
Bürgerliche Bundesräte wollen Rentenalter erhöhen – und setzen damit Alain Berset unter Druck
Die Altersvorsorge der Schweiz ist je nach Wahrnehmung eine Grossbaustelle – oder ein Chaos. Seit 24 Jahren ist keine grosse Reform der AHV mehr geglückt, in der beruflichen Vorsorge sind es 15 Jahre her. Der letzte Reformversuch scheiterte 2017 in einer Volksabstimmung. Seither ringen Bundesrat und Parlament erneut um Lösungen für die erste und die zweite Säule. Die Erfolgsaussichten sind äusserst ungewiss.
Die Probleme der Altersvorsorge
Dabei ist die Ausgangslage einigermassen klar: Die AHV hat ein strukturelles Defizit, weil immer weniger Erwerbstätige immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren müssen. Deshalb müssen entweder Leistungen gekürzt oder es muss mehr Geld ins System gepumpt werden. Die berufliche Vorsorge wiederum leidet unter den tiefen Zinsen. Wegen des zu hohen Umwandlungssatzes von 6,8 Prozent – bei einem angesparten Kapital von 100’000 Franken beträgt die Rente 6800 Franken – wird zu viel Geld von den Jungen zu den Rentnern umverteilt.
Weil das Parlament bei der Reform der Altersvorsorge nicht vorwärtskommt, gibt es auch Druck von aussen. Gleich zwei Volksinitiativen wurden eingereicht, welche die Altersvorsorge betreffen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund fordert eine 13. AHV-Rente. Er moniert, dass die Renten in der zweiten Säule sinken und die AHV-Rente nicht zum Leben reicht. Ihre AHV-Initiative soll das Problem der Rentenlücke zumindest lindern.
Am Dienstag präsentierten die Gewerkschafter neue Zahlen, um die Vorzüge der AHV gegenüber der privaten Vorsorge zu preisen. Demnach ist das Preis-Leistungs-Verhältnis in der ersten Säule für 90 Prozent der Haushalte besser als beim privaten Sparen in der dritten Säule. Das überrascht natürlich nicht: Bei der AHV wird massiv umverteilt, bei dritter Säule spart jeder für sich selbst. Von einem Birnen-Äpfel-Vergleich will SGB-Chefökonom Daniel Lampart trotzdem nicht reden. Er sagt, das sei ein kontrafaktischer Vergleich.
Die Jungfreisinnigen wiederum verlangen mit ihrer AHV-Initiative eine Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre und später eine Koppelung an die Lebenserwartung. Die Initianten sind überzeugt, dass die AHV mit dieser Reform keine Schulden mehr macht.
Berset läuft mit Doppelnein auf
Die Situation in der Altersvorsorge ist also ziemlich vertrackt. Das Parlament laboriert seit Jahren an zwei Reformen und dazu machen Initianten Druck.

Bundesrat Alain Berset.
Der federführende Bundesrat, Sozialminister Alain Berset, wollte mit den beiden Initiativen kurzen Prozess machen. Mitte Oktober waren die beiden AHV-Initiativen im Bundesrat traktandiert. Berset plante ein Doppelnein: Nein zur 13. AHV-Rente und Nein zur Erhöhung des Rentenalters. So hätten die beiden Reformen im Parlament relativ unbelastet vorangetrieben werden können.
Doch die Rechnung Bersets ging nicht auf. Vier Mitberichte gingen vor der Bundesratssitzung ein. Wie CH Media aus gut unterrichteten, unabhängigen Quellen weiss, waren die vier FDP- und SVP-Bundesräte nicht einverstanden mit dem Vorgehen und dem Nein zur Initiative der Jungfreisinnigen.
Dem Vernehmen nach verlangten Ignazio Cassis (FDP), Ueli Maurer (SVP) und Guy Parmelin (SVP) gar ein Ja zur Initiative der Jungfreisinnigen und damit zur Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre. Wie genau sich Karin Keller-Sutter (FDP) in ihrem Mitbericht positioniert hat, ob sie die Initiative ebenfalls annehmen wollte oder nur einen Gegenvorschlag verlangte, ist unklar.
Was hingegen vergewissert ist: Berset kam einer Niederlage im Bundesrat zuvor und zog seinen Antrag für das Doppelnein zurück. Eine Diskussion im Bundesrat wurde deshalb gar nicht erst geführt. Der Ball liegt nun wieder im Innendepartement. Berset muss seinen Kolleginnen und Kollegen wohl zumindest einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag zur Renteninitiative der Jungfreisinnigen vorlegen.
Bringt Berset jetzt einen Gegenvorschlag?
Die Aufgabe ist delikat. Denn dabei geht es um nichts Geringeres als die Erhöhung des Rentenalters. Die Schweiz tut sich nur schon schwer damit, dass auch Frauen bis 65 Jahre arbeiten sollen. Die Angleichung des Frauenrentenalters ist Teil der laufenden AHV-Reform. Erbittert wird darum gerungen, wie die Erhöhung kompensiert werden soll. Ziemlich sicher kommt es zu einer Volksabstimmung – wohl im nächsten Sommer.
Spräche sich der Bundesrat nun tatsächlich für die Initiative der Jungfreisinnigen aus, gäbe das der Linken ein zusätzliches Argument gegen die Frauenrentenalter-Erhöhung. Auf bürgerlicher Seite will man dies so nicht gelten lassen. Die Initiative würde von den Gegnern ohnehin als Argument benutzt werden.