
Chris von Rohr ist zum 70. Geburtstag verliebt und will mit Krokus wieder auf Tour gehen
Wir treffen uns in der Villa Montechristo in Solothurn, dem herrschaftlichen Haus von Krokus-Obmann Chris von Rohr. Die Begrüssung ist herzlich, auf dem Tisch steht Krokus-Wein, eine Flasche Domiziano Primitivo Puglia. Chris von Rohr wirkt locker und entspannt. Das war nicht immer so …
Sie werden am 24. Oktober 70 Jahre alt? Macht Ihnen das Sorgen?
Chris von Rohr: Sorgen nicht, aber ich habe Respekt vor meinen 70 Lenzen. Das Dino-Feeling hält sich noch in Grenzen, und die Götter der Gesundheit waren mir bis anhin wohlgesinnt. Ich habe offenbar einen guten Schutzengel. Das erzählte mir jedenfalls letzthin eine Nonne vom nahe gelegenen Kloster. Kein Scherz: Sie heisst Schwester Korona! Sie beteuerte mir, dass mein persönlicher Schutzengel dafür sorge, dass alles gut komme. Und weil ich mit Steve Lee den Song «Heaven» geschrieben habe, schliesse sie mich täglich in ihr Gebet ein. Das ist doch schon mal gut, oder?
Unglaublich!
Ja, wirklich! Erfreulich ist auch, dass ich mich heute so gut fühle wie selten zuvor und es bei mir auf allen Ebenen rundläuft: mit der Band, mit dem Schreiben, meiner Tochter Jewel und der Liebe. Dafür bin ich dankbar.

Stolzer Vater: Chris von Rohr mit seiner Tochter Jewel in der U-Bahn von London.
Aha, Sie sind verliebt?
Ja, ich will es nicht abstreiten. Wir sind seit anderthalb Jahren zusammen. Unglaublich schön, denn wir ziehen nicht nur am gleichen Strick, sondern auch in dieselbe Richtung, was echt hilft. Unsere Bedürfnisse und Vorlieben sind so ähnlich, dass wir oft nur staunen. Und sie liebt Sixties-Sound wie Johnny Cash, die Beatles, Jimi Hendrix, meine Stimme und meine Küche. Was kann da gross schieflaufen? Ich sage das notabene nicht in der Rosa-Bubble-Phase, aber habe das Gefühl, dass ich ein halbes Leben gegraben habe und jetzt auf diesen Goldschatz gestossen bin. Der grosse Manitu hatte Erbarmen mit mir.
Wo habt ihr euch kennen gelernt?
An einer Buchlesung von mir vor einigen Jahren. Aber es hat damals noch nicht geklappt, weil wir beide in anderen Beziehungen waren. Die Initiative kam dann von ihr, als sie auf einer mehrmonatigen Asienreise war. Sie hatte meine Biografie «Himmel, Hölle, Rock‘n’Roll» gelesen und war beeindruckt davon, wie ich über meine Ex-Partner schrieb. So beschlossen wir, uns kennen zu lernen. Ich habe zuerst gezögert und zweifelte, ob ich wirklich bereit war für etwas Grosses. Als wir uns aber schliesslich trafen, waren alle Vorbehalte vergessen. Man sollte das Schöne immer riskieren.
In der Villa Montechristo in Solothurn geht plötzlich die Türe auf und eine junge, hübsche Frau tritt in die Wohnstube:
«Hallo, ich bin Nina* (Name von der Redaktion geändert), ich habe schon viel von Ihnen gehört.»
Pardon, ich von Ihnen leider nicht.
Von Rohr: Hoppla, das war jetzt nicht geplant. Nina hat den Wunsch geäussert, medial nicht in Erscheinung zu treten. Selbstverständlich respektiere ich ihren Wunsch.
Aber wenn wir schon so gemütlich beisammensitzen. Wie haben Sie, Nina, Ihre Liebesgeschichte erlebt?
Nina: Genauso wie Chris. Ich war ja auch skeptisch und habe es sicher nicht so erwartet. Alle Bedenken waren umsonst.
Woher kommen Sie?
Nina: Ich bin Bernerin und komme aus Biel.
Von Rohr: Nur so viel: All meine Beziehungen haben mich genau hierhingeführt. Ich kannte ja auch andere, weniger glückliche Zeiten.
Wie hat sich die neue Liebe auf Sie selbst ausgewirkt? Sie waren lange ein Getriebener. Haben Sie mit Nina etwas zur Ruhe gefunden und den Müssiggang schätzen gelernt?
