.

Bondo wichtiger als Bottenwil

Das Gesuch aus dem Uerkental liegt dort zurzeit in der Schublade. Die Bottenwiler hätten sich schnelle und unbürokratische Unterstützung gewünscht. Diese wäre auch durchaus möglich gewesen, wie Ivo Laib, Chef des RFO Suhrental-Uerkental auf Anfrage bestätigt. «Wenn die Situation vor Ort als dringend eingeschätzt worden wäre, hätte die Armee innerhalb eines Tages vor Ort sein können.» Doch die Behörden kamen zu einem anderen Schluss. Die Situation im Aargauer Unwettergebiet wurde nach den ersten Aufräumarbeiten nicht mehr als prekär eingestuft.

Priorität hatte für das Militär von einem Tag auf den anderen ein anderes Unglück: der Bergsturz von Bondo am 23. August. Der spezialisierte Katastrophenhilfe-Bereitschaftsverband der Armee wurde nun im Bergell mehr gebraucht als im Westaargau.

So einfach sei ein Armeeeinsatz ohnehin nicht, betont Laib. Es brauche Spezialgeräte und Spezialisten für die Sicherung und Reparatur des Hanges. Laib rechnet mit zirka 40 Armeeangehörigen, die für ein bis zwei Wochen im Einsatz wären in Bottenwil.

An Plan B arbeiten

Das Gesuch um Armeehilfe ist noch hängig. Das neue Zeitfenster ist nun auf nächstes Frühjahr festgelegt, wie Armeesprecherin Delphine Allemand auf Anfrage bestätigt. «Aufgrund der zu erwartenden Witterung und diverser bereits zugesicherter anderer Aufträge ist eine Leistungserbringung vor März 2018 durch die Armee nicht möglich.» Dass es nicht schneller gehe, findet auch Laib «etwas unglücklich», aber das sei nun halt mal so.

Die Betroffenen in Bottenwil dagegen verlieren allmählich die Geduld. Sie warten nur ungern tatenlos, bis die Armee im Frühling vielleicht doch noch kommt. Darum arbeite man an einem Plan B, sagt Gemeindeammann Gerber. «Wir möchten das Ganze wenn möglich noch vor dem Winter erledigen.» Dann müsste Bauer Hunziker mit Unterstützung der Gemeinde das Heft aber selber in die Hand nehmen und Spezialisten für die Hangsicherung organisieren.

Doch das grosse Fragezeichen ist die Finanzierung. Ammann Gerber rechnet mit Kosten «mindestens im sechsstelligen Bereich». Wer wie viel zahlt, ist zurzeit unklar. Allein könne er die Kosten nicht tragen, sagt Bauer Hunziker. Der Kanton habe bereits abgewunken: Für dieses Jahr sei kein Geld mehr vorhanden. Bleibt die Gemeinde Bottenwil, die mit ihren 800 Einwohnern und einem Steuerfuss von 119 Prozent auch nicht auf Rosen gebettet ist. Wie hoch die Extraausgaben für die Beseitigung der Folgen des Unwetters noch kommen, kann Ammann Gerber zurzeit nicht beziffern. «Aber klar besteht das Risiko, dass Steuergelder dafür eingesetzt werden muss.»

Glückskette als kleine Hoffnung

Nun überlegt sich Bauer Hunziker, sich wie andere Unwetter-Opfer aus der Region an die Glückskette zu wenden. Doch er macht sich keine Illusionen. Denn die Glückskette unterstützt nur Privatpersonen, die weniger als 80‘000 Franken im Jahr verdienen. Ein Landwirt mit durchschnittlichem Umsatz fällt da leicht durch die Maschen.

Hunziker will nicht jammern. Er weiss, dass die Leute in Bondo die Hilfe wahrscheinlich dringender brauchen. Was er sich wünscht, ist etwas mehr Entschlossenheit der Behörden. Hunziker liest ein Mail vor, das ein Offizier der zuständigen Territorialregion auf eine Einladung zu einer Koordinationssitzung in Bottenwil geschickt hat: Solange das Gesuch in Bern nicht bewilligt sei, so der Militär, werde kein Vertreter der Armee an einer solchen Sitzung teilnehmen.

«Es ist mühsam, wie man zwischen all den Behörden allein gelassen wird». Vor allem das, so Bauer Hunziker, sei belastend. (Rolf Cavalli/AZ)