
CO2-Neutralität und die Landschaft
Das Bundesamt für Energie hat letzte Woche den neuen Windatlas 2019 publiziert. Auf dem Fuss hagelte es Kritik vom Verband «Freie Landschaft Schweiz» – eine Vereinigung, welche dem Bau von Windkraftanlagen kritisch bis ablehnend gegenübersteht. «Jetzt liegt die Wahrheit auf dem Tisch – die Schweiz ist kein Windland», schreibt der Verband. In der Tat: Die Werte des Windatlas 2016 mussten bezüglich der Windgeschwindigkeiten zum Teil markant nach unten korrigiert werden. Dies überrascht nicht – die 37 Windturbinen, welche aktuell in der Schweiz in Betrieb sind, erreichen über das Jahr gesehen einen Nutzungsgrad von nur 17,8 Prozent.
Das Ziel der Energiestrategie 2050 ist, zehn Prozent der Kernenergie künftig durch Windkraft zu ersetzen. Dazu sind pro Jahr 4,3 TWh Windstrom nötig. Bisher ging man davon aus, dass dazu 800 Turbinen ausreichen – aufgrund der neusten Zahlen bräuchte die Schweiz mehr als 1000 grosse Windräder.
«Der Aargau ist kein Windkraftkanton», so die Meinungen der FDP- und SVP-Fraktionen im Grossen Rat – als es 2013 darum ging, mögliche Standorte in den Richtplan einzutragen. Eine Parlamentsmehrheit hat dennoch sechs Standorte bezeichnet, darunter die «Hochrüti» im Gemeindegebiet von Kirchleerau. Dieser Entscheid beflügelte die Centralschweizerische Kraftwerke AG (CKW), welche umgehend für den Höhenzug zwischen Kirchleerau und Triengen einen Windpark plante.
Hier sollten noch in diesem Jahrzehnt an der aargauisch-luzernischen Grenze vier Windturbinen rotieren und im Idealfall 9,2 Megawatt elektrische Energie liefern. Bläst der Wind, hätten mit dieser Leistung rund 2800 Vierpersonenhaushalte mit Strom beliefert werden können. Hätten, weil die Turbinen der CKW auf heftigen – allerdings politischen – Gegenwind stiessen. Die Bevölkerung diesseits und jenseits der Kantonsgrenze – im Suhren- wie auch im Surental – machte nicht mit. Die Leute hatten Angst vor einer stroboskopartigen Beschattung und wollen zudem nicht, dass in Zukunft Turbinen-Sirren Goethes «Über allen Gipfeln ist Ruh» ablösen könnte. Der CKW wurden 2016 unter Abwägung aller Chancen die Risiken zu gross, dass die Weiterführung des Projekts aus dem Ruder laufen würde – und sie blies das Vorhaben ab.
Wie weiter mit der Energiestrategie 2050? Windkraft ist nicht abgeschrieben, dürfte aber die geplanten zehn Prozent Anteil nur schwerlich erreichen. Was an CO2-neutralen Energieträgern zur Stromproduktion verbleibt, sind Sonnenenergie, Holz, Biogas, Geothermie und die Wasserkraft. Letztere deckt bereits heute 60 Prozent der Schweizer Stromproduktion ab – pro Jahr liefert sie 36 666 Gigawattstunden (GWh). Bis 2035 – so das Ziel der Energiestrategie 2050 – sollen es 37 400 GWh sein, 2050 gar 38 600 GWh.
Ein realistisches Ziel? Rein technisch schon – würde man wie bis in die 70er Jahre ohne grosse Rücksicht auf die Landschaft, ökologisch sensible Räume und Restwassermengen Kraftwerkskapazität aus dem Boden stampfen. Speziell leistungsstarke Pumpspeicherkraftwerke mit ihren Stauseen führen bereits Ende der 50er Jahre zur Diskussion, ob bald jedes touristisch wenig genutzte Bergtal zugunsten der Stromproduktion geflutet werden soll. Als Reaktion auf diese damalige Bedrohung ist der Beschluss der Schweiz zu sehen, in die Kernkraft zu investieren.
Was hat Vorrang: Natur- und Landschaftsschutz oder die Nutzung alternativer Energien? Anlagen von «nationalem Interesse» können heute gleich hoch gewichten wie der Erhalt geschützter Landschaften. Nun haben National- und Ständerat zusätzlich eine parlamentarische Initiative überwiesen, mit welcher die Anforderungen an die Restwassermenge, die ein Kraftwerk abfliessen lassen muss, weniger streng ausgelegt werden. Mit anderen Worten: Eine konsequenter Landschafts- und Naturschutz beisst sich mit der Energiestrategie 2050.