(Während von Rohr überlegt, meldet sich Nina aus dem Hintergrund): Ich bin definitiv der ruhigere Typ, eher zurückhaltend und habe eine ausgeprägtere introvertierte Seite. Chris geht aber darauf ein, und das tut auch ihm gut. Wobei ich die extrovertierte, offene und lustige Seite an ihm sehr mag. Wo er ist, scheint meist die Sonne.
Von Rohr: Es geht um diese wunderbare Chemie in der Liebe. Humor, gleiche Interessen, Geist, Seele, Körper verschmelzen. Menschen in einer Partnerschaft sollten sich gegenseitig helfen, das volle Potenzial auszuschöpfen und die beste Version ihrer selbst zu werden. Das ist wie in der Musik.
Krokus haben wegen Corona die Abschiedstournee unterbrechen müssen. Wann geht es weiter mit der «Adios Amigos»-Tournee?
Es ist so: Anfang September haben wir bei Mark Ineichen von Otto’s Warenposten ein privates Konzert gegeben. Alle haben gestaunt, wie schnell wir wieder unser Toplevel erreicht haben. Und wir hatten Riesenspass. Mit anderen Worten: Wenn wir in Zukunft noch alle gesund sind, dann ist alles möglich. Wir werden sehen. Mehr kann ich im Moment nicht sagen.
Aha, wird aus der «Adios Amigos»- eine «Hello Amigos»-Tour?
Wer weiss? Wir haben auf jeden Fall schon eine Reihe von Anfragen, und Grossfestivals wie Wacken oder Schwedenrock, aber auch Veranstalter in Amerika, Kanada und Mexiko wollen uns buchen. Wir werden gemeinsam entscheiden, ob wir 2023 noch einmal eine Zusatzrunde drehen. Alles ist offen.
Marc Storace macht ein Soloalbum. Schlagzeuger Flavio Mezzodi ist inzwischen bei Gotthard eingestiegen. Wären die beiden überhaupt verfügbar?
Marc ist Sänger von Krokus, Flavio Drummer von Krokus und Gotthard, Fernando, Koki und Mandy die Gitarristen von Krokus, trotz Nebenaktivitäten. Kein Problem, wir sind alle unter demselbem Management. Das ginge alles bestens aneinander vorbei.
Haben Sie selbst auch musikalische Pläne?
Ich bin seit den Sechzigern Musiker, und diese Jacke zieht man nicht plötzlich einfach aus. Aktuell helfe ich einer jungen Band aus dem Wallis mit dem Namen Sky Of Augustine. Obwohl ich den Rock‘n’Roll natürlich extrem liebe, ist für mich die Bühne nicht das Wichtigste. An meinen Instrumenten bin ich fast täglich – das ist meine Medizin. Es beruhigt und bereichert mich. Dazu male ich und schreibe an einem neuen Buch.
Worum geht es denn in diesem neuen Buch?
Es geht um Lebensweisheiten eines Rockdruiden. Eine herzvolle Hymne auf die Freiheit, das Staunen, die Liebe, das Streunertum und das Überwinden von Hindernissen. Da wird alles drin sein, wofür ich stehe und kämpfe, was ich liebe und bewundere.
Wie haben Sie die Zeit der Pandemie erfahren?
Ich will im Moment lieber schweigen zu diesem überstrapazierten Thema. Die Stimmung in der Schweiz ist mir zu aufgeheizt. Das bringt rein gar nichts. Ich beobachte die Situation sehr genau und kann nur hoffen, dass die ganze Spaltung nicht noch mehr zunimmt und wir lernen, mit dieser Krankheit zu leben wie mit anderen auch. Wie alles im Leben können wir es als Pech oder als Chance betrachten. Es fällt jedoch schwer, zu verstehen, was da seit bald zwei Jahren abgeht.
Aus diesem Statement entnehme ich aber, dass Sie den bundesrätlichen Massnahmen eher kritisch gegenüberstehen.
Ich nehme mir als freier Citoyen und Steuerzahler das Recht, das zum Teil widersprüchliche, abgehobene bis arrogante politische Treiben zu hinterfragen. Ist ja völlig normal. Als unkritischer, allesgläubiger Befehlsempfänger tauge ich nicht. Ich glaube an die Selbstverantwortung.
«Wir stehen am Vorabend einer weltweiten Revolution», sagten Sie bei unserem letzten Interview. Sehen Sie inzwischen Anzeichen dazu?
Wenn ich in die Welt schaue, mache ich mir schon Sorgen. Vor allem für unsere Kinder. Es beginnt bei der horrenden Überschuldung von vielen Staaten, dann die zunehmende Kriminalität und Brutalität, auch hierzulande. Raubtiergrossmächte, Korruption plus abstrus zunehmender Stressdruck auf Kinder, die Corona- und Klimakrise, die auch nicht wegzudiskutieren ist. Gleichzeitig muss man aufpassen, dass die «Greta-Hysterie» und der Nannystaat nicht überhandnehmen, was kontraproduktiv wäre. Ich sehe das Ganze eher noch kritischer als bei unserem letzten Gespräch. Trotzdem bin ich kein Weltuntergangsbejubler. Klar ist aber auch: Die Welt geriet nicht wegen zu viel Ungehorsams, sondern wegen zu viel Gehorsams immer wieder in Schwierigkeiten. Man soll ruhig mal gewisse Dinge und Abläufe in Frage stellen. Rede und Gegenrede ist der Kern einer gesunden Demokratie.
Der Widerstandsgeist, der rebellische Charakter ist aber längst auch aus der Rockmusik verschwunden. Auch bei Krokus.
Das stimmt. Wir machen diese Musik, weil sie uns gefällt. Politik hat bei uns in der Musik, mit wenigen Ausnahmen, keinen Platz. Stattdessen wollen wir den Leuten Freude bereiten. Wir bieten ihnen eine Insel an, auf der sie den ganzen Wahnsinn des Alltags vergessen können. Wir sind eine Goodtime-Partyband wie AC/DC, Status Quo & Co. Das heisst aber nicht, dass ich mich als Person, als Buchautor und Kolumnenschreiber nicht politisch äussere oder auf Ungereimtheiten hinweise.
Wo würden Sie sich politisch verorten?
Ich bin ein liberaler Freigeist. Im Laufe meiner Entwicklung habe ich aber zunehmend festgestellt, dass das, was man heutzutage links nennt, nicht mehr mein Ding ist. Lichtgestalten wie Willi Ritschard und Helmut Schmidt fehlen. Wenn Regulation, Moralistentum, Misstrauen, Scheingut-Menschentum und die Bevormundung der Bürger überhandnehmen, kommt das selten gut. Man muss sich nur mal die Länder, in denen der Sozialismus regiert, anschauen. Wer mich kennt oder meine Bücher liest, weiss genau, wofür ich stehe. Meine Parole war und ist «meh Dräck», und damit meine ich mehr Ehrlichkeit, mehr Echtheit plus eigenständiges, offenes Denken.
Sie sind der berühmteste Bürger von Solothurn. Jetzt wird erstmals auch Ihre Heimatstadt rot regiert. Die SP-Politikerin Stefanie Ingold hat das FDP-Denkmal Kurt Fluri abgelöst. Wohin treibt Solothurn?
Keine Panik, in Solothurn ändern sich die Dinge nur sehr zähflüssig. Man regelt das «unter sich» (lacht). Sie kennen ja das Solothurner Lied: «Es lit es Städtli wunderhübsch am blauen Aarestrand, s’isch immer so gsi – s’isch immer so gsi!» Fakt ist aber: Solothurn hat sehr grosses Potenzial und innovative, umtriebige Menschen und Betriebe. Das kommt schon gut. Lasst die Leute, die kreative Ideen und gute Absichten haben, einfach machen. Der neuen Chefpilotin wünsche ich natürlich ein glückliches Händchen.
Im aktuellen Intellektuellen-Ranking der «Schweiz am Wochenende» sind Sie auf Platz 41 rangiert. Hinter Peach Weber, aber noch vor Stararchitekt Jacques Herzog, Künstlerin Pipilotti Rist und Schriftstellerin Ruth Schweikert. Wie fühlen Sie sich in dieser Gesellschaft?
Dass ich überhaupt als Intellektueller betrachtet werde, befremdet mich. Ich sehe mich eher als freiheitsliebenden Rockhippie, der das Leben studiert. In der Gesellschaft von sogenannten Intellektuellen, die oft eine moralische Überlegenheit und Deutungshoheit demonstrieren, fühle ich mich nicht sonderlich wohl. Da drückt halt der Rock’n’Roller durch, bei dem nicht nur der Kopf zählt. Zu viel Kopf, Ernst und Wichtigtuerei sind nicht mein Ding. Wissen ist nicht gleich Weisheit. Ich will Freude haben und Freude geben. Die vorderen Plätze überlasse ich gerne Düster-Faces und Apokalyptikern wie Lukas Bärfuss. Meine kindliche Begeisterung und mein Herz sind mein Kompass, und damit bin ich immer gut gefahren.